Torrance Kirby (ed.): A Companion to Richard Hooker (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 8), Leiden / Boston: Brill 2008, XXXVII + 670 S., ISBN 978-90-04-16534-2, EUR 131,00
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Richard Hooker (1554-1600) war Geistlicher der Englischen Kirche. In seinem opus magnum "Of the Lawes of Ecclesisticall Politie" (Buch I-V 1593-97, VI und VIII 1648, VII 1662) vertrat er mit großem theoretischem Begründungsaufwand (Naturrecht) die Herrschaft von Krone und Parlament über die bischöflich organisierte Kirche, in deren Organisationsstruktur und Kultus spätmittelalterliche Vorgaben vielfach fortlebten. Seine Gegner und Gesprächspartner waren Protagonisten der Papstkirche, vor allem jedoch die puritanischen Verfechter einer presbyterial-synodal organisierten Nationalkirche.
Wer sich einen fundierten Gesamtüberblick verschaffen möchte, der lese zunächst den glanzvollen Schlussaufsatz des Bandes von D. MacCulloch über "Richard Hooker's Reputation" (563-613), welche zwei Seiten hat: "one his reputation as ecclesiastical authority, the other his usefulness as a political theorist of consent and contract" (596). Das Interesse am Politiktheoretiker findet in diesem "Companion" keine hinreichende Nahrung (Ausnahme: D. Appley, "Royal Supremacy", 503-534, bes. 522-527). Auf ihre Kosten kommen allerdings kirchen- und theologiegeschichtlich Interessierte, wenngleich hier der Frage- und Wahrnehmungshorizont ganz und gar englisch bestimmt ist: Die "continental" bzw. "magisterial reformers" bleiben blasse Schemen. Die Frage, was der "Calvinismus", der je länger je mehr zum Zankapfel in England wurde, mit Calvin zu tun hatte, wird nirgends gestellt. Ausführungen über Luther wie die von William H. Harrison ("The Church", 305-336, hier: 320) oder Dean Kernan ("Jurisdiction and the Keys", 435-479, hier: 446-449) sind in einem seriösen wissenschaftlichen Kontext erstaunlich, und es überrascht dann auch nicht, wenn ganz und gar frühscholastische bußtheologische Gedankengänge als genuin reformatorisch eingestuft werden (478f.).
Kontextualisierende Seitenblicke fallen aus, und das ist bedauerlich: Es hat ja im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert durchaus kontinental-reformierte und katholische Entwürfe einer christlich-konfessionell gesteuerten Gesellschaftstheorie gegeben! Und auch im Luthertum hat ein Johann Gerhard, ebenfalls extensiv und intensiv auf scholastische Naturrechtstheorien zurückgreifend, eine Theorie von Kirche und Gesellschaft vorgelegt, welche den Vergleich mit der Hookers nicht scheuen muss - wenn man in Rechnung stellt, dass Gerhard das deutsche Landesfürstentum vor Augen hatte und nicht das England der Spätzeit Elisabeths I., welches sich anschickte, nach außenpolitisch verschwendeten Jahrzehnten die bisherigen Weltmächte in die Schranken zu fordern.
Diese Grenzen bezeichnen aber zugleich auch den besonderen Wert dieses Handbuches, denn Hooker, sein Werk und dessen Wirkungsgeschichte werden mit ansteckender Liebe zum Detail in ihre ursprünglichen geschichtlichen Bezüge eingeordnet. Die verständnisnotwendigen Fakten zu Hookers Lebensgeschichte bietet Lee W. Gibbs (Life of Hooker, 1-25). In sein literarisches Werk und in die schwer durchschaubare Publikationsgeschichte insbesondere der drei letzten Bücher der "Lawes" führt P. G. Stanwood ein ("Works and Editions I", 27-39). Welch ein Gestrüpp von Vermutungen und Verdächtigungen hier wuchert, bezeugt auf eigene Weise der Beitrag von W. Speed Hill ("Works and Editions II", 41-49): Der 2007 verstorbene Hauptherausgeber der Kritischen Gesamtausgabe von Hookers Werken distanziert sich in aller Form von Hypothesen, die bei der Edition von Buch VI leitend waren.
