Ingrid Sammler: Höfische Festkultur im Zeitalter Ludwigs XIV. (= Dialoghi / Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs; Bd. 12), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2009, 141 S., ISBN 978-3-631-58347-0, EUR 27,50
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Wenn man Ingrid Sammlers Buch über die "höfische Festkultur im Zeitalter Ludwigs XIV." das erste Mal in die Hand nimmt, ist man angesichts der durch den Titel suggerierten thematischen Breite und der reichhaltigen Forschung und Forschungsliteratur, auf die dies implizit verweist, überrascht, es mit einem schmalen Band von nur 141 Seiten zu tun zu haben. Bei einem weiteren Blick auf die Gliederung scheint die thematische Breite dann durchaus eingelöst zu werden: In beeindruckend stringentem Kapitelaufbau werden die Architektur und der Park von Versailles abgehandelt, die Bühnenliteratur und die Oper der Zeit Ludwigs XIV. sowie das Verhältnis des Königs zur Kunst. In einem weiteren Kapitel präsentiert die Autorin einzelne königliche Feste, vorwiegend aus den 1660er und 1670er Jahren. Abschließend betrachtet sie die Inszenierung der Person des Königs selbst.
Das Problem der Darstellung erschließt sich allerdings unmittelbar, wenn man das Quellen- und Literaturverzeichnis aufschlägt: Sammler verweist neben einer Website auf 50 Literaturtitel, einige davon älteren Datums oder allgemeine Überblicksdarstellungen. Eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschung ist auf dieser Basis nicht zu erwarten. Da sich die Studie darüber hinaus auf 17 publizierte Quellen respektive zeitgenössische Titel stützt, von denen die meisten - darunter die Mémoires des Herzogs von Saint-Simon oder die Ludwigs XIV. - altbekannt und vielfach ausgewertet sind, bieten sich auch keine neuen Ergebnisse. Der Eindruck, die Darstellung erfolge weitgehend an der aktuellen Forschung vorbei, vertieft sich rasch bei der Lektüre: Konkrete Literaturverweise erfolgen eher sparsam, mitunter ersetzt ein Voltaire-Zitat diese, so im Kapitel über die Akademie-Gründungen (72), über die Voltaire mit einem Abstand von einem Jahrhundert schrieb. Da Sammler die aktuelle Forschung vielfach ignoriert, kommt es manches Mal zu reinen Spekulationen oder zu Fehleinschätzungen, wenn sie z.B. die Rezeption italienischer Kunst und Kultur Ludwigs XIV. "Bewunderung für Italien" zuschreibt, obwohl diese Rezeption längst als Teil eines umfassenderen politischen Universalismus-Konzepts analysiert wurde. [1]
Sammler liefert eine reine Überblicks-Darstellung, ohne einen methodischen Anspruch zu erheben. So wird eine zentrale Frage, nämlich die nach der Funktion der ludovizianischen Festkultur, nicht systematisch gestellt. Wichtige konstituierende Elemente des größeren Rahmens dieser Festkultur - Zeremoniell, höfischer Alltag, politische Kommunikation - werden höchstens am Rande erwähnt. Die Festkultur erscheint als autonomes Werk unter der Ägide eines absoluten Königs im weitgehend abgeschlossenen Kosmos von Versailles - eine Sichtweise, die wie das Schlagwort Voltaires vom "Zeitalter Ludwigs XIV.", an dem Sammler sich orientiert, längst in Frage gestellt wird: Ludwig XIV. inszenierte sich und seine Umwelt in Interaktion und Konkurrenz mit anderen europäischen Herrschern und politischen und kulturellen Zentren. Kunst und Kultur erfüllten eine klare Funktion in einem in sich schlüssigen politisch-gesellschaftlichen Gesamtkonzept. [2] Wenn Sammler dagegen Ludwig XIV. als "Kind seiner Zeit und seiner Kirche", der "zum Absolutismus, der Verfolgung Andersgläubiger, der Gier nach Ruhm und der Kriegslust" geneigt habe, seine "persönlichen Vorzüge" entgegenstellt, zu denen "Freigebigkeit, sein Großmut und seine Höflichkeit, sein Sinn für Literatur und Kunst und ihre Förderung" gehört hätten (114), so schafft sie einen künstlichen Gegensatz zwischen dem König als Politiker und Militär einerseits und als Kunst- und Kulturmäzen andererseits. Die Forschung kann diese verschiedenen Aspekte, die im Übrigen schon zeitgenössisch nicht als Gegensätze gesehen wurden, durchaus in einem geschlossenen Erklärungsmodell verorten.
Semmler verweist am Ende ihrer Darstellung auf die Touristen, die die Schlösser heute "in 'Besitz' genommen" haben, und stellt die Frage, "in wieweit wir Zugang finden können zu einer Zeit, die mehr als dreihundert Jahre zurückliegt" (114). Hier ist wohl der Schlüssel ihres Erkenntnisinteresses zu sehen: Die Studie erfüllt die Funktion einer Art Reiseführers in die Vergangenheit, der den Hof von Versailles vor allem sinnlich rekonstruiert, die dort handelnden Personen noch kurz im Gefüge ihrer Lebensumstände verortet, aber keine übergeordneten Fragen stellt. Einen solchen sinnlichen Eindruck des vergangenen Versailles vermag das Buch schnell zu vermitteln, zumal es mit 23, teilweise farbigen, Abbildungen anschaulich angereichert ist. Demjenigen, der sich mit der Festkultur am Hofe Ludwigs XIV. wissenschaftlich auseinandersetzen möchte, hat das Buch aber über diesen anspruchslosen schnellen Überblick hinaus nichts zu bieten.
Anmerkungen:
[1] Dietrich Erben: Paris und Rom. Die staatlich gelenkten Kunstbeziehungen unter Ludwig XIV. (= Studien aus dem Warburg-Haus 9), Berlin 2004.
[2] Siehe dazu neben dem Titel von Erben u.a.: Jeroen Duindam: Vienna and Versailles. The Courts of Europe's Dynastic Rivals 1550-1780, Cambridge 2003; Christoph Kampmann / Katharina Krause / Eva Krems / Anuschka Tischer (Hgg.): Bourbon - Habsburg - Oranien um 1700. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa, Köln/Weimar/Wien 2008; Jutta Schuman: Die andere Sonne. Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter Leopolds I. (= Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg, Colloquia Augustana 17), Berlin 2003.
Anuschka Tischer