Margrit Prussat: Bilder der Sklaverei. Fotografien der afrikanischen Diaspora in Brasilien 1860-1920, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2008, 247 S., ISBN 978-3-496-02816-1, EUR 49,00
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Sklaverei und afrikanische Diaspora - das wird meist viel stärker mit Nordamerika und der Karibik als mit Südamerika verbunden. Im Konzept des "Black Atlantic", wie er von Paul Gilroy zu Beginn der 1990er-Jahre entworfen worden ist, steht Südamerika weniger im Fokus der Betrachtungen. [1] Das Gleiche gilt auch für die visuelle Präsenz von Sklaven, Sklaverei und afrikanisch-stämmiger Bevölkerung in der Forschung.
Bilder der Sklaverei von Margit Prussat zeigt, wie diese Lücke überwunden werden kann. Es ist ein gelungener Einstieg in die Thematik. Auf systematische Weise wird das Forschungsfeld erschlossen. Das theoretische und methodische Rüstzeug wird knapp vorgestellt, die Quellen als Objekte sowie ihre Überlieferungsgeschichte werden kritisch gewürdigt, Forschungsstände zu Fotografie, Sklaverei in Brasilien und visueller Ethnologie umrissen. Methodisch hat sich Prussat für eine seriell-ikonografische Vorgehensweise entschieden, bei der sie sich auf bildwissenschaftliche Positionen (u.a. Hans Belting) und Ansätze der visuellen Ethnologie (z.B. Elisabeth Edwards) bezieht. Die acht Abschnitte des Buches gliedern die Studie übersichtlich, wobei - sehr wichtig - die Frage nach der Distribution und Publikation der Bilder einen eigenen Abschnitt erhält.
Zentrales Anliegen ist die Analyse der fotografischen Überlieferung der afrobrasilianischen Bevölkerung zwischen 1860 und 1920 im historischen Kontext. Hierbei geht es um Fragen nach dem Stellenwert speziell der fotografischen Repräsentation der Afrobrasilianer vor dem Hintergrund der Abschaffung der Sklaverei in Brasilien (endgültig 1888) und der staatlichen Umwälzungen, die 1889 vom Zweiten Kaiserreich zur ersten Republik führten. Aber der Kontext besteht nicht allein in den politischen wie sozialen Umständen, in denen die Fotografien aufgenommen und genutzt wurden, sondern ebenso in der bildlichen "Tradition" und den medialen Eigenheiten der Fotografie, die ebenfalls berücksichtigt werden. Die Nutzung der Fotografien von ihren Produzenten, im Rahmen von Publikationen in Wissenschaft (Ethnologie und Medizin) und Justizwesen werden vorgestellt. Prussat kann so ein Geflecht entwerfen, welches die Bilder ästhetisch, kulturell und funktional einordnet und damit verdeutlicht, dass die Bilder an sich zwar stets mehrdeutig sind, aber eben nicht willkürlich Sinn erzeugen.
Einer der wichtigsten Effekte der Fotografie, ihren Gegenstand als real zu vermitteln, ist für die Bilder der Afrobrasilianer deswegen bedeutsam, weil sie deren ungebrochene Zuordnung zu bestimmten Räumen, Funktionen und Tätigkeiten suggerierten. Somit blieben die sozioökonomischen Zuordnungen der Afrobrasilianer in der fotografischen Reproduktion unverändert von ihrer Emanzipation. Das Gleiche gilt für die ethnischen Zuschreibungen, die durch Bildtexte vorgenommen werden: Sie schufen Zuordnungen, die letztlich Fantasieprodukte zeitgenössischer Beobachter darstellten, wenngleich sie dem damaligen Wissensstand gemäß erzeugt waren. Ausgeblendet wurden nähere Umstände afrobrasilianischer Kultur, so blieb in den zeitgenössischen Texten zu einer Reihe von Bildern, die offensichtlich Frauen einer afrobrasilianischen Religionsgemeinschaft zeigten, dieser Umstand unerwähnt. Hier wurde vor allem der spezifische Typus von "Frau" hervorgehoben, nicht aber die konfliktträchtige religiöse Vergemeinschaftung.
