Rezension über:

Jan Lucassen / Jan Luiten van Zanden / Tine De Moor (eds.): The Return of the Guilds (= International Review of Social History; 16), Cambridge: Cambridge University Press 2008, 270 S., ISBN 978-0-521-73765-4, GBP 17,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Sigrid Wadauer
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Sigrid Wadauer: Rezension von: Jan Lucassen / Jan Luiten van Zanden / Tine De Moor (eds.): The Return of the Guilds, Cambridge: Cambridge University Press 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 6 [15.06.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/06/16551.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Jan Lucassen / Jan Luiten van Zanden / Tine De Moor (eds.): The Return of the Guilds

Textgröße: A A A

Der Sammelband beschäftigt sich mit Zünften in vergleichender, globaler Perspektive. Zünfte, so die Herausgeber im einleitenden Beitrag (5-18), waren nicht nur auf das mittelalterliche oder frühmoderne Europa beschränkt. Zünfte oder zunftartige Institutionen existierten etwa auch in Nordafrika, im Mittleren Osten, in vielen Teilen Asiens sowie in Lateinamerika. Sie florierten in vielen Ländern bis zum Ende des Ancien Régime, in manch anderen bis ins 20. Jahrhundert. Das europäische Verständnis von Zunft wäre dementsprechend ungeeignet, alle Variationen zu erfassen. Zunftartige Institutionen werden hier charakterisiert als mehr oder weniger unabhängige, selbstverwaltende Organisationen von Menschen mit denselben oder ähnlichen Berufen, die darauf abzielen ihre gemeinsamen Interessen in verschiedenen Bereichen durchzusetzen (9). Der einleitende Beitrag will auch den Rahmen eines Vergleiches von Ost bis West, von der Antike bis zur industriellen Revolution formulieren. Nicht überall gab es Zünfte, nicht überall erreichten sie dieselbe Stärke. In vielen asiatischen Städten etwa standen Zünfte in Konkurrenz zu anderen Formen vertikaler Organisation des Arbeitsmarktes, die auf Familie, Kaste, Ethnizität, Religion oder Geburtsort basierten. Unter welchen Umständen konnten Zünfte eine Rolle spielen? Vier Faktoren, so die Herausgeber, könnten die jeweils unterschiedliche Entwicklung erklären: Urbanisierung, politische Ökonomie (das Verhältnis zum Staat, die politischen Machtverhältnisse), Humankapital (etwa Ausbildung, Schriftlichkeit), soziale Beziehungen (etwa die Stärke von Familien- oder Verwandtschaftsbeziehungen).

Notwendig sei aber darüber hinaus auch eine Revision des Blicks auf Zünfte und eine Neueinschätzung ihrer Rolle für die sozio-ökonomische Entwicklung. Viele Forschungen seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts hätten gezeigt, dass Innovation, Unternehmertum, soziale Sicherheit mit den Zünften blühen konnten, dass also die Kritik vieler Zeitgenossen nicht akkurat sei. Wie anders konnten diese Institutionen für so lange Zeit funktionieren? Der Band versteht sich also auch als ein Beitrag zur "Rehabilitierung" der Zünfte, und er beginnt in diesem Sinne mit einer Würdigung von S.R. (Larry) Epstein, dem der Band auch gewidmet ist. Maarten Prak (1-3) skizziert die wichtigsten Thesen Epsteins zur insgesamt positiven Rolle von Zünften in der frühneuzeitlichen Ökonomie, zu ihrer Flexibilität, ihrer Funktion vor allem in der Ausbildung von Fertigkeiten und für technische Innovation.

Die weiteren Beiträge des Bandes thematisieren Zünfte in verschiedenen Ländern und Regionen, wobei insgesamt ein Zeitraum von insgesamt fast tausend Jahren angesprochen wird. Clare Crowston (19-44) zeichnet auf der Grundlage jüngerer Forschungsliteratur ein komplexes und vielfältiges Bild der Rolle von Frauen(-Arbeit) in verschiedenen europäischen Zünften. Mit der politischen Ökonomie europäischer Handwerkszünfte beschäftigt sich Hugo Soly (45-71). Die Effizienz, das Verhalten gegenüber Innovationen etc. lässt sich - wie verdeutlicht wird - nicht aus dem Handwerk oder der Handwerkszunft selbst erklären, sondern aus den jeweiligen Machtkonstellationen sowohl innerhalb der Zünfte als auch insbesondere gegenüber Handel und Regierungen. Dass Zünfte keineswegs auf Städte beschränkt waren, zeigt der Beitrag Josef Ehmers (143-158). Er beschreibt die komplexe örtliche Struktur von Zünften im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit. Dabei hebt er hervor, wie diese - nicht zuletzt durch ihre Funktion hinsichtlich Migration und Arbeitsmarkt - zur Integration ländlicher Gebiete beitrugen. Luca Mocarelli (159-178) beschäftigt sich auf der Grundlage von Daten zu Gründung, Verbreitung und Statuten mit der Funktion von Zünften in den verschiedenen Regionen Italiens. Tine De Moor (179-212) stellt - unter theoretischer Perspektive - Zünfte in einen Zusammenhang mit anderen kollektiven Organisationsformen, wie vor allem "commons" (etwa Markgenossenschaften) und betont dabei deren Ko-Evolution, die "silent revolution", die mit ihrer Entstehung vollzogen wurde.

