Wolfgang Brassat (Hg.): Ferdinand Tietz 1708-1777. Symposion und Ausstellung anlässlich des 300. Geburtstags des Rokoko-Bildhauers (= Schriften des Instituts für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte; Bd. 1), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2010, 143 S., ISBN 978-3-86568-425-7, EUR 24,95
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Zum 300. Geburtstag des Rokokobildhauers Ferdinand Tietz (1708-1777) und gleichzeitig seines wichtigsten Auftraggebers, des Bamberger und Würzburger Fürstbischofs Adam Friedrich von Seinsheim (1708-1779), fand 2008 im ehemals fürstbischöflichen Sommerschloss Seehof vor den Toren Bambergs eine kleine Gedächtnis-Ausstellung statt, verbunden mit einem wissenschaftlichen Symposion. Der Katalog dieser Ausstellung und die meisten Referate des Symposions wurden 2010 von Wolfgang Brassat als erster Band einer neuen wissenschaftlichen Reihe "Schriften des Instituts für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte (= der Otto-Friedrich-Universität Bamberg)" herausgegeben. Das Bamberger Institut gehörte neben der Dienststelle Schloss Seehof des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege und der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen zu den Veranstaltern.
Kern der nur 22 Exponate umfassenden Ausstellung waren 13 bis dahin unpublizierte Gartenfiguren, unter ihnen neun Werke von Ferdinand Tietz und seiner Werkstatt. Sie gehörten ehemals dem Münchner Verleger Georg Hirth, gelangten in den Besitz der Nymphenburger Porzellanmanufaktur und wurden jetzt von dort nach Seehof geschenkt. Leider standen die Sandsteinfiguren so lange im Freien, dass sie heute schwere Witterungsschäden aufweisen. Ausgestellt waren außerdem eine 2007 erworbene, aus Seehof stammende überlebensgroße Herkules-Statue von Tietz und einige seiner kleinplastischen Arbeiten, unter denen der Katalog sehr mutig "Bozzetti" und "Modelli" unterscheidet, obwohl es immer noch an sicheren Kriterien fehlt, die jeweilige Funktion einer Kleinplastik des Künstlers im Schaffensprozess zu bestimmen, zumal man auch noch mit bunt gefassten Holzfigürchen von ihm zur Dekoration der fürstlichen Tafel zu rechnen hat.
Im ersten der sieben Textbeiträge skizziert der Herausgeber Leben und Werk des Künstlers nach neuestem Wissensstand und schenkt dabei der Rezeptionsgeschichte besondere Aufmerksamkeit. Claudia Maué widmet sich dem Künstler und seiner Werkstatt, dabei vor allem dem Stil und der Qualität der Arbeiten und deren Abgrenzung von den Produkten von Konkurrenten und Nachahmern. Im 1997 erschienenen ersten Band ihres Katalogs der Barockplastik im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg hatte sie es mit einem umfangreichen Bestand von Werken und vermeintlichen Werken von Tietz zu tun. Glaubte man Ende der 1930er-Jahre noch 20 Sandsteinskulpturen und 10 Bozzetti des Meisters zu besitzen, so verringerten sich diese Zahlen nach der jüngsten kritischen Sichtung auf jeweils nur fünf. Die Grundlage für eine kritischere und differenziertere Betrachtung des schwer überschaubaren Tietzschen Œuvres schuf Bernd Wolfgang Lindemann 1981 mit seiner Kieler Dissertation über den Künstler, die 1989 als Buch erschien. Der Kleinplastik widmete er in den 1980er-Jahren mehrere weiterführende Aufsätze, deren anregende Vorschläge aber vielfach noch durch systematische technische Untersuchungen gesichert werden müssten.
Maué charakterisiert zunächst die Eigenart von Tietz' Schöpfungen. Sie wendet sich dann dem Phänomen der Wiederholungen des gleichen Modells zu und fragt in diesem Zusammenhang, ob man mit einem größeren Fundus von Modellfiguren zu rechnen hat, einem "Figurenkatalog", aus dem ein Auftraggeber seine Auswahl treffen konnte. Innerhalb der Erzeugnisse der gut organisierten und zügig arbeitenden Werkstatt lassen sich zwar Qualitätsschwankungen, aber keine individuellen Personalstile einzelner Mitarbeiter ausmachen. Man kann allerdings "Gruppenstile" bei den an verschiedenen Orten - etwa in Trier und Bamberg - arbeitenden Werkstätten feststellen, ein gewisses "Lokalkolorit". Bei einzelnen Werkgruppen mit signifikanten stilistischen Abweichungen, wie einer solchen im Germanischen Nationalmuseum, ist es inzwischen gelungen, einen anderen Künstler, in diesem Fall Bonaventura Joseph Mutschele, als Urheber zu benennen.
