Herbert S. Klein / Francisco Vidal Luna: Slavery in Brazil, Cambridge: Cambridge University Press 2010, XI + 364 S., ISBN 978-0-521-14192-5, USD 28,99
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Mit Herbert Klein und Francisco Vidal Luna haben zwei Wissenschaftler ein Buch zur Geschichte der Sklaverei in Brasilien verfasst, die wie kaum andere das Thema beherrschen. Seit vielen Jahrzehnten sind die beiden Historiker aus den USA und Brasilien als Experten bekannt und ihre Veröffentlichungen haben Generationen von jüngeren Wissenschaftlern beeinflusst. Während Klein als Autor einer schier unübersehbaren Zahl von Studien insbesondere zum atlantischen Sklavenhandel bekannt ist, zählt Luna zu den profilierten Regionalhistorikern, die sich auf die Sklaverei in der Region Minas Gerais spezialisiert haben. Ihre unterschiedlichen Profile ergänzen sich in hervorragender Art und Weise für ein Buch zur Geschichte der Institution in Brasilien, das in dieser Form überraschenderweise in der Tat ein Desiderat insbesondere der Lehre darstellt. Denn während die Zahl der monographischen Detailstudien in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen ist, fehlen gute Überblickswerke zu dem amerikanischen Land, das die Sklaverei als letztes abschaffte.
Das vorliegende Buch will nicht weniger als eine Synthese der enormen Literaturproduktion wagen, die sich mit dem Thema Sklaverei in Brasilien beschäftigt und die seit dem hundertjährigen Jubiläum ihrer Abschaffung 1988 nicht zuletzt innerhalb Brasiliens noch einmal kräftig zugenommen hat. Um es gleich vorwegzunehmen: Entstanden ist eine solide, kenntnis- und faktenreiche Einführung in den Gegenstand, die man auf viele Jahre hinaus sicherlich als Standardwerk wird bezeichnen können. Zweifellos wird sich dieses gut lesbare Buch in der Lehre bewähren.
Klein und Luna nähern sich ihrem großen Untersuchungsgegenstand in drei unterschiedlich ausgerichteten Teilen. Während in Teil 1 eine chronologisch orientierte Geschichte aus wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive geboten wird, wirft Teil 2 Licht auf die brasilianische Sklavengesellschaft und behandelt dabei Themen wie Leben und Tod, Migration, Widerstand und Familie. Der dritte Teil widmet sich dann dem schwierigen Übergang von der Sklaverei zur freien Arbeit.
Im ersten Kapitel zeigen die Autoren skizzenhaft, wie sich die Institution der Sklaverei von der Antike an in Europa und Afrika entwickelte und wie sie dann in einem neuen bis dato unbekannten Ausmaß nach Amerika übertragen wurde. Dass die Portugiesen an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert eine Schlüsselrolle spielten, ist ebenso hinlänglich bekannt, wie die Tatsache, dass die schnell wachsende Zuckerproduktion den Einsatz von Sklavenarbeit begünstigte. In der Tat war es das seit Mitte des 16. Jahrhunderts erfolgreich expandierende System der von direkt aus Afrika eingeführten Sklaven bearbeiteten Plantagen in Brasilien, das zum Modell der modernen Sklavenwirtschaft in den Amerikas werden sollte. Franzosen, Engländer und Spanier sollten diese Vorlage später imitieren.
Die Konsolidierung der brasilianischen Form der Sklavenwirtschaft im 16. und 17. Jahrhundert wird in Kapitel 2 analysiert. Obwohl in diesen Zeitraum auch der Aufstieg der karibischen Sklavenreiche der Franzosen und Engländer fiel und Brasilien seine Dominanz in der Weltzuckerproduktion einbüßte, blieb es doch ein wichtiger Produzent. Seit dem 18. Jahrhundert, so zeigt Kapitel 3, das deutlich die Handschrift von Luna trägt, kamen jedoch auch andere Einsatzformen auf, vor allem in der aufsteigenden Region Minas Gerais. Am Ende des 18. Jahrhunderts lebten rund 1 Mill. Sklaven und rund eine halbe Mill. freie Schwarze in Brasilien, das damit "das größte Sklavensystem in den Amerikas" (73) darstellte.
