Wojciech Iwańczak: Die Kartenmacher. Nürnberg als Zentrum der Kartographie im Zeitalter der Renaissance. Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew, Darmstadt: Primus Verlag 2009, 223 S., ISBN 978-3-89678-380-6, EUR 29,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Im Sommer 2009 erschien unter dem Titel "Die Kartenmacher - Nürnberg als Zentrum der Kartographie im Zeitalter der Renaissance" ein Beitrag des polnischen Mediävisten Wojciech Iwańczak zur Erforschung der europäischen Kartografiegeschichte. [1] Iwańczak bezeichnet sein Werk explizit als "populärwissenschaftlich" (6) und bietet, da aus polnischer Perspektive verfasst, dem deutschen Leser einen auswärtigen Blick auf die wissenschaftliche "Karriere" (7) der Stadt Nürnberg im Entdeckungszeitalter.
Das Buch beginnt mit einer Skizzierung Nürnbergs und seiner geografischen Situation im Deutschland des Spätmittelalters. Hierbei werden der rapide Bedeutungszuwachs Nürnbergs unter den Luxemburgern im 14. Jahrhundert, sein Aufschwung als internationales Handelszentrum - "deutsches Venedig" - (17) und beider beflügelnde Wirkung auf Nürnberg als Zentrum des Humanismus - "Deutschlands Auge und Ohr" (11-37) - geschildert. Den Autor interessieren in diesem Zusammenhang einzelne Persönlichkeiten, die sich um Geografie und Kartografie in Nürnberg verdient gemacht haben, ihre kartografischen, instrumentellen und wissenschaftliche Hinterlassenschaften sowie die Gründe, warum Nürnberg eine herausragende Bedeutung im Entdeckungszeitalter gewinnen konnte.
Diese drei Stränge flicht der Autor in informativer, abwechslungsreicher und unterhaltsamer Art zur Gesamtschilderung eines, vielleicht des bedeutendsten, Abschnitts der Nürnberger Stadtgeschichte. Überraschend vielschichtig dabei ist die räumliche Verortung und die Ausstrahlung der im Zentrum der Untersuchung stehenden Stadt Nürnberg: Lokalhistorische, national-deutsche sowie weltweite Veränderungen in der Raumwahrnehmung und Raumrepräsentation überlagerten und befruchteten einander in dieser Stadt. Iwańczak illustriert eindrucksvoll, wie sich eine stürmische Veränderung des europäischen Weltbildes an den Tafeln und in den Werkstätten der Nürnberger Humanisten vollzog, weit entfernt von allen Häfen und kolonialen Bestrebungen.
Bekannte Namen wie Martin Behaim (Erschaffer des ersten Globus), Albrecht Dürer und Martin Waldseemüller (der die Gebiete westlich des Atlantiks mit dem Namen Amerigo Vespuccis versieht) stehen neben Conrad Celtis (der Nürnberg als sein "Hauptquartier" ansah), Regiomontanus ("Fürst der Astronomen und Mathematiker"), Willibald Pierckheimer und Johannes Lochner. Iwańczak zeigt detailliert, wie diese humanistischen Gelehrten sich im Vergleich zu ihren mittelalterlichen Vorgängern wissenschaftlich neu positionierten. Typisch humanistische Charakteristika wie die Überhöhung antiker Autoritäten korrelierten mit zeitgenössischer, nationaler Emanzipation. Dies betrifft insbesondere das Projekt der "Germania Illustrata", einer geografischen, sittlichen und kulturellen Synthese des Reichs als weitergehende Antwort auf die "Italia Illustrata" Flavio Biondos.
Spannend ist die Erörterung der Frage, wie diese Persönlichkeiten von Nürnberg aus in einem internationalen Netz der Gelehrsamkeit wirkten und Nürnberger Errungenschaften in die Welt trugen. Beispielhaft hierfür wird das Wirken Martin Behaims geschildert, der das Werk der "Ephemeriden" seines Nürnberger Kollegen Regiomontanus zum unverzichtbaren Ausstattung portugiesischer Seefahrer machte. Schließlich enthält das Buch auch zahlreiche Details und Zusatzinformationen, die seine Lektüre ebenso unterhaltsam wie bereichernd machen: So erfährt man einiges über die ausgesprochene Interdisziplinarität humanistischer Gelehrter, die oft in einer Person Geografen, Mediziner und Poeten waren.
Kritisch ist zu bemerken, dass manch deutscher Ausdruck wie die "Offizin" nicht jedem interessierten Laien - und an diesen richtet sich das Buch explizit - ohne Weiteres klar sein dürfte. Rätselhaft bleibt auch manche Formulierung, so erwähnt Iwańczak einen "über Prag nach Osten in Richtung Olmütz und Prag führenden Handelsweg." (16) Bedauerlich sind vor allem einige sprachliche Nachlässigkeiten, die bei genauerer Lektüre hätten vermieden werden können (z.B. 88: "Natürlich sollte ein Geograph die Form der Erde, [...] halbwegs genau zu berücksichtigen, [...].").
Unklar bleibt ferner, ob der auf Seite 104 genannte Cartesius mit - so lässt das Datum 1637 vermuten - René Descartes identisch ist, auch das Namensverzeichnis gibt darüber keine eindeutige Auskunft. Zu mediävistisch gedacht und überdies für den Laien erklärungsbedürftig erscheint es, dass der "Sacco di Roma" von 1527 durch die Söldner des Habsburgerkaisers hier einem "späteren Kaiser Karl V" (120) zugeordnet wird, trug Karl doch bereits vor seiner 1530 erfolgten Krönung durch den Papst den Titel eines "erwählten" römischen Kaisers. Fragen wirft auch die Verwendung mancher Ortsnamen auf: So etwa "Trident" (179) statt, so vermutet der Rezensent, Trient bzw. italienisch Trento. Der sonst um Klarheit und die Vermeidung von Missverständnissen sehr bemühte Autor lässt den Leser hier im Ungewissen. Leider verrät auch die Ortsnamenskonkordanz im Anhang dazu nichts, da diese Konkordanz sich in nicht nachvollziehbarer Weise auf slawische, ungarische und deutsche Ortsnamen beschränkt. Daneben nimmt sich mancher Druckfehler wie "Währen" (191) statt "Während" harmlos aus, etwas nachdenklich stimmt hingegen der variierende Plural von "Globus" zwischen "Globen" (118, 160) und "(Himmels)globusse" (147).
Das Buch enthält 30, zum Teil doppelseitige Abbildungen überwiegend historischer Karten und geografischer Instrumente, wobei die Lesbarkeit der historischen Beschriftung auch aufgrund der schwarz-weißen Wiedergabe gelegentlich zu wünschen übrig lässt. Dennoch - die Lektüre dieses Buches ist in jedem Fall zu empfehlen. Sie eröffnet neue Einblicke in die Geschichte Nürnbergs, ja Deutschlands, ist unterhaltsam und lehrreich sowie überaus kurzweilig. Man wünscht diesem für Laien und Fachmann anregenden Buch eine große deutschsprachige Leserschaft ebenso sehr wie weitere Auflagen, allerdings unter Ausräumung mancher - möglicherweise der Übersetzung bzw. dem deutschen Lektorat geschuldeter - Unklarheiten.
Anmerkung:
[1] Vgl. Wojciech Iwańczak: "Do granic wyobraźni. Norymberga jako centrum wiedzy geografincznej i kartograficznej w XV i XVI wieku." Erschienen erstmals bei Wydawnictwo DiG, Warszawa 2005. Für die hier zu besprechende Auflage aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew.
David Bitterling