Karen Holtmann: Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe vor dem Volksgerichtshof. Die Hochverratsverfahren gegen die Frauen und Männer der Berliner Widerstandsorganisation 1944-1945 (= Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010, 305 S., ISBN 978-3-506-76931-2, EUR 38,00
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Am 22. Juni 1944 fand in der Wohnung des Berliner Arztes Rudolf Schmid eine folgenschwere Begegnung statt. Zwei sozialdemokratische Vertreter des Kreisauer Widerstandskreises, der frühere Reichstagsabgeordnete Julius Leber und der Pädagoge Adolf Reichwein, der mit Schmid befreundet war, trafen sich dort mit drei Vertretern des kommunistischen Untergrundes, nämlich Franz Jacob, Anton Saefkow und dem von diesem unaufgefordert und uneingeladen mitgebrachten Ernst Rambow alias "Hermann". Die Kontaktaufnahme mit den Kommunisten war zuvor intensiv diskutiert worden und es hatte durchaus Vorbehalte gegeben. Reichwein und Leber hatten die Bedenken weitgehend ausräumen können. Lebers Vertrauen gründete nicht zuletzt auf der Bekanntschaft mit Franz Jacob aus ihrer beider Zeit im KZ Sachsenhausen. Auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der in Leber einen wichtigen Ansprechpartner und Freund gewonnen hatte, war mit der Kontaktaufnahme einverstanden. Es ging darum, die Basis einer Kooperation nach dem Sturz der Nazidiktatur auszuloten. Angesichts der Katastrophe, in die das NS-Regime Deutschland hineingetrieben hatte, rückten alte Differenzen zwischen den verschiedenen politischen Lagern des Widerstands immer mehr in den Hintergrund.
Doch der Verfolgungsapparat der Hitler-Diktatur funktionierte nach wie vor effektiv. Rambow war ein Gestapospitzel. Er hatte schon Ende Mai 1944 den dritten Mann der Leitung der illegalen KPD in Berlin, Bernhard Bästlein, ans Messer geliefert und versorgte seine Auftraggeber auch nun prompt mit den neuesten Informationen. Am 4. Juli 1944, nach einem weiteren Treffen zwischen Saefkow, Jacob und Reichwein, wurden diese und kurz darauf auch Julius Leber festgenommen. Dessen Verhaftung war für seinen Freund Stauffenberg ein zusätzliches Motiv zum Handeln. "Ich hole ihn heraus", erklärte er. Wären Stauffenbergs Attentat auf Adolf Hitler und der Staatsstreich gelungen, hätte das auch für die zahlreichen Verhafteten der Saefkow-Bästlein-Jacob-Gruppe die Rettung bedeutet. So aber kam es parallel zu der von Freisler geführten Prozess-Serie gegen die Beteiligten des '20. Juli' zu einem umfangreichen Verfahrenskomplex des Volksgerichtshofs gegen die Mitglieder der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe, das größte kommunistische Widerstandsnetz im Krieg. Über 500 Menschen hatten sich ihm in den Jahren 1943/44 angeschlossen. Von 425 namentlich Bekannten waren 103 Frauen. Insgesamt 186 Männer und 37 Frauen wurden vom Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Von ihnen wurden zehn Männer und sieben Frauen aus Mangel an Beweisen freigesprochen, 18 Männer und drei Frauen wurden zu Gefängnis-, 71 Männer und 17 Frauen zu Zuchthausstrafen, 68 Männer und drei Frauen zum Tode verurteilt.
Die Repression der NS-Justiz traf die Frauen offensichtlich weniger hart. An diesem Befund setzt die Studie von Karen Holtmann an. Sie konstatiert: "Das Handeln in oder die Unterstützung der Widerstandsgruppe von Frauen wurde von der Justiz als weniger gefährlich für den Staat eingestuft als die Aktivitäten der Männer", und fragt: "Aber waren die oppositionellen Tätigkeiten der Frauen für das Funktionieren der Organisation wirklich von untergeordneter Bedeutung?" Die Autorin geht dieser Frage vor allem in Form einer Analyse des Genderaspekts in den Volksgerichtshofsverfahren nach. Sie knüpft damit an einen Ansatz an, den erstmals Isabel Richter in ihrem 2001 erschienenen Buch "Hochverratsprozesse als Herrschaftspraxis im Nationalsozialismus" vertreten hat, setzt sich aber teilweise durchaus kritisch von deren auch von anderer Seite kritisierten Befunden ab. [1]
Einleitend gibt sie zunächst einen Abriss der Entstehung, Tätigkeit und Handlungsbedingungen der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe. Hervorzuheben ist hier insbesondere die sehr konkrete Darstellung der lebensweltlichen Bedingungen, unter denen die Widerstandstätigkeit aufgenommen wurde. Arbeit, Bombenkrieg und gerade bei den Frauen auch oft vielfältige Familienpflichten bestimmten den Rahmen dafür, die Arbeitsstellen und der Kontakt zu den Kollegen waren der wichtigste Ansatzpunkt.