Trotz der Abnahme der Zahl der Sklaven im Lauf des 19. Jahrhunderts bis zur Abschaffung der Sklaverei 1888 änderte sich an den relativen Größenordnungen wenig, wie im vierten Kapitel dargestellt wird. Allerdings änderten sich die Einsatzformen und auch der Sklavenhandel entscheidend. Während sich die Kaffeeplantagen als neue Form der auf Sklavenarbeit basierenden Produktion in den südlicheren Regionen durchsetzte, wuchs der interne Sklavenhandel nach dem Ende des atlantischen Sklavenhandels 1850 immer weiter an.
Das 5. Kapitel des Buches nimmt eine stärker analytische Perspektive ein und diskutiert die Spezifika der brasilianischen Sklaverei vor dem Hintergrund unterschiedlicher theoretischer Modelle. Dabei zeigen Klein und Luna vor allem die große Heterogenität der Lebenswelten der Sklaven, die sich kaum in vorgefertigte Interpretationsmodelle pressen lassen.
Nach dem wirtschaftshistorischen ersten Teil, widmen sich die Autoren den sozialhistorischen Aspekten des Themas. Kapitel 6 ist eine äußerst detail- und kenntnisreiche Analyse der demographischen Trends der Sklavenbevölkerung von den Anfängen bis 1850. Es folgt eine Gesamtschau der unterschiedlichen Formen des Sklavenwiderstands im siebten Kapitel. Erstmals in diesem Buch treten die Sklaven damit als Subjekte der Geschichte in Erscheinung. Gerade in diesem Bereich hat die neueste mikrohistorisch arbeitende Forschung Ergebnisse vorgelegt, die hier nur teilweise rezipiert werden. So taucht etwa die von Matthias Röhrig Assuncão untersuchte Capoeira als spezifische Form der Sklavenkultur auch im Folgekapitel, das sich mit Familie, Verwandtschaft und Gemeinschaft der Sklaven beschäftigt, überhaupt nicht auf. Immerhin weisen die Autoren auf die große Bandbreite der afrobrasilianischen Kultur hin, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausbildete und sich teilweise mit der an westlichen Normen orientierten Kultur der weißen Herren mischte, teilweise aber auch alternative Wertesysteme aufrecht erhielt.
Kapitel 9 widmet sich einem für den brasilianischen Fall besonders bemerkenswerten Charakteristikum, der Existenz großer Gruppen von freien Schwarzen. Erneut zeigen sich die Autoren sicher im Umgang mit statistischem Material von hoher Aussagekraft. Sie weisen auch auf die großen Forschungslücken hin, die hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe noch immer bestehen. In dem aus einem Kapitel bestehenden dritten Teil widmen sich die Autoren dem Übergang von der Sklaverei zur Sklavenbefreiung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und schließen mit einem Ausblick auf die Rolle der Schwarzen im Brasilien des 20. und 21. Jahrhunderts.
Das vorliegende Buch hat zweifellos Stärken. So werten die Autoren nicht nur wie sonst oft üblich die angloamerikanische, sondern auch die brasilianische Forschung aus. Es steht in der guten Tradition der historischen Synthesen zu Lateinamerika, die die Cambridge University Press seit längerem immer wieder auf den Markt bringt. Wie von Klein und Luna nicht anders zu erwarten, handelt es sich um eine sehr solide wirtschafts- und sozialhistorische Synthese. Streckenweise gewinnt man den Eindruck, Kleins Klassiker "African Slavery in Latin America and the Caribbean" (1986) noch mal in der Hand zu haben. Kulturelle Aspekte, die Grundlagen des Rassismus etc. werden dagegen nur kurz gestreift. Nichtsdestotrotz kann dieses Buch als guter Einstieg ins Thema empfohlen werden.
Stefan Rinke