Athina Lexutt / Volker Mantey / Volkmar Ortmann (Hgg.): Reformation und Mönchtum. Aspekte eines Verhältnisses über Luther hinaus (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 43), Tübingen: Mohr Siebeck 2008, VI + 276 S., ISBN 978-3-16-149638-7, EUR 84,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2012
Thomas Kaufmann: Luthers "Judenschriften". Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung, Tübingen: Mohr Siebeck 2011
Hans Medick / Peer Schmidt (Hgg.): Luther zwischen den Kulturen. Zeitgenossenschaft - Weltwirkung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004
Virpi Mäkinen (ed.): Lutheran Reformation and the Law, Leiden / Boston: Brill 2006
Anlässlich des fünfhundertsten Jahrestages von Luthers Klostereintritt sowie des 70. Geburtstags des Lutherforschers Karl-Heinz zur Mühlen widmete sich vom 12. bis 14. April 2005 ein Symposion in der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier dem Verhältnis von Mönchtum und Reformation. Für den vorliegenden von Athina Lexutt, Volker Mantey und Volkmar Ortmann herausgegebenen Tagungsband wurden die Vorträge dieses Symposions um drei weitere Beiträge ergänzt. Neben biographischer Betrachtung der Person Luthers sollte dabei sowohl die Epoche der Reformation in den Blick kommen als auch die Wahrnehmung des Verhältnisses von Mönchtum und Reformation "neben und außer Luther" (2) etwa im reformierten Protestantismus oder in der Lutherrezeption des 18. und 19. Jahrhunderts. Der weite chronologische Bogen des Bandes beginnt mit der monastischen Theologie Bernhards von Clairvaux und reicht bis zur Lutherforschung des 20. Jahrhunderts. Dabei ist der Herausgeberin und den Herausgebern bewusst, dass das Spektrum der Beiträge auch thematisch und methodisch weit auseinander geht: "Insgesamt wird ein Kaleidoskop an Themen geboten, das genug Anregungen zu weiteren Untersuchungen auffächert" (3).
Der räumliche Bezugsrahmen sowohl der Forschungskontexte als auch der behandelten Fragestellungen umspannt ganz überwiegend deutschsprachige Gebiete.
Das Spektrum der Beiträge lässt Bandbreite und Gegenwartsrelevanz der Frage nach Reformation und Mönchtum erkennen. Christoph Burger geht etwa von einem grundsätzlichen Konflikt zwischen einem monastischen "Sonderweg" und dem reformatorischen Widerspruch dagegen aus. "Die bloße Existenz eines Sonderwegs stellte ja die Suffizienz der 'normalen' Gestaltung christlichen Lebens in Frage." (7) Der von Burger verwendete Begriff einer innerchristlichen "Elite" ist in diesem Zusammenhang vor allem sachlich zu hinterfragen. Daneben ist die Begriffswahl schlicht unglücklich, da sie zu polemischen Überspitzungen und thematischen Aberrationen reizt.
Ulrich Köpf untersucht die Wurzeln reformatorischen Denkens in der monastischen Theologie Bernhards von Clairvaux. In sieben grundlegenden Fragen exemplifiziert er die Bernhard-Rezeption Luthers, der sich mit Bernhard im monastischen Typus der Theologie treffe, welcher vom scholastischen klar zu unterschieden sei. Die Ablösbarkeit der monastischen Theologie vom monastischen Leben benennt Köpf als wichtige Voraussetzung für eine Persistenz monastischen Gedankenguts, "als im Einflussbereich des Protestantismus das klösterliche Leben weitgehend zum Erliegen gekommen war" (36), vertieft die Betrachtung an dieser Stelle aber leider nicht.
Eine klare Alternative zwischen Mönchtum und Reformation stellt dagegen Manfred Schulze in den Schriften Jakob Wimpfelings (1450-1528) fest, der sich in konkretem Gegensatz vor allem zu Vertretern der Bettelorden befand und eine Kirchenreform bestenfalls gegen die Mönche, nicht aber mit ihnen anstrebte.
Durch seine an Luthers Person orientierte Fragestellung kann Volker Leppin wirksame Einflüsse auf die frühe theologische Prägung des Reformators sichtbar machen. Im Anschluss an Helmar Junghans [1], der gezeigt hat, dass Reformation und Humanismus sich nicht entkoppeln ließen, deutet er die Anfänge Luthers im Lichte der im Humanismus und im Mönchtum gesetzten Alternativen zur scholastischen Wissensform. "Um 1500, am Vorabend der Reformation, befindet sich Deutschland in einer Situation, in der sich zwei geistige Strömungen, die sich zuvor sozial und inhaltlich als Alternativen zur scholastischen Theologie verstanden haben, beiderseits neu der Universität bemächtigen [...]. Und von hier aus liegt es dann auch nahe, Luthers Anfänge als Bemühungen um die Verbindung von humanistischer und monastischer Reformtheologie zu verstehen" (95).
