Neue Filme junger algerischer Regisseure: Die Gewinner der 26. Französischen Filmtage, Tariq Teguia und Djamel Ouahab, mit ihren Produktionen "Inland" (Algerien/Frankreich, 2008) und "Gerboise Bleue" (Frankreich, 2009)

Von Assia Maria Harwazinski


Der Kunst- und Philosophiestudent Tariq Teguia, geboren 1966 in Algier, hat mit seiner Produktion "Inland" im November 2009 während der 26. Französischen Filmtage sowohl den Kritiker-Preis als auch den Filmtage-Tübingen-Preis gewonnen. Der 140 Minuten lange Streifen beeindruckt durch eine ungewohnte Sprödheit in Dialogen (Algerisch-Arabisch, Französisch, Englisch im Wechsel, mit englischen Untertiteln) und Bildern, die kaum ausgeschmückt werden, weder durch überflüssige Sätze noch durch allzu viel Farbe. Die karge Machart des Films wirkt so existenzialistisch wie die durchscheinende Prägung des Regisseurs und lässt daher seine Ausbildung durchschimmern, mit der er minimalistisch die inneralgerischen Konflikte in Andeutungen zu sezieren scheint. Damit ist "Inland" auf unspektakuläre Weise ein hochpolitischer Film über die Bedeutung von Grenzen und ihrer Überschreitung in jeder Hinsicht, bar jeden Hauches von Kitsch oder Romantizismus.

Er beginnt mit Szenen aus der Großstadt, Algier oder Oran, in der in intellektuellen Kreisen heftig über die Rolle des Staates, die Bedeutung von Demokratie und der Rolle der intellektuellen Elite des Landes (und anderswo) diskutiert wird. Zugleich geht es um das Verhältnis zur Regierung und die Frage, ob sie als 'autoritär' oder 'adäquat' empfunden wird - und darüber, was beide Begriffe in Algerien im Jetzt-Zustand für eine Bedeutung haben. Man plädiert letztendlich für 'adäquat', im Interesse der Gesellschaft. Notwendig erscheint Allen eine breite Intellektuellen-Bewegung, die quer durch alle Schichten der Bevölkerung geht.

"Inland" ist die Geschichte des Landvermessers Malek, der von seiner Frau getrennt lebt und einen Auftrag zur Untersuchung eines seit einem Jahrzehnt brachliegenden Elektrizitätsprojekts in der algerischen Wüste erhält. Für eine private Firma arbeitend, wird er zur Basisstation geschickt, wo kurz zuvor mehrere an diesem Projekt arbeitende Menschen ermordet wurden. Die Armee wurde über dieses letzte Attentat noch nicht informiert. Einige bewaffnete Männer aus dem nahe gelegenen Dorf warnen ihn vor einem Minenfeld nahebei, auf dem es manchmal Explosionen gibt, wenn Wildschweine es überqueren. Unklar bleibt, ob mit der Bezeichnung "Wildschweine" Menschen oder Tiere gemeint sind. Sie zeigen ihm einen Baum, der die Grenze zum Gebiet der Familie Mir, es ist "muǧāhid"-Land. Es wird schwierig sein, hier zu arbeiten. Am nächsten Tag bekommt Malek Besuch von der örtlichen Polizei, die seine Papiere überprüfen will.

