Rezension über:

David E. Lambert: The Protestant International and the Huguenot Migration to Virginia (= Studies in Church History; Vol. 12), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, IX + 222 S., ISBN 978-1-4331-0759-7, EUR 51,70
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Rezension von:
Thomas Klingebiel
Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Klingebiel: Rezension von: David E. Lambert: The Protestant International and the Huguenot Migration to Virginia, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/18427.html


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David E. Lambert: The Protestant International and the Huguenot Migration to Virginia

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Die Vielfalt der im Zuge der Ausbildung des hugenottischen Refuge seit 1685 erprobten Migrations- und Ansiedlungsformen bietet einen unerschöpflichen Stoff für historiographische Studien. Bei dem anzuzeigenden Werk handelt es sich um die gekürzte Fassung einer amerikanischen Dissertation, die zwei Ziele verfolgt: Zum einen will sie die Umstände des im Jahr 1700 begonnenen Siedlungsprojekts von Manakin Town (Henrico County, Virginia) klären, zum andern den Vorgang in den transatlantischen Kontext unter besonderer Berücksichtigung des Anteils der 'protestantischen Internationale' einordnen (1f.). Was der Autor unter 'protestantischer Internationale' versteht, wird nicht systematisch erörtert (9f.); im Rahmen seiner Darstellung ist es jener Kreis von Personen, Lambert spricht von Netzwerk, um den hugenottischen Grafen Henri de Ruvigny, den er als Urheber des virginischen Siedlungsunternehmens meint ausmachen zu können. Ruvigny war von Wilhelm von Oranien 1693 in die irische Regierung berufen und zum Earl of Galway erhoben worden. Die für Lamberts These wichtigste Figur ist indes Charles de Sailly, ein ehemaliger französischer Marineoffizier, der als conducteur der im Juli 1700 nach Virginia gelangten Migrantengesellschaft fungierte, nachdem er im Auftrag Ruvignys im Frühjahr 1693 bereits eine Hugenottensiedlung in Irland angesetzt hatte (50f., 134).

Obgleich eine Beteiligung des Earls an der Virginia-Migration nicht nachzuweisen ist, bezeichnet Lambert de Sailly geradezu als Agenten Galways (19f., 23) und begreift das ganze Unternehmen als Pilotprojekt für einen Transfer der in Irland lebenden Hugenotten nach Amerika. Den Grund für einen solchen Transferplan Galways glaubt er in den politischen Widerständen, die dem hugenottenfreundlichen Wilhelm III. begegneten, und insbesondere in der Fremdenfeindlichkeit des englischen Parlaments gefunden zu haben (68-81, 116f.). Indes war der Ausgangspunkt für die Migration nach Virginia ein anderer Vorgang, den Lambert zwar mehrfach erwähnt (20, 47, 83f.), aber nicht recht durchdrungen hat: Die nach dem Frieden von Ryswick (1697), der die Rückkehr der Réfugiés nach Frankreich ausschloss, erfolgte Abschiebung jener Hugenotten, die nach 1685 in den Schweizer Kantonen nicht 'eingebürgert' worden waren, sondern dort noch als Religionsflüchtlinge lebten. Diese 'Schweizer' Réfugiés wanderten nun ins Reich, aber auch in die Niederlande und nach England ab. Die für das virginische Ansiedlungsprojekt gewonnenen, insgesamt 700-800 Hugenotten rekrutierten sich vornehmlich aus dieser Gruppe (vgl. 98f.); Waldenser im engeren Sinne dürften, anders als Lambert vorauszusetzen scheint, nur eine kleine Minderheit gebildet haben. Aus Irland kamen offenbar nur jene, die zur engeren Gefolgschaft de Saillys gehörten.

