Jörn Hasenclever: Wehrmacht und Besatzungspolitik in der Sowjetunion. Die Befehlshaber der rückwärtigen Heeresgebiete 1941-1943 (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 48), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010, 613 S., ISBN 978-3-506-76709-7, EUR 49,90
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Peter Tauber: Vom Schützengraben auf den grünen Rasen. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung des Sports in Deutschland, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008
Jean-Luc Leleu: La Waffen-SS. Soldats Politiques en Guerre, Paris: Editions Perrin 2007
Stefan Scheil: 707. Infanteriedivision. Strafverfolgung, Forschung und Polemik um einen Wehrmachtsverband in Weißrußland, Aachen: Helios Verlag 2016
Die Wehrmacht im Ostkrieg scheint zumindest für das Jahr 1941/42 mittlerweile gut erforscht. Vor allem im Hinblick auf ihre Rolle als Besatzungsinstitution in den rückwärtigen Heeresgebieten ist sicher, dass sie schwerste Verbrechen zu verantworten hat. Die wichtigsten Akteure vor Ort blieben jedoch bisher unterbeleuchtet, namentlich die Befehlshaber der rückwärtigen Heeresgebiete (Berücks): Franz von Roques (Nord), Max von Schenckendorff (Mitte) sowie Karl von Roques bzw. Erich Friderici (Süd). Die Studie von Jörn Hasenclever schließt diese Forschungslücke. Ähnlich wie Johannes Hürter für die Oberbefehlshaber im Ostkrieg 1941/42 [1] analysiert auch Hasenclever mit einem gruppenbiografischen Ansatz die Herrschaft der Wehrmacht in der besetzten Sowjetunion. Das Resultat ist eine exzellente Studie, die sich von vielen Veröffentlichungen der letzten Jahre zum Thema Wehrmacht durch Ausgewogenheit, Nüchternheit, Kenntnisreichtum und scharfe Analyse wohltuend abhebt. Hasenclever reißt Dokumente nicht aus dem Zusammenhang und weiß zudem um die quellenkritische Problematik von amtlichen Überlieferungen. Schließlich ist man in einer Bürokratie - ganz gleich ob zivil oder militärisch - stets darum bemüht, "nach oben" ein möglichst geschlossenes Bild zu vermitteln; dies gilt natürlich erst recht für ein totalitäres Regime. Reibereien oder Kritik werden daher in diesen Dokumenten häufig nur angedeutet oder in pragmatische Argumente verpackt.
Alle vier Berücks hatten in ihrer Militärkarriere gewisse Parallelen aufzuweisen. Mit Ausnahme Fridericis waren sie Anfang der 1930er Jahre aus der Reichswehr altersbedingt ausgeschieden und wurden erst 1939 als Generale reaktiviert. Ihre Ernennung als Berücks bedeutete noch einmal einen unerwarteten späten Höhepunkt ihrer militärischen Karriere. In der Einstellung zum Nationalsozialismus unterschieden sich die vier Befehlshaber: Während Schenckendorff und Friderici dem Nationalsozialismus positiv gegenüberstanden (Schenckendorff wurde 1933 sogar Parteimitglied), entsprach Karl von Roques noch am ehesten dem Selbstbild eines "unpolitischen Soldaten". Sein Cousin Franz von Roques hingegen behielt sich über all die Jahre eine dezidiert kritische Haltung gegenüber dem Regime.
Vor der Folie dieser vier Akteure konzentriert Hasenclever seine Arbeit auf drei Kernbereiche: Die Besatzungspolitik gegenüber der Zivilbevölkerung, die Partisanenbekämpfung sowie die Ermordung der Juden. Die politische Einstellung beeinflusste die Haltung in der "Judenfrage": Aus Franz von Roques' Stab regten sich teils energische Proteste gegen die Judenerschießungen; als Resultat wurde sein Stabschef Oberstleutnant Kriegsheim auf Betreiben Himmlers im Mai 1942 unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen. Karl von Roques hingegen sah dem Völkermord tatenlos zu, während Schenckendorff und Friderici das Mordprogramm sogar unterstützten - allerdings nur so weit es sowjetische Juden betraf. Die Deportation deutscher Juden in seinen Befehlsbereich wollte Schenckendorff dagegen nötigenfalls mit Waffengewalt verhindern.