Insgesamt lässt sich eine sozial stabilisierende Funktion der Bilder ableiten, die sich somit als ein Bedürfnis der weißen, politisch dominierenden, Bevölkerungsgruppe Brasiliens lesen lässt. Zudem stellt Prussat ein mediales Verschwinden die Afrobrasilianer in den Jahrzehnten nach 1888 fest, bzw. in späterer Zeit eine Festschreibung auf die Bereiche Exotik, Sport und Musik, was wiederum eng mit dem Adressatenkreis der illustrierten Publikationen zusammenhängt - der weißen Mittelschicht.
Es zeigt sich also, dass Fotografie in all ihren Erscheinungsformen vor allem ein Instrument in den Händen der damals dominierenden gesellschaftlichen Gruppen gewesen ist. Hierbei spielten Fremdzuschreibungen durch nordamerikanische und europäische Reisende und Wissenschaftler eine erhebliche Rolle, denn deren Auffassungen wurden wieder nach Brasilien zurückgespielt - etwa in Publikationen. Dies wiederum wurde vom offiziellen Brasilien aufgenommen und beispielsweise über die Weltausstellungen auch wieder nach außen hin präsentiert. Deutlich wird somit die stete zirkuläre Austauschbeziehung zwischen Eigenbeschreibung und Fremdzuweisungen. Hier zeigt sich, dass der Austausch nicht nur intern, sondern eben auch extern bedeutsam oder besser: eigentlich nicht voneinander zu trennen ist.
So überzeugend die Argumentation ist und so vorsichtig der Umgang mit den Quellen vorgeführt wird, es stellen sich doch einige Fragen, die allerdings übergreifende Aspekte berühren, die nur teils mit dem Buch zusammenhängen. So fällt auf, dass die afrobrasilianische Bevölkerung eigentlich nur auf der Folie der "Sklaverei" betrachtet wird und dass die zahllosen Abstufungen der sehr heterogenen Bevölkerung sowie die auch vor der Beendigung der Sklaverei freien Afrobrasilianer eine geringere Rolle spielen. Hier wäre vielleicht auch eine Diskussion des Begriffs der "Afrikanischen Diaspora" sinnvoll gewesen. Mag sein, das dies als Sammelbegriff gebraucht ist, der synonym zu "afrobrasilianischer Bevölkerung" verwendet wird, aber es schwingt doch mehr durch den Begriff 'Diaspora' mit: Wer gehört dazu, wer nimmt die Zuschreibungen vor und wie wandelt sich dies in der Zeit? Wie Prussat exemplarisch verdeutlicht, ist etwa die Zuschreibung von Bahia als Brasiliens "afrikanischster" Stadt eine neuere Erfindung, die auch auf Grundlage des schon im 19. Jahrhundert verbreiteten fotografischen Bildes erfolgt. Dies dient bestimmten Zwecken - gegenwärtigen des Tourismusmarketings. Hier wäre insgesamt mehr Diskussion wünschenswert gewesen. Dagegen fallen kleinere Unklarheiten wenig ins Gewicht - so ist der einfache Stil mit einfachem Hintergrund von Carte-de-Visit in den frühen 1860er-Jahren nicht ungewöhnlich, wohingegen die Vignettierung von "anthropologischen" Porträts durchaus eine Bemerkung verdiente.(85)
Das aber schmälert das Verdienst des Bandes nicht, der ja auch als Anregung weiterer Forschungen verstanden sein will und nicht als erschöpfende Diskussion des Gegenstandes. Die erfrischende Offenheit, mit der Prussat auf die eigene spezifische Auswahl von Quellen, auf Lücken der Forschung und Probleme der Archive hinweist, ist vorbildlich. Diesem Buch sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen.
Anmerkung:
[1] Vgl. hierzu jedoch Michael Zeuske: Sklaven und Sklaverei in den Welten des Atlantiks, 1400-1940. Umrisse, Anfänge, Akteure, Vergleichsfelder und Bibliografien, Münster / Hamburg / London 2006 sowie Ders.: Globalgeschichte der Sklaverei. Menschen als Ware gestern und heute, Zürich 2009.
Jens Jäger