De Sailly wiederum hatte zusammen mit seinen Partnern, dem Marquis de la Muce und William Waller, im Mai 1698 einen Ansiedlungsvertrag mit Daniel Coxe geschlossen, der im Raum Carolana-Florida über Landrechte verfügte (89ff., 96f.). Dieses Projekt, das die Übertragung von 500.000 acres (mit einer Option auf weitere 500.000 acres) auf eine Unternehmergruppe um de Sailly vorsah, wurde nie realisiert. Die Herren des Board of Trade rieten ebenso ab wie William Byrd II., der Beauftragte der Kolonie Virginia in London (112-116); selbst eine zunächst ins Auge gefasste Ansiedlung der Hugenotten im Südosten Virginias (Norfolk County) wurde unter Verweis auf die sumpfige Umgebung kurzfristig zugunsten einer Etablierung unweit der heutigen Hauptstadt Richmond fallen gelassen. Nachdem Anfang 1700 auf Regierungsebene entschieden worden war, das Ansiedlungsprojekt in Virginia zu situieren (111), nahmen die Behörden der Kolonie die Sache zusehends mehr in die Hand (136ff.). Eine zentrale Rolle spielte dabei William Byrd I., Pflanzer, Mitglied des Councils und Nachbar der hugenottischen Siedlung Manakin Town, der schon aus wirtschaftlichen Erwägungen am Gedeihen der Siedlung interessiert war. Diese Entwicklung muss für de Sailly und seinen Partner, die einerseits Coxe verpflichtet waren, andererseits aber für die Ansiedlung in Virginia designierte öffentliche Mittel empfangen hatten, sehr unangenehm gewesen sein.

Obgleich der binnen weniger Wochen erfolgte Umsturz des ursprünglichen Migrationsplans ohne Einwirkung machtvoller konkurrierender Interessen nicht zu erklären ist, hat Lambert keinen Anlass gesehen, diese näher zu bestimmen und seine Vorstellung von der Dominanz des Galway-Netzwerks zu überprüfen. Es ist zwar legitim, wenn ein Autor seine These stark zu machen sucht. Doch indem Lambert alles beiseiteschiebt, was seinem Ansatz widerstreben könnte, begibt er sich der Mittel, um Kurzschlüsse und Verzeichnungen zu vermeiden. Bedenklich ist vor allem, dass Lambert sich für die Migranten selbst nicht interessiert. Ihre Herkunft, ihre berufliche und soziale Struktur, geschweige denn ihre religiöse Prägung untersucht er nicht. Er blickt stets auf die irgendwie mit Galway verbundenen Personen, auf die Migrationsunternehmer, deren Motive, Interessen und inneren Beziehungen er mit seinen Quellen freilich nur in Umrissen zu erfassen vermag. Da er in der Einleitung auf Marianne Wokeck Bezug nimmt (8f.), müsste er eigentlich wissen, dass die historische Migrationsforschung sich mit guten Gründen vor allem um die Migranten selbst bemüht und deren Selbstorganisation großes Gewicht beimisst. Davon findet sich in dieser Studie nichts: Welchen Anteil die aus der Schweiz gekommenen Hugenotten an der nach Manakin Town führenden Migrationsbewegung hatten, bleibt daher unerörtert.

Lamberts Analyse des Gründungskonflikts von Manakin Town, der kurz nach der Ankunft der zweiten Migrantengruppe im Herbst 1700 (100) ausgetragen wurde, ist ebenfalls unzulänglich: Er hat den Konflikt auf persönliche Animositäten zwischen dem mit der zweiten Gruppe eingetroffenen Pfarrer de Joux und de Sailly zurückzuführen gesucht (155f., vgl. auch 146-154). Gründungskonflikte in Gemeinden des hugenottischen Refuge sind indes fast regelmäßig aufgetreten, ein Umstand, der auf überpersönliche Ursachen verweist. Der Hauptgrund für diese Konflikte war das Bestreben der Migranten, sich selbst zu regieren und zu verwalten; verwehrt wurde ihnen dies je nach den Umständen von den Migrationsunternehmern, von lokalen, meist seigneurialen Kräften, gelegentlich aber auch von den Pfarrern oder mächtigen Gemeindegliedern. In Manakin Town traf das Freiheitsbestreben der Hugenotten auf den Führungsanspruch de Saillys, der seine Rolle als conducteur offenbar in einem seigneurialen Sinne perpetuieren wollte, indem er die Landverteilung und die Zuweisung der Hilfsgüter an sich zog (dies leugnet Lambert geradezu; 5). De Joux konnte bei der Entmachtung de Saillys schon deshalb eine zentrale Rolle übernehmen, weil er vom zuständigen Bischof von London regelrecht ordiniert worden war; die Ordination des Pfarrers war aber eine wesentliche Voraussetzung für die Errichtung einer eigenständigen Kirchengemeinde. Die Verleihung der Parochialrechte wurde denn auch mit der ersten Petition der Hausväter, die dem Gouverneur Nicholson und dem council am 14. November 1700 vorlag, beantragt. Sobald dieser Antrag im Dezember 1700 genehmigt worden war, verfügte die Gemeinde über ein handlungsfähiges, gewähltes Konsistorium. Wenig später wurde auch ein hugenottischer Friedensrichter installiert.