Die Autorin bestätigt hier den Befund Christl Wickerts, dass Widerstand das Thema Gleichberechtigung der Geschlechter in den Hintergrund rückte und die Akzeptanz der herkömmlichen Frauenrolle eine mehr oder weniger selbstverständliche Voraussetzung war. Doch keineswegs war die Widerstandstätigkeit durchweg ein "Liebesdienst" für die politisch engagierten Partner, waren doch allein schon mehr als die Hälfte der Frauen aus eigenem Antrieb und ohne Einfluss männlicher Bezugspersonen zu ihrem politischen Engagement gekommen.
In den Akten der Verfolger findet sich indes ein anderes Bild, dessen Entstehungsprozess die Autorin präzise und differenziert nachzeichnet. Im Zuge dessen hat sie zugleich eine konzise und den aktuellen Forschungsstand zusammenfassende Darstellung der Praxis der polizeilichen und justiziellen Verfolgung des Widerstandes erarbeitet. Die Ermittlungsverfahren der Gestapo, bei denen Folter und Prügel gang und gäbe waren, das Anklageverfahren der Oberreichsanwaltschaft, die Hauptverhandlungen vor dem Volksgerichtshof und die Rolle der Rechtsanwaltschaft werden eingehend beschrieben und schließlich daraufhin untersucht, inwieweit die Kategorie "Gender" hier eine Rolle spielte. Natürlich werden auch die Selbstdarstellungen der Angeschuldigten nicht ignoriert - im Gegenteil. "Die 'treudeutschen' und 'unwissenden' Hausfrauen" hat Karen Holtmann den Unterabschnitt zu den Frauen überschrieben und damit die Klischees benannt, die von den Angeklagten zu ihrer Verteidigung beschworen und von den Untersuchungsbeamten und Richtern infolge entsprechender eigener Frauenbilder bereitwillig übernommen wurden. Den Frauen gelang es so in höherem Maße, Widerstandsaktivitäten vor den Verfolgern zu verschleiern als den Männern. Ihnen aber deshalb "eine untergeordnete Rolle im Widerstand zuzuschreiben", halte "einer kritischen Hinterfragung nicht stand", bilanziert die Autorin. Ihre Rolle in der Widerstandsarbeit sei nicht weniger bedeutend gewesen, als die der Männer, wenn sie auch meist durch traditionelle Geschlechterbilder geprägt war.
Die vor Kurzem verstorbene Widerständlerin Marie-Luise Schultze-Jahn (1918-2010), die zusammen mit ihrem Freund Hans Leipelt nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl und Christoph Probsts das sechste und letzte Flugblatt der Weißen Rose mit dem Aufdruck "... und ihr Geist lebt trotzdem weiter" verbreitet hatte, hat aus ihrem Volksgerichtshofsprozess Ähnliches bezeugt. Hans Leipelt, der wusste, dass er keine Überlebenschance hatte, hatte ihrem Verteidiger nahegelegt, sie als sein, des "halbjüdischen Verführers", Opfer darzustellen, was seine Wirkung nicht verfehlte. Während Leipelt zum Tode verurteilt wurde, erhielt Marie-Luise Jahn eine Zuchthausstrafe von zwölf Jahren. [2]
Bei der quellenkritischen Betrachtung der Hochverratsakten des Volksgerichtshofes, die eine der wichtigsten Überlieferungen zur Geschichte des Widerstandes darstellen, die Kategorie "Gender" einzubeziehen, ist also zweifellos sinnvoll und bedeutsam. Karen Holtmann tut das sehr viel präziser und differenzierter als ihre Vorgängerin Isabel Richter, die der Versuchung eines retrospektiven Gender-Mainstreaming nicht immer widerstehen konnte. Wiederholt spricht die Autorin an, dass die Frauen des Widerstandskreises selbst traditionellen Rollenvorstellungen anhingen. Leider bleibt das aber relativ unspezifisch, wie auch die mehrfachen Vergleiche mit den Frauen der Roten Kapelle nahelegen. Unter diesen gab es viele bürgerliche und intellektuelle Frauen, während die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe eine vorwiegend proletarische Gruppe war. Im Milieu der kommunistischen Arbeiterbewegung aber waren die Geschlechterbeziehungen nicht selten von einem handfesten Patriarchalismus grundiert. In ihrem Porträt zweier Frauen von kommunistischen Widerstandskämpfern, Centa Herker-Beimler und Lina Haag, mit dem bezeichnenden Titel "Im Schatten der Helden" hat Barbara Distel insbesondere hinsichtlich Beimlers ein anschauliches Bild davon gegeben. [3] Leider ist Holtmann dieser Aufsatz entgangen. Aus der Tatsache, dass die Männer der Verfolgerinstanzen einer geschlechtsspezifischen Fehleinschätzung der Rolle der Frauen im Widerstand unterlagen, kann noch keineswegs auf eine tatsächlich gleichberechtigte Rolle geschlossen werden. Die tatsächlichen Verhaltensspielräume und -formen hätten daher eine stärkere Ausleuchtung verdient gehabt.
