Martin Krieger: Tee. Eine Kulturgeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, 291 S., ISBN 978-3-412-20427-3, EUR 24,90
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Peer Vries: Zur politischen Ökonomie des Tees. Was uns Tee über die englische und chinesische Wirtschaft der Frühen Neuzeit sagen kann (= Stabwechsel. Antrittsvorlesungen aus der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien; Bd. 1), Wien: Böhlau 2009, 161 S., ISBN 978-3-205-78341-1, EUR 14,90
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Gleich zwei Veröffentlichungen des Böhlau Verlages des letzten Jahres beschäftigen sich mit Tee und, so viel sei vorausgeschickt, ergänzen sich in ihren Fragestellungen bestens. Martin Krieger, Professor für Geschichte in Kiel, zeichnet in einem kulturgeschichtlichen Ansatz die Geschichte des Teekonsums von seinen immer noch weithin im Dunkeln liegenden Anfängen in China wenige Jahrhunderte nach Christus bis zur "Globalisierung des Tees im 20. Jahrhundert" (Kap. VII) nach. Einige klärende Anmerkungen über Merkmale, Anbau(regionen) und Verarbeitung des Tees stellt er voran. Peer Vries dagegen will in seiner Antrittsvorlesung die Möglichkeiten und Grenzen seiner Herangehensweise an historische Fragestellungen ausloten, die durch die - etwas sperrige - Bezeichnung seines Lehrstuhls umschrieben wird ("Internationale Wirtschaftsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Globalgeschichte und dem Arbeitsschwerpunkt in der Frühen Neuzeit"). Er tut dies anhand der politischen Ökonomie des Tees und zieht dafür den Vergleich zwischen England und China.
Bei beiden Bände, da sei der Verlag lobend erwähnt, ist die grafische Gestaltung außerordentlich gut gelungen: Sie sind mit Fotos (Krieger) und Grafiken versehen und trotz des wissenschaftlichen Anspruchs nicht zu Bleiwüsten verkommen. Zu bemängeln ist hingegen, dass Kriegers Kulturgeschichte nur mangelhaft redigiert wurde und ärgerliche Orthographiefehler aufweist.
Krieger legt seinen Schwerpunkt auf den Teekonsum in Europa, also auf die Verbreitung des Anbaus durch die Handelskompanien für den europäischen Konsum. Folgerichtig widmet der Autor nach der bereits erwähnten Einführung und dem Abschnitt über den Teekonsum im alten Asien - meist erzählt mittels europäischer Berichte der Frühen Neuzeit - die drei folgenden Kapitel dem "Teehandel im Zeitalter der nordwesteuropäischen Handelskompanien" (Kap. IV), "Tee und Konsumkultur in Europa" (Kap. V) und den durch die Briten in Asien neu gewonnenen Anbauregionen im 19. Jahrhundert (Kap. VI), bevor er abschließend auf neue Marketingstrategien und globalisierten Teekonsum im ausgehenden 20. Jahrhundert eingeht.
Eingängig zeichnet er den Weg des Tees vom Anbau durch chinesische Kleinbauern bis zum Konsum in europäischen Teestuben nach. Dabei werden die zunächst von den europäischen Käufern kaum beeinflussbaren Marktstrukturen in China ebenso deutlich wie die Routen und Schifffahrtszeiten der Ostindienfahrer sowie Verbreitung und Teekultur in Europa. Allerdings ist Kriegers Darstellung zum Tee nicht ganz frei von den Problemen, die den meisten Überblicksdarstellungen, die große Zeiträume umfassen, anhaften: sie kann der historischen Entwicklung nicht immer für den Leser nachvollziehbar gerecht werden und verharrt bisweilen eher im anekdotischen Einzelkuriosum. Die sparsame Verwendung von Anmerkungen dient so zwar dem Lesefluss, doch bisweilen hätte man sich genauere Erläuterungen gewünscht. So erschließt sich dem Laien nicht unbedingt, warum der Autor annimmt, im Amsterdam des 18. Jahrhunderts hätten hauptsächlich Frauen den Tee von den Einzelhändlern gekauft, oder woher man weiß, dass es 1749 in Leiden bereits ca. 50 Tee- und Kaffeegeschäfte gab (153), im Vergleich zu wann oder welcher anderen Route die Zahl der Schiffsverluste im 18. Jahrhundert auf der Ostindienroute gering war (109) oder um wie viel die englische Teeeinfuhr ab 1713 die niederländische übertraf. Zwar nennt Krieger die enge Beziehung zwischen Teekonsum und den dessen Bitterkeit mindernden Zucker, versäumt es aber, den anwachsenden Konsum beider Kolonialprodukte mit der beginnenden Industrialisierung in Verbindung zu setzen. [1]