Alle Befehlshaber bemühten sich um eine intensive Kooperation mit der Zivilbevölkerung, ja wollten diese sogar für die deutsche Sache gewinnen. Bei der geringen deutschen Truppenanzahl war dies auch der einzige gangbare Weg, die riesigen besetzten Gebiete zu verwalten. So protestierten die einzelnen Berücks energisch - wenn auch erfolglos - gegen die von den Wirtschaftsstellen und dem Generalquartiermeister im Herbst 1941 vorgegebenen Hungerrationen für die Bevölkerung und versuchten möglichst viele Zivilisten für deutsche Dienste anzuwerben, um diesen so einen höheren Verpflegungssatz zukommen zu lassen. Auch bemühten sich die höchsten Repräsentanten der Militärverwaltung nach Kräften, der Bevölkerung die Deportation zur Zwangsarbeit nach Deutschland zu ersparen. Im Laufe des Jahres 1942 entwickelte sich daraus eine prinzipielle Kritik der Militärverwaltung an der bisherigen deutschen Ostpolitik. Doch blieben diese Stimmen bei Hitler und seiner Entourage ungehört. Insgesamt sollte man also den Einfluss dieser vier Männer auf die großen Linien der Besatzungspolitik nicht überschätzen. Zudem waren sie in ihrer Ausübung der vollziehenden Gewalt von Anfang an durch rivalisierende Organisationen wie SS und Polizei oder Wehrwirtschaftsstab Ost eingeschränkt, ganz davon abgesehen, dass gerade auch sie sich nolens volens häufig den militärischen, politischen und ökonomischen Sachzwängen anpassen mussten.
So konterkarierten ihre Befehle und Anweisungen für die Partisanenbekämpfung die Bemühungen um eine konstruktive Besatzungspolitik. Schließlich lag in der Befriedung des rückwärtigen Heeresgebiets ihre Hauptaufgabe. Schon im Spätsommer/Herbst 1941 kam es hier zu einer Radikalisierung: Ideologisch gefärbte Befehle von oben, das Unsicherheitsgefühl in dem riesigen Land, das schlechte Vorbild der SS sowie ein gewaltiger Leistungsdruck auf die einzelnen Befehlshaber sorgten für ein explosives Gemisch. Gerade der letzte Punkt ist in dieser Form sicherlich noch nicht in der Forschung explizit hervorgehoben worden. In Erwartung des Endsiegs im Spätsommer 1941 und in der ständigen Angst, von jüngeren Offizieren abgelöst zu werden, gaben die Berücks radikale Befehle von oben weiter bzw. verschärften sie bisweilen sogar noch. Der Einfluss des Individuums auf Entscheidungsprozesse wirkte sich auch in der Zusammenarbeit der Berücks mit der SS in der "Judenfrage" aus. Häufig erleichterte ein gutes persönliches Verhältnis die Kooperation.
Bei dieser vorzüglichen Studie mag man nur zwei Punkte bedauern: Erstens hätte Hasenclever seine teils von der neuesten Forschung abweichenden Erkenntnisse stärker hervorheben können. Können wir wirklich für den gesamten Ostkrieg von einem "Vernichtungskrieg der Wehrmacht" sprechen? Gewiss, die Berücks beteiligten sich am Judenmord, allerdings in unterschiedlicher Intensität. Auch in der Partisanenbekämpfung erweiterten die Berücks ihr Feindbild beträchtlich und die Resultate waren mörderisch, doch war ihr Kampf hier weitgehend militärisch motiviert. Gegenüber der großen Masse der besetzten Bevölkerung hegten die höchsten Vertreter der Militärverwaltung allerdings keine Vernichtungsabsichten. Ganz im Gegenteil bemühten sie sich um eine - den schwierigen Rahmenbedingungen entsprechend - weitgehend korrekte Behandlung. Das war ein fundamentaler Unterschied zur deutschen Zivilverwaltung in den besetzten Ostgebieten, wie es beispielsweise Christian Gerlach für Weißrussland gezeigt hat. [2] Ein solches Ergebnis verdient Beachtung.
Zweitens bleibt zu bedauern, dass Hasenclevers Buch nicht bereits vor zehn Jahren vorgelegen hat. Der Wehrmachtsdebatte wäre mit dieser ausgewogenen Studie teilweise viel an Schärfe und Einseitigkeit genommen worden.
Anmerkungen:
[1] Johannes Hürter: Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42, München 2006, 22007.
[2] Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 1998.
Peter Lieb