De Sailly und seine Begleiter waren mit der Etablierung der Gemeinde funktionslos geworden. Da sie noch einige Zeit in Virginia geblieben sind, haben sie vielleicht versucht, zumindest einen Teil der ins Land gekommenen Hugenotten an sich zu ziehen, um das Coxe-Projekt doch noch zu verwirklichen. Neuerliche Streitigkeiten, darunter die Anzeige, de Joux halte sich nicht an die anglikanische Gottesdienstordnung (169f.), gehören wohl auch in diesen Zusammenhang. Wenn Lambert den kirchlichen Aspekten des Themas kaum Beachtung schenkt, so lässt dies nicht den Schluss zu, dass er über fundierte Kenntnisse der hugenottischen Gemeinschaftsformen verfügt. Es ist nicht vorstellbar, dass sich eine hugenottische Gemeinde, deren Mitglieder in der Schweiz noch nach den Regeln der eigenen Kirchenordnung gelebt hatten, ohne weiteres der anglikanischen Kirche mit ihren 'römischen' Kultuselementen akkommodiert hat. Für das Festhalten an der calvinistischen Kirchenordnung sprechen auch die anschließenden Streitigkeiten zwischen Konsistorium und Pfarrer. Für Lambert sind die Hintergründe solcher Vorgänge, die er nur streift (172f.), ohne Belang: Die Aufnahme seines Buchs in eine kirchengeschichtliche Reihe ist angesichts dessen schon etwas verwunderlich.

Aufs Ganze gesehen handelt es sich um ein Werk, das in konzeptioneller und methodischer Hinsicht nur in Teilen zu überzeugen vermag: Lambert hat es zwar verstanden, seine These im Rahmen des allgemeinen historischen Kontextes mit Hilfe vornehmlich gedruckter Quellen und der einschlägigen Literatur zu entwickeln (und dabei einige Fehldeutungen der älteren Forschung zu korrigieren), doch neue Quellen, die seine eigene Deutung der Vorgänge stützen könnten, hat er im Zuge seiner Forschungen nicht erschlossen. Grundsätzlich ist darauf zu verweisen, dass eine Fallstudie nicht nur der Einordnung, sondern auch des Vergleichs bedarf: Es gibt zahlreiche Studien zur hugenottischen wie zur allgemeinen Migrationsgeschichte, die man zumindest für die Erarbeitung der konzeptionellen Dispositionen hätte heranziehen können. Hätte Lambert der Interaktion [1] zwischen den Migrationsunternehmern und den Migranten mehr Beachtung geschenkt, wäre es ihm möglich gewesen, den Anteil der von ihm als Zentralfiguren behandelten Personen am Migrationsgeschehen näher zu bestimmen und ihr Verhalten verständig zu beurteilen.


Anmerkung:

[1] Um nur eine in dieser Hinsicht vorbildliche Studie zu nennen, die einem zeitlich und systematisch benachbarten Thema gewidmet ist: Philip Otterness: Becoming German. The 1709 Palatine Migration to New York, Ithaca / London 2004.

Thomas Klingebiel