Künstlerisch anspruchsvoll sind Teguias scharfe Schnitte, die Kontraste zwischen der Großstadt, den ländlichen Gebieten und der Wüste setzen: In der Großstadt gibt es eine sehr gute Infrastruktur, hier wird heftig, anspruchsvoll und gesellig diskutiert - die ländlichen Gebiete sind grün, agrarisch, mit verängstigter Bevölkerung hinter Lehmmauern der Dörfer, hier herrscht überwiegend Stille (wenn nicht gerade geschossen wird) - die Wüste, trocken, öd, verlassen, staubig, man kann sich leicht verirren, ist umso mehr auf jedes menschliche Leben angewiesen, das den Weg kreuzt und tendenziell wortkarg ist. Die Musik wechselt nach den Situationen: Jazz in der Stadtkulisse, ebenso Raiy und englischer Rap - ein algerisches Liebeslied begleitet die Reise von Malek nach Oran, um der Botschaft eines Telegramms nachzukommen, indem er sich am verwaisten Bahnhof eine Fahrkarte nach Oran kauft: Es handelt von dem Mann, der alles für die Geliebte tat, die ihrerseits seinen Ruf zerstörte, die Leute quatschen allseits. In der Wüste gibt es arabische Musik auf traditionellen Instrumenten ohne elektrische Verstärker, mit lebensbejahendem Männergesang. Malek mit seinem einsamen Beruf als Landvermesser gehört nicht zu den diskutierenden Zirkeln; sein Beruf ist so wortkarg wie das Land und die Wüste. Die Diskussionen in der Stadt reflektieren die politischen Auseinandersetzungen und Spannungen Algeriens. Ein älterer Mann sagt über sein Land: "Wir sehen Algerien seit 45 Jahren laufen, aber meistens auf allen Vieren". Man träume vom neuen Algerien, aber das Land sei noch ein Kind, das nicht richtig laufen könne, es sei noch nicht erwachsen und habe noch viel über Demokratie zu lernen. An einer Stelle zur Rolle der Medien heißt es: "Wir brauchen keine Insel, wir brauchen ein Archipel". Deshalb wird auch das Schauen des amerikanischen Senders CNN befürwortet, denn der arabische Sender "Al-Gazeera" (die Insel) sei nicht ausreichend. Die Gewalt wird nie offen gezeigt, man sieht nur ihre Spuren in Form des vergossenen Blutes der Ermordeten an den Innenwänden und Türen des Trailers, in dem Malek nun seine Unterkunft hat, während er hier arbeitet. Malek wäscht das Blut der Ermordeten ab, bevor er im Wagen zum ersten Mal schläft. Teguia verzichtet beinahe gänzlich auf die Thematisierung religiös motivierter Konflikte: Die einzigen Anspielungen liegen in der Klarheit des Begriffes von "muǧāhid"-Land, das man nicht betreten sollte, die "muǧāhidūn" sind nicht nur die Kämpfer, sondern die Terroristen, dies wird eindeutig gleichgesetzt. In den Diskussionen der Intellektuellen-Kreise in der Stadt werden die Selbstmordattentäter ohne Wenn und Aber als Terroristen klassifiziert. Eine weitere Andeutung sind die traditionellen Lieder der lebensbejahenden Männer der Dahrani-Familie, die Malek unter ihren Schutz stellt und die mystisch angehauchte Variante eines liberaleren Volksislams darstellen, in dem Gott gepriesen wird, ohne ihn zur Rechtfertigung irgendwelcher Gewalt heranzuziehen. Hier singt man Lieder altarabischer Dichter mit Textzeilen wie "Ich ziehe den Trinkbecher und die Liebe dem Asketentum vor". Der Hinweis auf begrenzte Herrschaft und Macht lokaler Großfamilien zeigt die Bedeutung der Klan- und Stammesstrukturen, die Algerien nach wie vor prägen und mit denen die Regierung sich arrangieren muss, da sie die künstlich geschaffenen Nationalstaatsgrenzen durch- und überqueren sowie, neben dem offiziellen juristischen Kodex, ihre eigenen Gewohnheitsrechte und klientelistischen Ansprüche geltend machen. -Eines Tages findet Malek eine dunkelhäutige Frau in seinem Bauwagen, die sich dort vor Übergriffen versteckt. Nach der Ermordung schwarzafrikanischer Flüchtlinge, mit denen sie illegal über die Grenze gekommen ist, möchte sie nicht weiter gen Norden fliehen, sondern zurück in den Süden, wo sie her kam. Malek entschließt sich, sie dorthin zurückzubringen - eine schwierige und gefährliche Reise, für die er viel auf sich nimmt. Mit Hilfe Verbündeter durchqueren sie die Sahara zunächst im Auto, später auf einem Wüstenmotorrad auf vier Rädern, das ihnen Nomaden über einen Mittelsmann im Austausch gegen das reparaturbedürftige Auto überlassen. Als das Motorrad schließlich kurz vor der Grenzstation den Geist aufgibt, wandern sie zunächst etwas verloren durch gebirgige Landschaft - um sich schließlich im Versteckspiel hinter Felsen anzunähern und befreiend zu lieben. Zum ersten Mal sieht man beide Gesichter lächelnd. Malek bringt die junge Frau bis zur Grenze, wo bereits sein Firmenchef auf ihn wartet, der besorgt eine Suchaktion nach seinem Mitarbeiter eingeleitet hat. Die Abschiedsworte klingen Alfred Kubin an und lauten: "Ich sehe Dich irgendwann auf der anderen Seite".