Berndt Hamm plädiert für eine erweiterte Verortung der reformatorischen Entdeckungen im Leben Luthers. Das Konstrukt eines punktuellen Ereignisses (reformatorische Wende) stellt er grundsätzlich in Frage, um Luthers Werdegang als prozesshaftes Geschehen beschreiben zu können, in dem immer wieder "plötzliche Erkenntnisse von großer Tragweite" (105) auftreten. In diese Perspektive sind die Anfechtungserfahrungen Luthers in seinen ersten Klosterjahren einzubeziehen, da der Bruch mit der mittelalterlichen Religiosität schon in der Auflösung des Kausalbezuges "zwischen der Tugendqualität und -aktivität des Menschen und dem Zielgewinn des ewigen Lebens" (142) liege. Hamms instruktiver Beitrag wurde allerdings in nahezu gleich lautender Formulierung und unter identischem Titel bereits 2007 in einem thematisch verwandten Tagungsband in derselben Reihe abgedruckt. [2]
Eine schweizerische Perspektive bietet Marc van Wijnkoop Lüthi, der im Anschluss an René Bornert [3] nach Kontinuitäten benediktinischen Gedankenguts bei Wolfgang Musculus (1497-1563) fragt. Musculus verließ den Benediktinerorden im Jahre 1527 und wurde als Reformator in Bern bekannt.
Herman J. Selderhuis erweitert die mit Musculus angeklungene reformierte Perspektive durch einen Beitrag zur Lutherrezeption der Heidelberger Theologen in der Zeit zwischen 1583-1622. Mit einem Rekurs auf die Heidelberger Disputation stellt Selderhuis einen eher lockeren Bezug zum Thema des Bandes her, indem er den Anspruch der Heidelberger Theologen auf Kontinuität mit der Lehre Luthers diskutiert. In irenischer und ökumenischer Absicht grenzten diese sich von der Bezeichnung "Calvinisten" ab, um sich gegen Luthers Nachfolger auf den Wittenberger Reformator zu berufen.
Athina Lexutt untersucht in ihrem Beitrag, wie Johann Salomo Semler mit einem Dictum Luthers rang. Der Reformator hatte oratio, meditatio und tentatio zu grundlegenden Elementen im Leben eines jeden Theologen bestimmt. In Semlers unzureichendem Versuch, diese Trias im Mönchtum zu verorten, das er recht kurz gegriffen als überwundene mittelalterliche Lebensform klassifiziert, erkennt Lexutt eine verkappte Auseinandersetzung mit dem Halleschen Pietismus. Sie befindet sich also in vornehmster Gesellschaft, wenn sie das Lutherwort ihrerseits zum Anlass nimmt, um in der Auseinandersetzung mit Vertretern evangelikaler Richtungen für ein neues Nachdenken über "die Aufgabe der Theologie im gesamtgesellschaftlichen, kulturellen und politischen Diskurs" zu plädieren und "ihre Wissenschaftlichkeit gegen dummdreiste Anfragen und nicht weniger dummdreiste Ignoranz zu behaupten" (211). Die Rezensentin gibt Frau Lexutt durchaus Recht, hätte sich aber einen gemäßigten Ton für diese richtigen und wegweisenden Ausführungen gewünscht.
Der ansprechend klare Beitrag von Volker Mantey nimmt die Frage nach Kontinuität und Abgrenzbarkeit auf, indem er die Charakterisierung der Reformation als Epoche vor allem im Hinblick auf das Spätmittelalter bei Ferdinand Christian Baur (1792-1869) untersucht. Folgerichtig konzentriert Mantey sich hierbei auf die Scholastik. Zu Mystik und Mönchtum äußert er sich nicht.
Der Literaturüberblick Volkmar Ortmanns unter der Überschrift "Luther und das Mönchtum als Thema der Lutherforschung im 20. Jahrhundert" konzentriert sich auf deutschsprachige Forschung. Dem chronologischen Bogen des Tagungsbandes folgend ist er an vorletzter Stelle positioniert. Da er die Aussagen vieler Beiträge in diesem Band in sehr hilfreicher Weise kontextualisiert, hätte er noch besser an einleitender Position stehen können.
Einen schönen Einblick in die Entstehung und heutige Gestalt von Kommunitäten in den Kirchen der Reformation bietet Christoph Joest, evangelischer Pfarrer und Prior des Brüderzweiges in der Jesus-Bruderschaft Gnadenthal, indem er von Vorläufern im radikalen Flügel des Pietismus über Johann Hinrich Wichern und die Diakonissenhäuser des 19. Jahrhunderts schließlich zu Neuaufbrüchen im 20. Jahrhundert gelangt.
Die Beiträge des Tagungsbandes vereinen profunde Geschichtsbetrachtung mit gegenwartsrelevanten Fragestellungen und sparen auch den unmittelbaren Kontakt zu aktuellen Diskursen nicht aus. Das weit gefächerte Spektrum der Beiträge macht den Band für ein großes Publikum interessant. Mit seinen unterschiedlichen Zugängen zu der Frage nach "Reformation und Mönchtum" bietet der lesenswerte Band viele Anregungen dazu, sich einem Thema von grundlegender Bedeutung zu nähern.
Anmerkungen:
[1] Helmar Junghans: Der junge Luther und die Humanisten, Göttingen 1985.
[2] Berndt Hamm: Naher Zorn und nahe Gnade. Luthers frühe Klosterjahre als Beginn seiner reformatorischen Neuorientierung, in: Christoph Bultmann / Volker Leppin / Andreas Lindner (Hgg.): Luther und das monastische Erbe, Tübingen 2007, 111-151.
[3] René Bornert: Wolfgang Musculus und das Benediktinische Mönchtum des ausgehenden Mittelalters und der Reformationszeit im südwestlichen Raum, in: Rudolf Dellsperger / Rudolf Freudenberger / Wolfgang Weber (Hgg.): Wolfgang Musculus (1497-1563) und die oberdeutsche Reformation, Berlin 1997.
Vera von der Osten-Sacken