Hakan T. Karateke / Maurus Reinkowski (eds.): Legitimizing the Order. The Ottoman Rhetoric of State Power (= The Ottoman Empire and its Heritage. Politics, Society and Economy; Vol. 34), Leiden / Boston: Brill 2005, ix + 259 S., ISBN 978-90-04-14422-4, EUR 90,00
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Maurus Reinkowski: Die Dinge der Ordnung. Eine vergleichende Untersuchung über die osmanische Reformpolitik im 19. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2005
Wie konnte das Osmanische Reich über sechs Jahrhunderte trotz tiefgreifender Krisen unter derselben Dynastie Bestand haben? Diese alte Frage fordert noch immer komplexe Antworten, und ein Kernelement der Antwort betrifft die Legitimation der osmanischen Herrschaftsordnung. Diesem Themenbereich widmet sich der von Maurus Reinkowski und Hakan Karateke herausgegebene Sammelband. [1]
Herrschaft kann nur durch Legitimität stabil sein. Daher wird diese durch eine politische Ordnung legitimiert, die ihrerseits durchgesetzt und stabilisiert werden muss und zugleich die Folge der von ihr unterstützten Herrschaft ist. Solange dieser Kreislauf funktioniert, haben Ordnung, Legitimität und Herrschaft Bestand. Vor allem in Zeiten der Krise und des Übergangs - wie im 18. und 19. Jahrhundert - lassen sich die Bemühungen der osmanischen Eliten zur Sicherung von Autorität und Legitimität beobachten.
In seinem ersten, einleitenden Beitrag stellt sich Hakan Karateke der schwierigen Aufgabe, die Eingangsfrage zusammenfassend zu beantworten, indem er ein Bündel von Faktoren benennt, die die Legitimität des Hauses Osman begründeten: Ererbtes Anrecht und göttliches Mandat zur Herrschaft wurden zeremoniell ausgestaltet und zugleich durch praktisch erfolgreiche Politik den Untertanen Sicherheit geboten. Das Bild des siegreichen und großmütigen Herrschers an der Spitze einer für Wohlfahrt und Gerechtigkeit sorgenden Ordnung wurde erfolgreich in religiösen und anderen Traditionen verankert.
Die im Namen des Padischahs praktizierte Politik stellte genug Zufriedenheit und Sicherheit her, um mit der Zeit eine positive Grundhaltung gegenüber der Dynastie zu festigen. Offenbar gelang dies über lange Zeit in ausreichendem Maße, doch wäre es zur Überprüfung dieser These erforderlich, unter diesen Gesichtspunkten historische Situationen zu untersuchen, in denen die Legitimation in Frage gestellt oder aufgelöst wurde.
So konnte die Legitimität durch ineffiziente Verwaltung gefährdet werden, wie Tayfur Erdogdus Beitrag über die Bürokratie der hamidischen Zeit belegt. Die Gründe dafür waren teils systemischer Natur (Bestechlichkeit, Inkompetenz, Seilschaften), teils politisch beabsichtigt, da insbesondere Abdülhamid II. Spannungen innerhalb der Bürokratie zu ihrer Schwächung nutzte und förderte.
In seinem zweiten Beitrag untersucht Karateke die legitimatorische Bedeutung von Religiosität. Durch die Demonstration persönlicher Frömmigkeit konnte ein Herrscher leichter als Vermittler zum Göttlichen akzeptiert werden, doch wurde das Herrscheramt nicht allgemein als heilig angesehen. Wichtiger war, dass der Monarch glaubhaft als Verteidiger des Islams agierte, indem er nicht nur öffentlich am Freitagsgebet teilnahm, sondern auch die Pilgerfahrt und die Heiligen Stätten schützte und mit großzügigen Gaben bedachte sowie religiöse Institutionen und Persönlichkeiten unterstützte. Karatekes Argumentation überzeugt und regt zu weiteren Fragen gerade in Bezug auf nichtmuslimische Untertanen an. Die Zusammenstellung von Belegen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert macht allerdings deutlich, daß zur Herausarbeitung des historischen Wandels in der Legitimation noch weitere Forschung erforderlich ist.