Andere Beiträge, versuchen eher einen generellen Überblick zur Geschichte von Zünften oder zunftähnlichen Institutionen, so etwa Onur Yildirim (73-93) in Hinblick auf das Ottomanische Reich vom 17. zum 19. Jahrhundert, wobei betont wird, dass sich sozial-und wirtschaftsgeschichtliche Forschungen noch im Anfangsstadium befinden. Tirthankar Roy (95-120), behandelt Zünfte im modernen Süd-Asien. Kollektive Regulationen waren hier in verschiedener Form üblich, formelle Organisationen wie sie europäische Zünfte darstellen hingegen selten. Der Beitrag Mary Louise Nagatas (121-142) beschäftigt sich mit "brotherhoods" (za) und "stock societies" (kabu nakama) im mittelalterlichen bzw. frühmodernen Japan. Christine Moll-Murata (213-247) beschreibt die Verbreitung, Organisation und Funktion von Zünften in China vom 17. bis zum 20 Jahrhundert. Jan Jansen (249-270) schließlich beschäftigt sich mit "Hunter's Associations" in Mali um die Wende zum 21. Jahrhundert.

Während sich die meisten Beiträge zur europäischen Zunftgeschichte also eher mit konkreten Forschungsfragen europäischer Zunftforschung beschäftigen, versuchen andere Beiträge eher einen Überblick. Es wird versucht "Ursprung ", "Aufstieg" und "Niedergang" von Zünften zu beschreiben. Zunächst aber geht es in diesen Beiträgen einmal darum, das Ding zu finden, das dem Wort "Zunft" entspricht. Die Autoren müssen Übersetzungsprobleme bewältigen, sich mit der Herkunft der Bezeichnung beschäftigen (etwa Berichte europäischer Reisender 99, 214) und mit der Frage, inwiefern konkrete auffindbare Organisationen europäischen Zünften entsprechen oder nicht (diese Organisationen waren ja, wie im Sammelband verdeutlicht wird, nicht uniform und erklären sich nicht selbst). Ein Konsens über die Charakteristika der Zunft wäre für einen Vergleich notwendig (9), wie die Herausgeber betonen, aber warum muss dies dann doch das europäische Modell sein? Wäre eine konsequent abstrakte Frage nach gewerblichen Organisationsformen nicht exakter und fruchtbarer als die Frage nach der Zunft und Zunftähnlichem? Im Kontrast dazu nehmen die Beiträge zu europäischen Zünften explizit keine Fragen auf, die sich aus dem Vergleich mit außereuropäischen Institutionen ergeben könnten.

Eine Revision älterer Forschungsmeinungen sei - so die Einleitung des Bandes - auch der Rückkehr zu Quellen und detaillierten Studien zu verdanken (9). Allerdings zeigen die Beiträge recht unterschiedliche Nähe bzw. Ferne zu Quellen und Details, sie müssen ja auf vorliegende Forschungen von unterschiedlicher Dichte aufbauen. Methodologische Reflexion scheinen nicht zwingend Teil des Programms, was wohl auch dem Umstand geschuldet ist, dass die Beiträge meist riesige Gebiete und riesige Zeiträume beschreiben. Müsste man aber, gerade weil es um die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Institutionen geht, nicht auch reflektieren, auf welchen Grundlagen und unter welchen Umständen man zu diesen Überblicken kommt? Viele Artikel kritisieren Sheilagh Ogilvie's [1] zunftkritische Schlussfolgerungen auf der Grundlage ihrer württembergischen Fallstudie. Dementgegen werden die vielfältigen positiven Aspekte zünftischer Organisation hervorgehoben. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Entscheidung zwischen Verwerfen oder Rehabilitieren eine sinnvolle Perspektive ermöglicht oder nicht vielmehr alte Erkenntnishindernisse mit umgekehrten Wertvorzeichen reproduziert. Denn es debattieren ja nicht die Berater des Königs, sondern Historiker und Historikerinnen.


Anmerkung:

[1] Sheilagh Ogilvie: Rehabilitating the guilds. A reply, in: Economic History Review 61/1 (2008), 175-182.

Sigrid Wadauer