"Gerboise Bleue" von Djamel Ouahab (Frankreich 2009) ist ein Dokumentarfilm über die französischen Atomversuche in der algerischen Sahara 1960/61, kurz vor der offiziellen Unabhängigkeit des ehemaligen französischen Kolonialstaats. Diese Atomversuche waren eine Bedingung der französischen Regierung unter Charles de Gaulle für die Unabhängigkeit Algeriens, so der Anwalt Ali Haroun aus Algier. Alle Informationen darüber wurden bisher verschwiegen, auch die Leiden der Opfer. Der Name "Gerboise Bleue" (Blaue Wüstenspringmaus) ist der Codename für die unterirdische Zündung der ersten Atombombe in der algerischen Sahara nahe Reggane, deren radioaktive Strahlung viermal stärker war als diejenige von Hiroshima. Insgesamt führten die Franzosen 17 offizielle Atomversuche nahe Reggane und Hammoudia durch. Djamel Ouahab führte Interviews mit Veteranen dieser Versuche und der lokalen Bevölkerung in den Wüstenoasen durch. Er lässt die Betroffenen selbst schildern, was und wie sie alles erlebten und was sie bis heute durchleiden: Schwere Verstümmelungen am Körper, unsichtbare Krankheiten wie Cysten und Ähnliches, die dauerhafte Schmerzen verursachen, was zu schwerer Medikamentenabhängigkeit und Depressionen führte, Einbußen an Arbeitsfähigkeit und damit wirtschaftliche Erschwernisse. Tuareg-Männer zeigen ihre Kinder, die aufgrund schwerer Rückenmarksschädigungen stark verkrüppelt sind und weder normal sitzen noch sich so bewegen können. 47 Jahre später, im Jahr 2007, führte Algerien zum ersten Mal eine öffentliche Konferenz zu diesen Atomversuchen in Algier durch, bei der es zu einer Anhörung von Betroffenen und Stellungnahmen von Seiten der Regierung, Biologen und Ärzten kam. Es wurden Forderungen nach Anerkennung der Langzeitschäden und Entschädigung für die erlittenen Folgen gestellt. Ouahab sprach für seine Recherche unter anderem mit dem Journalisten Vincent Jauvert des Nouvel Observateur, der über Geheim-Dokumente zu diesen Versuchen, die er kopierte, die man ihm vom Ministerium aber wieder abnahm. Ebenso kommt der algerische Außenminister Mohammed Bedjaoui zu Wort. Ein Veteran berichtet, seine Aktivitäten beim Zünden von Diamanten-Raketen in Biskra seien nie in seinen militärischen Unterlagen aufgetaucht. Im April 2007 sei noch kein einziger Fall von Seiten der algerischen Behörden den französischen Autoritäten vorgelegt worden.