Maurus Reinkowskis Beitrag schlägt vor, die Machtrhetorik bürokratischer Korrespondenz ("everyday language of power") der osmanischen Verwaltungsakten als Quelle nutzbar zu machen, die gerade durch ihre ritualisierten Formen und stereotypen Phrasen die von den Beamten vertretenen politischen Konzepte sichtbar macht. Aus dieser Sicht waren die Tanzīmāt mindestens in Teilen eine Fortentwicklung der herkömmlichen Vorstellungen von Ordnung (āsāyisch) und Prosperität (refāh). Bei den alten, als Kreislauf der Gerechtigkeit zusammengefassten Vorstellungen geht es um die Gewährleistung von Ordnung und damit Prosperität, die stets durch Unglücke und Unruhestifter gefährdet sind. Zu ihrem Schutz sind Ermahnungen und Gewalt erlaubt und gefordert. In den 1860er Jahren trat ein Wandel ein, indem die Ordnung als eine neuartige und endgültige angesehen wurde, die nunmehr durch Erziehung und Maßregelung (terbiye ve te'dīb) zu erreichen war. Am Beispiel des albanischen Mirditenstammes zeigt Reinkowski, wie vormals als traditionell und zweckmäßig akzeptierte Privilegien neuerdings als Anmaßungen und ihre Träger als unverbesserliche Rebellen erschienen. Eine Besserung durch Reform (islāh) und Disziplin (inzibāt) war angezeigt.
Gottfried Hagen befasst sich mit dem Begriff der Weltordnung (nizām-i 'ālem), einem Konzept der politischen Theorie, das in Sammlungen von Gesetzen und Verordnungen sowie in politischen Memoranden zum Ausdruck kommt, dessen konkrete Bedeutung aber von der obwaltenden soziopolitischen Dynamik abhing. Das Aushandeln von Legitimität war nämlich weitaus komplexer als der Tausch von Gehorsam gegen ein bescheidenes Wohlergehen. Vielmehr erweist sich hier, dass die Ordnung nur insoweit legitim war, wie der Konsens zwischen Herrschenden und Beherrschten reichte. Es handelt sich nicht um einen Dialog mit von oben verordneter Ideologie, sondern um einen Diskurs mit mehr als zwei Akteuren. Daher können Geschichtsschreiber und Literaten nicht einfach als Sprachrohre einer zentralen Herrschaft angesehen werden, sondern waren eigenständige Teilnehmer am Diskurs innerhalb der herrschenden Elite. Da der Diskurs im kulturellen System des Islams stattfand, musste der Herrscher moralischen Anforderungen genügen, die auf dem göttlichen Willen und dem geoffenbarten Recht beruhten. Dies galt nicht nur in einem instrumentellen, machiavellistischen Sinne, sondern aufgrund der Spielregeln im Sinne von kultureller Praxis. Der Begriff der Weltordnung, als Gegensatz zum Chaos, war in der Vorstellungswelt der osmanischen Elite zentral und wurde universell für legitimatorische Zwecke genutzt, während seine Relevanz für die Untertanen mehr als fraglich ist.
Christine Woodhead zeichnet drei Bilder des legitimen Herrschers: das des Glaubenskämpfers (gāzī), das des Schützers der sunnitischen Lehre und das des Wahrers von Gerechtigkeit und Ordnung, wobei nur das dritte Bild auch für Nichtmuslime von Belang war. Diese Herrscherbilder wurden seit dem späten 16. Jahrhundert durch den Rückzug des Sultans aus der Tagespolitik konterkariert, was zumindest die Fürstenspiegelliteratur nicht akzeptierte. Als Gegenmittel sieht Woodhead den Ausbau der Hofhistoriographie und der höfischen Künste. Durch einen Vergleich der Herrscherbilder bei hofnahen Autoren (Loqmān und Ta'līqīzāde) mit denen bei hoffernen (Mustafā 'Ālī und Selānikī) rekonstruiert die Autorin die Debatte über die Autorität des Herrschers und der Dynastie und den Wandel der an den Sultan gerichteten Erwartungen.
