Christian Chmel: Die DDR-Berichterstattung bundesdeutscher Massenmedien und die Reaktionen der SED (1972-1989), Berlin: Metropol 2009, 460 S., ISBN 978-3-940938-51-0, EUR 24,00
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Die Berichterstattung bundesdeutscher Medien über die beiden letzten Jahrzehnte der DDR ist inzwischen keine Terra incognita mehr. Christian Chmels überarbeitete, quellengesättigte und erschöpfend literaturgestützte Dissertation ist ein Beleg dafür. Der Autor sah indes noch eine Forschungslücke, weil bei den zum Thema vorliegenden medien- und geschichtswissenschaftlichen Arbeiten nicht alle erforderlichen Perspektiven berücksichtigt worden seien. An Letzteren bemängelt er, dass sie "ohne eine gründliche Analyse der journalistischen Texte Bewertungen der bundesdeutschen DDR-Berichterstattung" vorgenommen hätten (27). Seine Urteilsbildung basiere demgegenüber auch auf einer umfangreichen "Inhalts- bzw. Diskursanalyse" der von ihm ausgewählten meinungsbildenden Printmedien. Doch hier ist einzuwenden, kontroverse redaktionsinterne Vorgänge lassen sich nur begrenzt durch quantitative und qualitative Inhaltsanalysen von Presse- und Sendetexten transparent machen.
Neben der Einleitung sowie der ausführlichen und systematisch gegliederten Zusammenfassung hat Chmel seine Untersuchung in folgende Kapitel unterteilt: Arbeitsbedingungen der Westkorrespondenten in der DDR; im Untersuchungszeitraum ausgewertete Printmedien (Die Welt, Welt am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und Der Spiegel); das Ende der SED-Diktatur aus historischer Perspektive; die Berichterstattung bundesdeutscher Printmedien am Beispiel ausgewählter Ereignisse in den 1970er und den 1980er Jahren; die Sanktionen des SED-Regimes gegen bundesdeutsche DDR-Korrespondenten; Westkorrespondenten im Visier der Stasi sowie "rückblickende Bewertungen der Akteure zur Rolle der Westmedien im Kontext der Erosion der SED-Diktatur".
Chmels Inhalts- und Diskursanalysen sind erhellend, bringen aber keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Der Welt und der WamS bescheinigt er einen am Ziel der Wiedervereinigung festhaltenden "dogmatischen Antikommunismus" und im Gegensatz zu den linksliberalen Zeitungen (Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung und Die Zeit) eine Gegnerschaft zur Entspannungspolitik. Die "konservativ-liberale" Frankfurter Allgemeine Zeitung habe sich von den Springerzeitungen durch eine sachlichere Argumentation unterschieden. Der Spiegel könne dagegen nicht in ein deutschlandpolitisches "Rechts/Links-Schema" eingeordnet werden (430). Chmel verschweigt nicht die Irrtümer der linksliberalen Blätter, er bewertet sie allerdings äußerst zurückhaltend. Während Jaqueline Boysen in ihrer zeitgleich erschienenen Studie, die ebenfalls ausführlich auf die DDR-Berichterstattung westdeutscher Medien eingeht, die 1986 unter der Leitung des Zeit-Chefredakteurs Theo Sommer entstandene Serie "Reise ins andere Deutschland" zu Recht für das "schändlichste Produkt westlicher Liebedienerei gegenüber der DDR" hält [1], beschränkt sich Chmel auf sanfte Kritik. Die Serie hätte der Zeit "später, nach der Wende, nicht ganz zu Unrecht den Vorwurf unbotmäßiger Konzilianz gegenüber dem SED-Regime" eingebracht (369). Sieht man von einigen fragwürdigen und voreingenommenen Bewertungen ab, ist dem Autor eine umfassende Darstellung über die DDR-Berichterstattung westdeutscher Printmedien gelungen.
Anmerkung:
[1] Jaqueline Boysen: Das "weiße Haus" in Ost-Berlin. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik bei der DDR, Berlin 2009, 242.
Gunter Holzweißig