Manche Aussagen sind schlicht falsch. Eben nicht jeder, der es sich leisten konnte, durfte Teilhaber der Vereenigden Oost-Indischen Compagnie werden (117), denn sonst hätten niederländische Kaufleute nicht gegen die Erteilung monopolistischer Privilegien ihr Kapital und ihre Dienste zahlreichen europäischen Höfen angeboten. So kam es auf Betreiben des aus den Diensten der holländischen Kompanie entlassenen Admirals Aernoult Gijsels van Lier und einiger holländischer Kaufleute bereits Mitte des 17. Jahrhunderts zur Privilegierung einer preußischen Ostindienkompanie, auch wenn wohl niemals Schiffe im Auftrag dieser Kompanie Europa verließen (125). Für eine europäische Kulturgeschichte des Tees hätte man sich eventuell auch mehr Angaben zum Teekonsum in Portugal gewünscht, wenn Catharina von Bragança schon als Urheberin des Teekultes in England gilt (154), obgleich zugegeben werden muss, dass es innerhalb der europäischen Geschichtswissenschaften nach wie vor wenige Studien zu diesem Thema gibt.
Das letzte Kapitel über die Vergrößerung der Anbaugebiete über die angestammten Gebiete hinaus dreht sich vor allem um die Intensivierung der kolonialen Bewirtschaftung durch die Europäer und den Anbautransfer nach Indien und Afrika. Interessant ist, dass gerade in Indien viele höher gelegene Gebiete den Europäern zunächst zur Erholung dienten, bevor in den unterschiedlichen Gegenden immer wieder mit dem Teeanbau experimentiert wurde. Dass Krieger hier viele Fäden aufnimmt, aber kaum zu Ende spinnen kann, liegt hauptsächlich an der Anlage des Buches, das vor allem Überblick und Einführung bieten will und sich "gleichermaßen an den interessierten Wissenschaftler wie an den kultivierten Teefreund" (Klappentext) wendet. Dies gelingt vor allem durch den flüssigen Schreibstil, und so hat Krieger ein unterhaltsames Werk über den Tee vorgelegt, das trotz der erwähnten Monita zur Lektüre und zu weiterer Forschung einlädt. Mehr lässt sich von einer Einführung kaum verlangen.
Einen völlig anderen Zugang wählt Peer Vries. Für ihn dient der Tee als Fallbeispiel für den Vergleich zweier unterschiedlicher Wirtschaftssysteme, wobei er sich leiten lässt von der inhaltlich bestimmten Frage nach den Ursachen der "Great Divergence", also danach, warum die industrielle Revolution in England bzw. Europa stattgefunden hat und nicht in Asien, sowie der methodisch ausgerichteten Frage danach, "wie [...] man vernünftig und konkret globale Wirtschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit schreiben [kann]" (35).
In seiner Einführung befasst sich Vries folglich nicht mit Tee, sondern mit den grundsätzlichen Problemen seines Lehrstuhls, also mit der Hinterfragung sämtlicher begrifflicher Konzepte seiner Professur. So werde immer wieder nach der Idee hinter dem Epochenbegriff "Frühe Neuzeit" oder seines angelsächsischen Äquivalents "early modern times" gefragt, ebenso wie es kaum möglich sei, vor dem Entstehen von Staat und Nation von "internationaler Wirtschaftsgeschichte" zu sprechen. Darüber hinaus suggeriere die besondere Berücksichtigung der Globalgeschichte bereits für die Frühe Neuzeit eine globalisierte Welt, ein Konzept, das seitens der Wirtschaftshistoriker immer wieder mit guten Gründen verworfen werde. So muss der Autor zusammenfassend feststellen, dass es für die Periode der Frühen Neuzeit "nichts oder nur sehr wenig gibt, worüber man streng wirtschaftswissenschaftlich reden kann" (15). Die Einführung bietet nicht nur einen konzisen und fundierten Überblick über die wissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre zu frühneuzeitlicher Globalisierung, Weltsystemen und den Streit um die jeweiligen Zentren dieser Systeme, gleichzeitig nutzt der Autor diesen Ritt durch die einschlägige Literatur, um seine Positionen darzulegen.
