Wolfgang Hardtwig (Hg.): Die Aufklärung und ihre Weltwirkung (= Geschichte und Gesellschaft; Sonderband 23), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, 323 S., ISBN 978-3-525-36423-9, EUR 43,90
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Die bis heute andauernde Aktualität von Aufklärung liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie häufig zum Referenz- und Abgrenzungsobjekt europäischer Kultur wird. Der vorliegende Sammelband - mit dem ambitionierten Titel Die Aufklärung und ihre Weltwirkung - liefert einen weiteren Beitrag zu dem thematisch weit gespannten Feld von Aufklärung. Mit einer zweifachen Fragestellung möchte der Band erstens "Verbreitungs- und Transformationsprozesse über das 18. Jahrhundert hinaus" und damit die "Tendenzen zur Universalisierung von Aufklärung" untersuchen, und zweitens soll die "enorme Spannbreite von Aufklärung im Kontext ihrer Wirkungsorte [...] zumindest in einigen Grundzügen ausgemessen werden." (7)
Aufklärung wird - wie der Herausgeber Wolfgang Hardtwig in der Einleitung unterstreicht - nicht allein als Epochenbegriff verstanden. Es gelte vielmehr, die "Spannung von Epochenbegriff und kulturell-politischen Programm zu thematisieren." (7) Der Kantschen Gegenüberstellung von "einem aufgeklärten Zeitalter" und einem "Zeitalter der Aufklärung" folgend wirbt Hardtwig dafür, ein "Zeitalter der Aufklärung 'bis heute'" zu betrachten. (7) Mit diesem Vorhaben ist nicht nur eine Einleitung zu einem Sammelband gegeben, sondern ein ganzes Forschungsfeld umrissen. Dass ein Sammelband ein so weit gespanntes Thema nicht umfassend bearbeiten kann, versteht sich von selbst. Dies ist auch nicht sein Ziel. Sein Verdienst ist es, mit zehn methodisch, geographisch und zeitlich sehr heterogenen Beiträgen interessante Einblicke in das oben skizzierte Forschungsfeld zu geben sowie darüber hinaus Anregungen für weitere Forschungen zu liefern.
Die Beiträge - fast alle aus der deutschen Geschichtswissenschaft - umfassen den Zeitraum von den Anfängen der Aufklärung bis ins beginnende 20. Jahrhundert. Sie basieren zum Teil auf erst kürzlich erschlossenen Quellenmaterial; einzelne Beiträge bauen auf bereits bekannten zusammenfassenden Darstellungen auf. Die Unterteilung der Beiträge erfolgt - für das Anliegen des Sammelbandes auf den ersten Blick etwas befremdlich - in die drei Teile: 1. Deutsche Aufklärung, 2. Aufklärung in Europa und 3. Weltwirkung. Dies sollte beim Leser jedoch keinen falschen Eindruck erwecken. Im Gegenteil sticht die Auswahl der Artikel gerade dadurch positiv hervor, dass länderübergreifend auch kulturelle Entwicklungen und Institutionen im Zentrum der Auseinandersetzung stehen, die bei einem "klassischen Blick" auf die Epoche Aufklärung häufig unter den Tisch fallen. Der Leser erhält so spannende Einblicke in teilweise - im positiven Sinne - etwas abseits gelegene Aspekte des Themenfeldes.
Monika Neugebauer-Wölk gibt in ihrem methodisch sehr reflektierten Beitrag "Debatten im Geheimraum der Aufklärung" einen neuen Impuls für die Grundlagenforschung zum Geheimbund der Illuminaten. Anhand von Briefen analysiert sie überzeugend, wie aufgeklärte Prinzipien durch gruppendynamische Prozesse in ihr Gegenteil verdreht werden. Dieser Vorgang sowie machtpolitische Strukturen und Tendenzen zur Volksreligiosität führen dazu, dass es zu einer stetigen Aushandlung und Verschiebung dessen komme, was unter "aufgeklärten Wissen" verstanden wird. Marian Füssel widerspricht der These, in Deutschland habe es keine "Akademische Aufklärung" gegeben. Aufklärung definiert er als einen "kulturellen Prozess, der auch neue Kommunikationsformen und Verhaltensideale hervorbrachte" (65). Dadurch kann er in den akademischen und universitären Praktiken des 18. Jahrhunderts Grundindizien von Aufklärung nachweisen.
