Peter Sherlock: Monuments and Memory in Early Modern England, Aldershot: Ashgate 2008, xiv + 282 S., ISBN 978-0-7546-6093-4, GBP 55,00
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Mit Monuments and Memory in Early Modern England legt der australische Historiker Peter Sherlock eine beeindruckende Studie vor, die sich dezidiert mit der binären Funktion von Grabmälern der englischen Oberschicht und Aristokratie des 16. und 17. Jahrhunderts beschäftigt (1540-1640).
Dank Sherlock ist nun auch die Grabmalkultur des frühneuzeitlichen Englands sehr aufschlussreich erfasst. Zudem widmet sich der Autor in seinen Einzeluntersuchungen auch den farbigen Glasfenstern der Zeit, die bislang selten in einer so groß angelegten Arbeit berücksichtigt worden sind. Daher ist kaum zu leugnen, dass es sich um einen sehr wichtigen Beitrag handelt, der die von Nigel Llewellyn, Funeral Monuments in Post-Reformation England (Cambridge, 2000) und Peter Erickson, Early Modern Visual Culture: Representation, Race, and Empire in Renaissance England (Philadelphia, 2000) jüngst vorgelegten Arbeiten ergänzt.
Ausgehend von Pierre Noras Forderung, Monumente als loci memoriae aufzufassen [1], unternimmt Sherlock den Versuch, die Grabmäler in ihrer Doppelfunktion als Orte des Erinnerns und Ermahnens im Hinblick auf ihre jeweilige kulturelle und soziale Bedeutung in ausgewählten Kontexten zu untersuchen. Sherlock erkennt in der Kontextualisierung die Möglichkeit, sich den ursprünglichen sozialen und kulturellen Bedeutungen der Grabstätten anzunähern, das heißt im Sinne des vom Autoren implizierten Bildes von der Grabstätte als Sprachrohr, ihre Botschaften wieder hörbar zu machen. Methodologisch stützt er sich hierbei auf die von Peter Burke formulierte Forderung, jedes Monument solle der visuelle und materielle Beweis eines eigenständigen Geschichtsbildes sein, das neue Fragen und Antworten über das frühneuzeitliche England aufwirft - getreu der Fragestellung was geschehe, wenn Historiker zuhören, wie Menschen in der Vergangenheit versuchten in Erinnerung zu bleiben: "What happens when historians listen to how people in the past wanted to be remembered?" (14).
Wohlwissend, dass jedes Grabmal in Komposition, Wirkung und Aussage genuin ist und einen eigenen selbstständigen Kontext bildet, schränkt Sherlock dennoch ein, dass es nicht das Ziel der Studie sei, umfassende oder gar typologisch bindende Ergebnisse zu liefern. Vielmehr sei es das Vorhaben, die Vielfältigkeit und Mehrdeutigkeit der einzelnen sakralen Erinnerungsstätten im Bezug auf Wort und Bild nachvollziehbar, respektive erfahrbar zu machen.
Der Fokus auf das einzelne Grabmal, dem sich Sherlock bewusst über die Inschrift annähert, die er für den zentralen Bestandteil eines jeden Grabmals hält, bewirkt jedoch den kumulativen Charakter der Arbeit. Folglich bleiben die Kapitel in sich geschlossene, aussagekräftige Einzelbetrachtungen, die der Autor zwar versucht, durch Überleitungen gegen Ende der einzelnen Kapitel thematisch zu verbinden, doch wirkt dies eher hölzern und erweckt den Eindruck, es handele sich um eine Sammlung ausgearbeiteter differenzierter Einzeluntersuchungen. Nicht nachvollziehbar bleibt zudem die Entscheidung des Autors, die für den Kontext der Arbeit grundlegenden Kapitel zu Reformation und Renaissance nicht der Einleitung anzuschließen, sondern sie, einem Einschub gleich, zwischen die Kapitel 3 und 6 zu setzen.