Für den eigentlichen Vergleich zwischen den Wirtschaften Chinas und Großbritanniens legt Vries den Untersuchungszeitraum zwischen die 1680er und die 1850er Jahre. Der Beginn des Untersuchungszeitraums wird bestimmt von den Anfängen des britisch-chinesischen Teehandels und davon, dass sich in beiden Ländern mit Glorious Revolution und Machtkonsolidierung der Qing die politischen Rahmenbedingungen änderten. Das Ende wird von den beiden Opiumkriegen markiert, die den Kontext des Teehandels völlig veränderten. Auch wurde bis 1860 deutlich, dass Großbritannien sich zu einer sich industrialisierenden Nation entwickelt hatte und China nicht.
Anhand seines eigentlichen Vergleichs der politischen Ökonomie des Tees in beiden Ländern zeichnet Vries im Folgenden vor allem die für den Staat und die wirtschaftliche Entwicklung bedeutsamen Komponenten der Teewirtschaft nach, wie den zwischenstaatlichen, aber auch internen Handel und die damit verbundene Besteuerung und Zollerhebung. Eine Crux der Untersuchung ist es sicherlich, dass für den Untersuchungszeitraum ein systematischer Datenvergleich nicht möglich ist, da chinesische Daten gänzlich fehlen und deshalb immer wieder Schätzungen zugrunde gelegt werden müssen. Dennoch versucht der Autor für die chinesische Seite bestimmte Rahmenbedingungen wie Schiffstonnagen, Bevölkerungszahlen etc. zueinander in Beziehung zu setzen. Letztlich läuft seine Argumentation immer wieder auf die Widerlegung der prominent von André Gunder Frank vertretenen These hinaus, China sei in der Frühen Neuzeit Zentrum der Weltwirtschaft gewesen und Großbritannien habe durch die Abhängigkeit von diesem Markt, durch den Export großer Mengen Silber und das damit einhergehende Handelsdefizit im Vergleich nur verloren. [2]
Ausgehend von den unterschiedlichen Produktionsmethoden in China und Großbritannien, im Teeanbau sinnfällig in kleinbäuerlichen Betrieben in China und Plantagen, wie sie die Engländer in ihren indischen Kolonien bewirtschafteten, untersucht Vries im Anschluss mehr oder weniger alle gängigen Erklärungsmuster für die Industrialisierung in Großbritannien: Privatbesitz, freier Markt, Proto-Industrialisierung oder andere Institutionen. Auch diesen Abschnitt nutzt der Autor vor allem, um sich von gängigen Positionen abzugrenzen, sei es diejenige der Zwangsläufigkeit der Industrialisierung in Großbritannien, sei es jene der Californian School, die eine große Ähnlichkeit beider Volkswirtschaften vor der Great Divergence feststellt und die unterschiedliche Entwicklung schlicht dem Zufall zuschreibt. Dagegen setzt Vries die These der Pfadabhängigkeit, die eine Industrialisierung Chinas im Untersuchungszeitraum eben höchst unwahrscheinlich machte. So entwickelte sich weder eine intensive Energienutzung, noch erfolgte die Entwertung menschlicher Arbeitskraft und Proletarisierung als Voraussetzung der Entstehung von Fabriken.
Vries Antrittsvorlesung reißt viele Problemkreise an, verweist immer wieder auf schon gegebene und wieder verworfene Antworten und lässt den Leser doch manchmal ein wenig ratlos zurück angesichts der zahlreichen großen Fragen und nur weniger erschöpfender Antworten. Doch, wie bereits erwähnt, handelt es sich hier um eine Antrittsvorlesung und keinen Abschied, so dass man dem Autor noch einen langen Atem auf seinem neuen Lehrstuhl wünscht, denn dessen Ausrichtung ist rar im deutschsprachigen Raum.
Auf jeden Fall ist das Bändchen ein gelungener Beitrag zur Frage, was frühneuzeitlich globale Wirtschaftsgeschichte kann und warum es sich trotz der methodischen Beschränkungen lohnt, über ihren Forschungsgegenstand nachzudenken.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Sidney Mintz, Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers, Frankfurt, New York 1987.
[2] André Gunder Frank, ReOrient. Global economy in the Asian age, Berkeley, Los Angeles, London 1998.
Andrea Weindl