Die theologischen, kirchen- und gesellschaftspolitischen Debatten, die das elisabethanische England erschütterten und zerrissen, schildert höchst eindrücklich und anschaulich W. B. Patterson ("Elizabethan Theological Polemics", 89-119). Gängigem Verständnis zufolge hat Hooker in diesen Konflikten von überlegener wissenschaftlicher Warte aus als Anwalt der Mäßigung, der Duldsamkeit, kurz: des Goldenen Mittelweges, agiert. Dieses Bild setzt auch Rowan Williams, der Erzbischof von Canterbury, ("Foreword", XV-XXVI) voraus, wenn er auf der Suche nach Hookers Gegenwartsbedeutung mit dem "Zauberstab der Analogie" (Harnack) recht kühn Linien zwischen dem elisabethanischen Puritanismus und islamischen Fundamentalismen zieht.
Ein deutlich profiliertes, sehr einleuchtendes Gegenbild hierzu zeichnet Rudolph P. Almasy ("Rhetoric and Apologetics", 121-150): Er stellt den literarischen Gestus und die rhetorischen Stilmittel der "Lawes" vor und zieht aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass Hooker keineswegs von eigenwüchsigen Theorieinteressen geleitet war, sondern unter Rückgriff auf ein außerordentlich reich bestücktes Arsenal von wissenschaftlichen Waffen in des Wortes umgangssprachlichem Sinne Kirchenpolitik machte: Die irenische, philosophisch distanzierte Attitüde sei Stilisierung; in advokatorischer Manier verfechte er schlicht die nun einmal seit 1559 gegebenen Verhältnisse: "Hooker's goal was not truth; it was power" (132). Zum gängigen Bild von Hooker als einem Kirchenvater der Mäßigung und Toleranz passt das nicht. Diese energisch zupackende, ihrerseits rhetorisch eindrucksvoll vorgetragene Interpretation prägt sich nachhaltig ein, und beim Studium der Beiträge erinnert man sich immer wieder an sie, vor allem dort, wo Hooker es schafft, Widersprüche zwischen theoretischen Postulaten und praktischen Gegebenheiten als bloß scheinbar zu erweisen.
Anders verhält es sich bei denjenigen Beiträgen, die den Theologen Hooker schildern. Sein Herz schlug offenbar bei einem Idealbild der Kirche, die vollmächtig und zuverlässig die Schrift auslegt (Egil Grislis, Scriptural Hermeneutics, 273-304) und in den beiden (nicht sieben!) Sakramenten die heilig machende Gnade vermittelt (William H. Harrison, "The Church", 305-336). Ihre bleibend normative Realisationsgestalt hat die Kirche in der Antike/Spätantike gefunden: Hookers Traditionalismus und seine theologischen Sachinteressen fließen in einer patristisch rückgebundenen Spielart von Logos-Theologie gleichsam ineinander (W. J. Torrance Kirby, "Reason and Law", 251-271).
Hierdurch ist auch sein Umgang mit spezifisch reformatorischen theologischen Themen gesteuert. Die begriffstechnischen Kunststücke, die er zur Verharmlosung der Prädestinationsproblematik anwendet, zeigen, dass ihn die gedankliche Wucht von Calvins konsequent durchdachtem Gottesbegriff nie berührt hat (W. David Neelands, "Predestination", 185-219). Der Glaube wird in Hookers theologischem Denken zu einem inhaltlich eher diffusen Gefühl der Hilfsbedürftigkeit (Debora K. Shuger, "Faith", 222-250). Heilsgewissheit trägt er nicht in sich; letztlich liegt seine Bedeutung darin, dass er das Einströmen der sakramental vermittelten Gnade ermöglicht: "There is, of course, no salvation, that is, no justification, without faith. But both faith and sacramental administration are necessary" (W. David Neelands, Christology and the Sacraments, 369-401, hier: 378). Die Wortverkündigung ist folgerichtig dem Sakramentsempfang dienend zu- und untergeordnet (386). Dem Aquinaten gegenüber wahrt Hooker einen "reformierten" Vorbehalt, sofern er die Wirkursächlichkeit der Sakramente bei der Gnadeneingießung (392) abstreitet (395). Es ist deutlich, dass Hooker eine ganz eigentümliche Theologie vertritt. Wollte man sie genauer lokalisieren, so müsste man sein Bild der mittelalterlichen Kirche und der Geschichte des Papsttums erheben. Das ist jedoch eine Aufgabe, die dieser wertvolle "Companion" zwar stellt, aber nicht löst.
Martin Ohst