Auch die politische Identität der untersuchten Widerständler bleibt in der Darstellung schemenhaft. Dafür, dass diese ausschlaggebend für das lebensgefährliche Engagement der Frauen und Männer der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe war, wird sie in der Studie erstaunlich knapp behandelt. Den programmatischen Schriften der Organisation sind gerade einmal vier Seiten gewidmet. Die prägenden Erfahrungen und Antriebskräfte des kommunistischen Widerstandes, wie sie etwa in Bernhard Bästleins programmatischer Erklärung vor der Gestapo vom 30. November 1942 trotz des bürokratischen Duktus des Protokollanten eindrucksvoll Ausdruck finden [4] - das Massensterben des Ersten Weltkriegs, die Identifikation mit der Sowjetunion als eines vermeintlich geglückten Gegenmodells zur kapitalistischen Welt, die eigene Erfahrung brutaler Verfolgung durch das NS-Regime, die viele Akteure der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe teilten, das Entsetzen über die nationalsozialistischen Massenverbrechen und die Empörung über einen ungerechten, blutigen, sinnlosen Krieg -, kommen bei Holtmann kaum zur Sprache. Natürlich ist diese politische Konturlosigkeit bis zu einem gewissen Grad auch dem Charakter ihrer Quellen geschuldet. Die Verfolger waren an urteilsrelevanten Sachverhalten interessiert. Die Motive des Widerstandes interessierten sie nur insoweit, als sie unter die recht schematischen Kategorien des politischen Strafrechts subsumierbar waren. Die Hochverratsakten sind daher nicht nur hinsichtlich der Geschlechteridentität, sondern auch hinsichtlich der politischen Identität kritisch und zuweilen gegen den Strich zu lesen.
So begrüßenswert ein neuer Zugang zur Geschichte des kommunistischen Widerstands jenseits der geschichtspolitischen Fronten des Kalten Kriegs ist - nicht zuletzt, weil Kommunisten die große Mehrheit unter jenen Deutschen bildeten, die aktiv für den Sturz des NS-Regimes eintraten -, so wird man ihn doch ohne hinreichende Berücksichtigung seiner durchaus ambivalenten politischen Spezifika nicht verstehen können. Gegenüber den angesprochenen Schwächen dominieren in Karen Holtmanns Buch aber eindeutig die Stärken, insbesondere die innovative Synthese von Justiz-, Widerstands- und Geschlechtergeschichte.
Anmerkungen:
[1] Isabel Richter: Hochverratsprozesse als Herrschaftspraxis im Nationalsozialismus. Männer und Frauen vor dem Volksgerichtshof 1934-1939, Münster 2001. Kritisch dazu: Wolfgang Form: Politisches NS-Strafrecht und frauenspezifische Strafverfolgung bis 1939, http://www.nachkriegsjustiz.at/aktuelles/richter-hochverratsprozesse.php [15.07.2010]; Jürgen Zarusky: Recht und Justiz in der NS-Diktatur. Neue Literatur, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte, 28 (2006), Nr. 3/4, 409-432, hier 425f.
[2] Marie-Luise Schultze-Jahn / Anne-Barb Hertkorn: "... und ihr Geist lebt trotzdem weiter!" Widerstand im Zeichen der Weißen Rose, Berlin 2004, 39.
[3] Barbara Distel: Im Schatten der Helden. Kampf und Überleben von Centa Beimler-Herker und Lina Haag, in: Dachauer Hefte 3 (1987), 21-57. Zum Widerstands- und Verfolgungsschicksal von Lina und Alfred Haag unter der NS-Diktatur siehe auch das eindrucksvolle und seit dem ersten Erscheinen 1947 vielfach neu aufgelegte Erinnerungsbuch von Lina Haag: Eine Handvoll Staub. Widerstand einer Frau 1933 bis 1945, München 2005.
[4] Vgl. Klaus Bästlein: "Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!" Die Bästlein-Organisation. Zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Hamburg und Norddeutschland während des Krieges (1939-1945), in: Vom Zweifeln und Weitermachen. Fragmente der Hamburger KPD-Geschichte, hgg. von Beate Meyer / Joachim Szodrzynski, Hamburg 1988, 44-89, hier 84-86. Bästlein, der von 1933 bis 1940 Zuchthaus- und KZ-Haft erlitten hatte, war im Oktober 1942 erneut wegen seiner führenden Rolle im Hamburger kommunistischen Widerstand verhaftet worden, konnte aber infolge eines Luftangriffs im Januar 1944 in Berlin aus der Haft entfliehen und seine Widerstandstätigkeit dort fortsetzen.
Jürgen Zarusky