Der Einleitung folgend, in der wiederholt auf die Verflechtung von Identität und Gedächtnis hingewiesen wird, die konstituierend für die englische Nation im Allgemeinen sowie für die aristokratischen Familien im Besonderen wirkt, wird das Augenmerk auf die Tatsache gelenkt, dass Grabmäler der aristokratischen Oberschicht Zeichen des Fortbestands und der Kontinuität des Geschlechts sind. Denn ohne Zweifel sind im frühneuzeitlichen England Kontinuität und Abstammung feste Größen in der politischen Vorstellungswelt und sichern der adeligen Oberschicht zeitüberdauernd Ansehen und Autorität.
Eine der wohl anschaulichsten Grabstätten zur Verdeutlichung dieses Bestrebens nach visualisierter Kontinuität ist - nach Sherlocks Ermessen - das Monument, das in der Gemeinde Swinbrook in Oxfordshire drei Generationen der Familie Fettiplace abbildet. Es zeigt die Bildnisse dreier männlicher Mitglieder der Familie, die übereinander liegend ein Jahrhundert fortdauernder Dynastie manifestieren. Das Bedürfnis, genealogischen Stolz und Langlebigkeit dokumentieren zu können, ist mit diesem Grabmal vollends erreicht, das zudem den erfolgreichen Verlauf der Familiengeschichte über ein Jahrhundert beweist. Oftmals steht am Ende dieser Vorgehensweise, die Peter Sherlock mit Hilfe weiterer Beispiele belegt, ein Familiengeschichtskonstrukt, das zwar die Nachfahren beeindruckt, die Geschichte der Familie jedoch nicht (immer) wahrheitsgetreu wiederzugeben vermag.
Nach der Einordnung der ausgewählten Grabmalkontexte in die jeweiligen Familiengeschichten folgt eine deskriptive Betrachtung einzelner Bildnisse. Hierbei hebt Sherlock die multiperspektivischen Darstellungsmöglichkeiten hervor, die ein Grabmal (cadaver tomb) besitzt, in das ein steinernes Abbild des Verstorbenen eingearbeitet ist. So können viele Ereignisse im Leben der Toten (z.B. mehrere aufeinanderfolgende Ehen oder mehrere Kinder) in einem Bildnis eingefangen werden, wie er es eindeutig am Grabmonument des Earl of Rutland und seiner Frau Margaret Nevill in Bottesford, Leicestershire zeigt.
Ebenso bedeutungsträchtig wie das Bildnis erweist sich oftmals die Grabinschrift, die sich nicht nur im Sinne des topischen memento mori religiös mahnend, sondern auch humorvoll bis satirisch an die Hinterbliebenen und Betrachtenden wendet. Ungeachtet individuell und regional bedingter Unterschiede zwischen den Epitaphen bleiben die Furcht vor dem Tod und die Mahnungen an die Nachwelt die zentralen Themen der Inschriften: "What I ame thou seist / What I have byn thou knowest / As I ame thou shalt be / What thou art remember thys" (80). [2]
Die Frage, ob englische Grabmonumentalbauten im Zuge der Reformation oder im Vergleich mit europäischen Moden in der Renaissance Veränderungen aufweisen, wird nicht ausreichend beantwortet. Besser dagegen gelingt Sherlock die Darstellung der unterschiedlichen Erwartungshaltungen zeitgenössischer Betrachter sowie der Funktion der Grabmäler in den gesellschaftlichen Diskursen der Zeit, in der sie zur Manifestation ästhetischer oder religiöser Ziele herangezogen werden konnten. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse präsentiert Sherlock dann im Abschlusskapitel eine analytisch luzide Einzelbetrachtung des Grabmonuments des Baron of Dundalk, Edward Lord Gorges, an das er sich mit den Fragestellungen der vorangegangenen Kapitel begibt.
Peter Sherlocks Beitrag wird sich auf jeden Fall durchsetzen, da er nicht nur gut zu lesen ist, sondern auch sehr detailreich abgefasst wurde. Die Abbildungen sind von guter Qualität. Es ist überdies sehr begrüßenswert, dass sich Sherlock an die ursprüngliche Typographie der Grabinschriften hält und nicht - wie leider viel zu oft üblich - das Druckbild modernisiert.
Anmerkungen:
[1] Pierre Nora: Between Memory and History: Les Lieux de Mémoire (1984), Representations 26 (1989), 12.
[2] Malcolm Norris: Monumental Brasses: The Memorials, 2 Bde., London 1977, Epitaph 168.
Christof Ginzel