Djamel Ouahab führt den Zuschauer durch die Region des algerischen "Ground Zero", das nicht leicht zu finden ist; lediglich ein alter, zu betonierter Atombunker ist klar zu erkennen. Ansonsten sind es Spuren, die man lesen können muss: Schwarze Flecken im Sand, Überreste technischer Geräte, die aus dem Wüstensand hervorragen. Alles wurde damals tief verbuddelt, um die Spuren zu vertuschen. Er interviewt ausführlich und einfühlsam überlebende Veteranen dieser Atomversuche, die direkt vor Ort waren: Gaston Morizon und Lucien Parfait schildern ihre Leiden und die vielen Operationen, die sie hinter sich gebracht haben, um Tumore und Cysten zu entfernen, verstrahltes Gewebe zu ersetzen. Der heute 68jährige Morizon, der den Versuch in In Eker erlebte und sich direkt beim heutigen "Ground Zero" in einer Erdhütte befand, erlitt schwere Gesichtsverletzungen: Er verlor ein Auge und Teile der Nase, es hatte ihn "voll erwischt" und verseucht. 1989/90 hatte er eine 16stündige Operation in Lyon, bei der eine totale Entfernung des Augapfels samt Augenhöhle durchgeführt wurde, jetzt geschützt und verborgen durch ein großes Pflaster. Er ist glücklich, noch selbständig atmen zu können. Er erzählt, wie man damals der Öffentlichkeit sagte, dass der radioaktive Staub der Atombombe "nicht gefährlich" sei - was nachweislich nicht stimme. Ein anderer Veteran, Lucien Parfait In Eker, erzählt, man habe damals eine total moderne "Stadt der Wissenschaft" in Reggane aufbauen wollen. Augenzeugenberichte 45 Jahre später lauten: "Wir verlangen die Anerkennung der Verletzung, die uns damals angetan wurde", "Wir konnten nichts mehr sehen". Frankreich habe damals behauptet, es habe niemand in der Region gelebt. Der "Atom"-Tunnel war im Gebirge bei Reggane gebaut worden, die Hammoudia-Basis war luxuriös mit Schwimmbad. Später wurde alles dem Erdboden gleichgemacht, um die Versuche zu vertuschen. Frankreich habe weder betroffene Franzosen noch Algerier in irgendeiner Form über die Folgen der Atomversuche informiert oder gar darauf vorbereitet. Während die USA und Großbritannien inzwischen gesundheitliche Folgeschäden (vor allem Krebs) der Atomversuche in Japan und im Pazifik anerkannt habe, sei dies mit Frankreich bis heute nicht der Fall gewesen. Interviewte algerische Ärzte äußern sich kritisch wie vorsichtig. Es gebe eine Häufung des Auftretens von Leukämie und körperlichen Verstümmelungen in der Region um Reggane und Hammoudia; die Schwierigkeit der Beweisführung sei ähnlich wie beim Tabakkonsum. Die Ärzte haben bisher keine statistischen Erhebungen, die eindeutige Aussagen als empirische Werte zulassen würden darüber, ob die heutige Krebserkrankung eine Folge radioaktiver Verstrahlung damals sei. Die französischen Veteranen bedanken sich am Ende beim Regisseur für seine Arbeit, Sensibilität und Aufmerksamkeit. Er sei der Erste, der sich dafür interessieren würde. Eindrucksvoll ist die Tirade eines alten Mannes, der anklagt: "Als die Franzosen hierher kamen, brachten sie eine gute Infrastruktur mit und bauten für uns Wasserleitungen. Alles haben sie am Ende wieder kaputtgemacht, als sie gingen und die Wüste verließen - aber warum haben sie diesen Bunker nicht entfernt? Wir wollen dieses Ding nicht! Franzosen und Algerier sollen dieses Ding entfernen!" und deutet auf den hässlichen Beton-Atombunker. -

Die Algerier haben in der Wüste ein Denkmal zur Erinnerung an "Gerboise Bleue" errichtet.