Hans-Peter Trenschel unterstreicht, dass bei Tietz die Zeichnung im Entstehungsprozess einer Skulptur keine Rolle gespielt hat. Zur Vorbereitung seiner Steinfiguren schnitzte er in der Regel unmittelbar kleine Holzfigürchen. Tietz' wenigen bisher bekannten, ganz auf Umriss abgestellten Zeichnungen konnte Trenschel einige bislang unbekannte Blätter im Mainfränkischen Museum Würzburg hinzufügen.
Peter Stephan widmet sich am Beispiel des Veitshöchheimer Figurenensembles den politischen Absichten des Auftraggebers und dem Niederschlag davon im Gartenprogramm. Leider kann er sich bei seiner Interpretation nicht auf Äußerungen des Fürstbischofs stützen. In dessen rund 3800 Briefe umfassendem Briefwechsel mit seinem Bruder, dem kurbayerischen Minister Joseph Franz von Seinsheim, ist zwar immer wieder von der Ausgestaltung der Gärten die Rede, aber nicht von der inhaltlichen Bedeutung des Figurenschmucks. Dieser reiche Briefbestand bietet Burkard von Roda jedoch anschauliche Beispiele für Seinsheims intensive Anteilnahme an seinen Schöpfungen. Er enthält auch Urteile über die ausführenden Künstler, wie den "dicken Bildhauer" Tietz, der sehr geschwind und folgsam sei, und dessen "geschickter und starker Name" betont wird. Roda schildert außerdem aus der Sicht des Gastgebers den Verlauf des siebentägigen Besuchs des Ansbacher Markgrafen Karl Alexander und seiner Gemahlin in Seehof im Mai 1775, nach dem der überanstrengte Fürstbischof der Erholung bedurfte.
Wie Thomas Gunzelmann für die Landschaftsgestaltung unter Seinsheim hervorhebt, blieb diese konservativ und verschloss sich den neuesten Strömungen aus England. Seinem Würzburger Hofgärtner zufolge fand der Fürstbischof noch keinen Gefallen an den "neumodischen Wildnissen" dort. So ließ er nach barocker Manier fünf radiale Sichtachsen in den Wald bei Seehof schlagen, von denen die zentrale von seinem Schlafzimmer ihren Ausgang nahm und über die große Kaskade mit der Herkulesgruppe hinweg auf Bamberg ausgerichtet war. Allerdings ließ man den Bäumen bei diesem Ausgreifen in die Landschaft ihre natürliche Form, so dass das Ergebnis als "Landschaft der Anmuth" empfunden wurde. Daran sei im Einklang mit dem Zeitgeschmack ein Herantasten an das neue Gartenideal des "Natürlichen" zu erkennen.
Manfred Schuller resümiert abschließend die Ergebnisse seiner 1986 vorgelegten Rekonstruktion der Seehofer Kaskade, an deren Wiederherstellung er bemängelt, dass sie begonnen wurde, ohne dass man sich über das genaue Aussehen im Klaren gewesen sei. Er nennt auch fehlerhafte Details bei der Ausführung. Die komplizierte Anlage, "weit über Franken hinaus ein Höhepunkt ausgefeilter Kaskadenarchitektur" (90), setzte das enge Zusammenspiel von Architekt, Wasseringenieur und Bildhauer voraus. Der Bildhauer prägte zwar wesentlich die äußere Erscheinung des Ensembles, aber vielleicht betont Schuller, gerade wenn man die komplexe Konzeption bedenkt, dessen Anteil doch zu stark.
Der reich bebilderte handliche Band, der zwar wenig völlig Neues bringt, in dem aber das in seinem Reichtum einzigartige Werk von Ferdinand Tietz aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird, könnte das Interesse an dieser Kunst verstärken und beispielsweise eine die Betrachtungen von Frau Maué fortführende, vertiefte Beschäftigung mit den Eigenarten der verschiedenen Werkkomplexe und der Organisation der erstaunlich gut funktionierenden Tietz-Werkstatt anregen oder den Anstoß geben zu einem noch ausstehenden systematischen Studium aller mit Tietz in Zusammenhang gebrachten kleinplastischen Arbeiten.
Peter Volk