Colin Imber geht unter den Stichwort der "eingefrorenen Legitimität" (frozen legitimacy) der Frage nach, wie frühere Legitimationsstrategien in späteren Epochen uminterpretiert und erneut genutzt wurden. So legitimierten sich die frühen Sultane durch persönliche Teilnahme im Krieg als gāzīs. Dieses Konzept wurde um 1600 auf eine symbolische Ebene transferiert und eingefroren, aber 1876 wieder aufgetaut, als Abdülhamid II. das Gazitum wieder beanspruchte - 240 Jahre, nachdem der letzte seiner Vorgänger in die Schlacht gezogen war. 1908 wurde das Gazitum dann sogar kollektiv der Nation übertragen. Ein weiterer Fall von eingefrorener Legitimität betraf die Genealogie. Sie wurde Imber zufolge nach dem Ende des Reiches von einem dynastischen zu einem nationalen Legitimationselement: Anfang des 15. Jahrhunderts verwies das Haus Osman auf seine Abkunft von der vornehmsten Linie der Ogusen (Nachfahren von Oguz Chan durch dessen mythischen Enkel Qayi), aber diese Genealogie büßte bereits im 16. Jh. ihren Nutzen für die osmanische Dynastie ein. Doch 1935 schrieb M. F. Köprülü die Gründung des Osmanischen Reiches einem mythischen Stamm Qayi zu, der dadurch zum kollektiven Ahnherrn der türkischen Nation werden konnte. Solche über Jahrhunderte reaktivierbaren und neu zu interpretierenden Legitimationsbausteine zeugen von einer beeindruckenden historischen Kontinuität. Sie werfen aber im Hinblick auf den Gesamtrahmen des Bandes die Frage auf, ob die Untersuchung von Legitimation und politischer Rhetorik über die Zeitspanne von mehr als vier Jahrhunderten zu einer aussagekräftigen Synthese führen kann. Künftige Arbeiten auf diesem Gebiet sollten den im Begriff der "frozen legitimacy" angedeuteten historischen Wandel von Legitimationsstrategien stärker berücksichtigen.
Markus Dressler stellt fest, dass die Legitimationsrhetorik von Osmanen und Safaviden viele Überschneidungen aufwies und spricht sich dagegen aus, einen dichotomischen Gegensatz zwischen den konkurrierenden Dynastien zu konstruieren. Im Gegensatz zum Safavidenreich selbst stellten jedoch die Kizilbasch eine ernsthafte Bedrohung der osmanischen Herrschaft dar, so dass sie als Rebellen, Verräter und Häretiker gebrandmarkt werden mußten. Erst als die jeweilige Orthodoxie sich bei Safaviden und Osmanen in der 2. Hälfte des 16. Jh. etablierte, sei der sunnitisch-schiitische Gegensatz in diesem Zusammenhang relevant geworden.
Aussagen über die Herausbildung von Orthodoxien sind noch immer nur vorläufigen Charakters, da die neuzeitliche islamische Theologie sowohl von Islamwissenschaftlern als auch von Osmanisten vernachlässigt wurde. [2] Um diese Lücke ein Stück weit zu füllen, untersucht Nabil al-Tikriti, wie das Konzept der Erklärung von Muslimen zu Ungläubigen (takfīr) neu interpretiert wurde. Im Ergebnis erlaubte diese Neuinterpretation es, die Bekämpfung und massenhafte Hinrichtung der Kizilbasch zu rechtfertigen. Nach Dressler ist das Scheitern der osmanischen Legitimation im Falle der Kizilbasch jedoch nicht auf religiöse Differenzen, sondern primär auf eine verfehlte Steuerpolitik zurückzuführen, die eine religiöse Mobilisierung ermöglichte und herausforderte. Später habe sich dann eine auf Genealogie und Schriftinterpretation basierende Loyalität die gegenüber einem charismatischen Anführer verdrängt.
Der vorliegende Band versammelt eine eindrucksvolle Vielfalt von Themen und Antworten auf die Frage nach der Legitimation der osmanischen Herrschaftsordnung und regt zur weiteren Erforschung der politischen Theorie und Praxis des Osmanischen Reiches an. Es ist zu hoffen, dass auf Grundlage dieser und weiterer quellenbasierter Beiträge fundierte Vergleiche mit anderen neuzeitlichen Reichen in Europa oder Asien möglich werden.
Anmerkungen:
[1] Siehe neuerdings außerdem: Rhoads Murphey: Exploring Ottoman Sovereignty: Tradition, Image and Practice in the Ottoman Imperial Household, 1400-1800. London 2008.
[2] Einen Beitrag dazu leistet Edward Badeen: Sunnitische Theologie in osmanischer Zeit. Würzburg 2008.
Henning Sievert