Daniel K. Connolly: The Maps of Matthew Paris. Medieval Journeys through Space, Time and Liturgy, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2009, XIII + 224 S., ISBN 978-1-84383-478-6, GBP 50,00
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Matthew Paris, Mönch im Benediktinerkloster St. Albans unweit von London, zählt nicht nur zu den bedeutenden und wohl auch originellsten Historiographen des 13. Jahrhunderts; er ist auch als Verfasser von Karten bekannt, die innerhalb seiner Werke Wissen über Großbritannien, die Wegverläufe zwischen London und Apulien und das Heilige Land veranschaulichen. Diese Darstellungen haben zwar offensichtlich wenig Einfluss auf die Entwicklung der mittelalterlichen Kartographie gehabt, doch kommt ihnen in diesem Rahmen gleichwohl große Bedeutung zu, da sie auf innovative, für das moderne Auge ohne weiteres lesbare Weise räumliche Verhältnisse wiedergeben. Deshalb wurden sie bisher vor allem im Kontext der Entstehung von Regionalkarten untersucht und als Vorformen topographisch präziser Karten betrachtet.
Daniel Connolly, der Matthew Paris' Karten zum Gegenstand einer eigenen Studie macht, wählt einen anderen Ansatz. Ihm geht es nicht um ihre kartengeschichtliche Einordnung, ihre Genauigkeit und ihren Abbildungscharakter, sondern vielmehr darum, sie als Produkt einer zeitspezifischen religiösen, politischen und intellektuellen Kultur zu sehen und als Ausdruck mittelalterlicher Vorstellungswelt zu untersuchen. Ausgehend von der Fassung des Itinerars in der Chronica Majora (Corpus Christi College, Cambridge) macht er Reisen und Raum, Geschichte und Zeit sowie religiöse Hingabe und Liturgie zu Leitbegriffen einer Studie, die Matthew Paris' Karten vor allem als imaginierte Pilgerschaft betrachtet.
Connollys These lautet, dass die siebenseitige Wegbeschreibung von London über Rom nach Jerusalem im Glauben an eine bald stattfindende Apokalypse für die Mönche von St. Albans hergestellt wurde und diesen Gelegenheit bot, innerhalb der Klostermauern eine innere Pilgerreise zur Heiligen Stadt - mithin zum Ort der Weisheit, der Barmherzigkeit und der Sicht Gottes - zu unternehmen. Die Betrachtung des Itinerars interpretiert der Verfasser als körperliche Angelegenheit und aktiven Prozess der Auseinandersetzung. Durch das als Rotulus und damit einer im englischen Königreich vertrauten Form der Aufzeichnung angelegte, gerahmte Layout werde der im Codex blätternde Leser zielgerichtet über verschiedene alternative, mit Zeitangaben versehene Wegverläufe von Ort zu Ort geführt und lerne sich - ähnlich wie in der Liturgie - durch einen performativen Akt der Bewegung in Welt und Heilsgeschichte, in Zeit und Raum zu verorten. Indem das Itinerar in einer komplexen bildlichen Schau Jerusalems kulminiere, folge es der österlichen Liturgie im Kloster und anderen religiösen Praktiken, die Zugänge zu dieser himmlischen Stadt nach dem Ende der Zeiten eröffnen. Dabei werden Parallelen zu den Mappae Mundi des 13. Jahrhunderts und auch zu Matthew Paris' eigenen Weltkarten gezogen, die als Summe des Wissens über die Welt mit anderen Mitteln eine Reise nach Jerusalem zum Heiligen Grab ermöglichen und zum Teil über den Körper Christi Wege zum idealen Ort der Christenheit aufzeigen.
Zudem erlaube das Itinerar Bewegungen zwischen einer historischen Zeit und einer mit Geschichte aufgeladenen Geographie wie auch weltliche und heilsgeschichtliche Aspekte des Weltenlaufs miteinander zu verbinden. Diese Beobachtung wird nicht nur durch die Einbindung der Karte in einen chronikalischen und genealogischen Kontext gestützt, sondern auch durch die Erwähnung populärer Gründungsgeschichten zu den drei markant positionierten Stadtdarstellungen von London, Rom und Jerusalem. Mit London als Ort königlicher Legitimation und Jerusalem als Stadt und Ziel christlichen Lebens seien Anfang und Ende der Reise ausgestellt. Zusammen mit Rom versteht Connolly die Städte zudem als Stätten weltbewegender Entwicklungen und einer sich nach göttlichem Plan vollziehenden translatio imperii, wie sie vor allem im 12. Jahrhundert entwickelt wurden.
In einem abschließenden Teil werden das Itinerar und die Karte Britanniens in der Historia Anglorum (British Library, London) in den Blick genommen, die Connolly nicht im monastischen Kontext, sondern wegen ihrer kostbaren Gestaltung und besonderer Verweise auf die Interessen des Königtums als 'königliche' Version betrachtet. Er geht davon aus, dass diese nach dem Tode Matthew Paris', wahrscheinlich zur Zeit Edwards I. hergestellt worden sind und nicht nur einem allgemeinen Interesse der Plantagenet an kartographischen Darstellungen, sondern auch den Herrschaftsansprüchen des Königtums in Britiannien sowie seinen Zielsetzungen bei der Wiedereroberung des Heiligen Landes Ausdruck verliehen.
Connollys kulturgeschichtliche Annäherungen an die Karten Matthew Paris' sind anregend, da sie Karten auf verschiedenen Ebenen in den Kontext zeitgenössischer Tradition und religiöser Praktiken einbetten und auf dieser Grundlage neue Lesarten erproben. Sie öffnen den Blick für die Vielfalt an Bedingungen, unter denen kartographische Darstellungen Sinn stiften können. Gleichzeitig schärfen sie das Bewusstsein für die methodischen Probleme der Erschließung mittelalterlicher Karten, deren Absichten und Adressatenkreise sich in der Regel nur dann fassen lassen, wenn über die Kartenbilder sowie ihre Text- und Bildelemente hinaus, auch die Umfelder ihrer Überlieferung sowie mögliche Formen ihres Gebrauchs in Betracht gezogen werden.
Martina Stercken