Christine Vogel untersucht den Stellenwert des Jansenismus innerhalb der französischen Aufklärung. Neuere Ergebnisse der französischen Aufklärungsforschung aufgreifend, unterstreicht sie nachdrücklich den bedeutenden Beitrag, den die Jansenisten "sowohl zum Wandlungsprozess der Kommunikationsformen als auch zur Politisierung der Öffentlichkeit und zur Säkularisierung des Politischen im Frankreich des 18. Jahrhunderts" (86) geleistet haben. In seiner umfangreichen Studie zu "Kontinuität und Historisierung des josephinischen Reformabsolutismus in der Habsburgermonarchie" weist Franz Leander Fillafer auf die "zweierlei Vergangenheiten der Aufklärung" (150) im 19. Jahrhundert hin und macht deutlich, dass die Umsetzung von Ideen der Aufklärung sich auch im innereuropäischen Raum (mindestens) bis ins 19. Jahrhundert erstrecken konnte. Existierte Aufklärung in Russland? Mit einem Blick auf die "von oben" induzierte Aneignung von Ideen der Aufklärung und dem Import westlicher Naturrechtslehre geht Claus Scharf sehr differenziert dieser Frage nach. Obwohl Langsamkeit in der Entwicklung und retardierende Faktoren zu berücksichtigen seien, könne man - so sein Ergebnis - keinesfalls von einer "unechten" oder "verfälschten" Aufklärung sprechen.
Sowohl Thomas Ahnert als auch Andreas Eckert untersuchen jeweils einen europäischen Blick auf außereuropäische Phänomene. Ahnerts Ziel ist es, anhand von William Robertsons Deutung außereuropäischer Kulturen seinen Einfluss und die Vielfältigkeit der "Beziehung zwischen Religion und weltlicher Aufklärung in Schottland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts" herauszuarbeiten. (122) Eckert zeichnet die Entwicklung und europäische Einstellung zur Sklaverei sowie die damit verbundenen politischen und moralischen Rechtfertigungsnotwendigkeiten nach.
Wie unterschiedlich Aufklärung in Bezug auf ihre Weltwirkung betrachtet werden kann, zeigen die drei Beiträge über China, die USA und das Osmanische Reich. Volker Depkat weist in seinem Beitrag zur Anfangsgeschichte der USA auf die Vielfalt von Faktoren hin, die zu ihrer vertraglichen Konstituierung beigetragen haben. Er hebt darunter besonders diejenigen hervor, die nicht der Aufklärungstradition zuzuordnen sind oder die auf eine "dunkle" Seite von Aufklärung verweisen. Die Frage, ob "das politisch-soziale Gebilde der USA das Ergebnis angewandter Aufklärung" sei (239), könne folglich weder eindeutig mit ja noch mit nein beantwortet werden. Begriffliche Schwierigkeiten problematisierend - und Lösungsansätze aufzeigend - untersucht Sabine Dabringhaus in ihrem gewinnbringenden Beitrag die Einflüsse der Missionsbewegungen auf "Aufklärung und Wissenschaft in China". Mit der Bezeichnung "Epoche der Aufklärung" werden in China aufgrund eigener politisch-sozialer Hintergründe vor allem die 1920er Jahre verknüpft. Die Entwicklung "Aufklärerischen Denkens" gründe jedoch nicht allein in einem "Wissenstransfer durch die Jesuiten, sondern besaß auch eigenständige Ursprünge und Ausdrucksformen" (289), die im Falle der Chinesischen Philosophie bis ins 17. Jahrhundert zurückgehen. Für das Osmanische Reich konzentriert sich Christoph Herzog vor allem auf die Rezeption europäischer Aufklärung, die er erst im 19. Jahrhundert verorten kann. Er nennt die späte Einsetzung des Buchdrucks, (fehlende) Öffentlichkeitsstrukturen und Zensur als Gründe für eine oberflächliche und ikonoklastische Aufklärungsrezeption, weist jedoch auch auf fehlendes Quellenmaterial hin, um der Thematik wirklich nachzugehen.
Anzumerken ist, dass eine begriffliche Reflektion, was unter Aufklärung zu verstehen ist, nur in einigen Beiträgen stattfindet. In diesen ist sie eine gewinnbringende Ergänzung. Wie aus der Einleitung ersichtlich, wird allgemein von einem "gängigen Verständnis" von Aufklärung ausgegangen, das verschiedene Aspekte unter dem Begriff eines Arbeitsterminus substituiert. (12) Darin liegt zugleich eine Schwäche wie eine Stärke des Bandes. Auf der einen Seite wäre eine begriffliche Klärung an einigen Stellen sinnvoll gewesen. Auf der anderen Seite gelingt es durch diese begriffliche Offenheit die enorme Spannbreite von Aufklärung (sowie ihrer Verbreitungs- und Transformationsprozesse) anschaulich darzustellen. Trotz oder gerade wegen der Heterogenität der Beiträge und der begrifflichen Offenheit lässt sich als Resultat festhalten, dass vor allem drei Faktoren die "Weltwirkung" von Aufklärung (mit)bestimmen: zum einen die Verflechtung von Religionsgeschichte und Aufklärungsgeschichte, zweitens die Bedeutung von Mediengeschichte, Kommunikationsformen und Öffentlichkeitsstrukturen und drittens die Rolle machtpolitischer Interessen. Alles in allem garantiert der Sammelband nicht nur durch die spannenden Einzelstudien, sondern auch durch ihre neuartige Zusammenstellung eine gewinnbringende Lektüre.
Marianne Schepers