Rezension über:

Kristian Buchna: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP, 1945-1953 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; Bd. 101), München: Oldenbourg 2010, 248 S., ISBN 978-3-486-59802-5, EUR 24,80
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Horst Sassin
Solingen
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Horst Sassin: Rezension von: Kristian Buchna: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP, 1945-1953, München: Oldenbourg 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 1 [15.01.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/01/18745.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Kristian Buchna: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr

Textgröße: A A A

Die vorliegende Veröffentlichung in einer renommierten Schriftenreihe legt den Fokus auf die Frühgeschichte der FDP in Nordrhein-Westfalen. Der Autor konnte auf Forschungen zurückgreifen, die das innerparteiliche Spannungsverhältnis von liberalem Milieu und nationaler Sammlung [1] oder die Nachkriegsbiografien nationalsozialistischer Funktionseliten im FDP-Umfeld untersuchten. [2] Buchnas Schwerpunktsetzung betrifft einen bislang vernachlässigten Spitzenpolitiker der FDP, dessen Landesverband und den zeitlichen Schwerpunkt von der Gründung der FDP-Vorläuferparteien bis zum Abschluss der Naumann-Affäre.

Dass der Verleger Friedrich Middelhauve (1896-1966) im Zentrum der Untersuchung steht, ist seiner rastlosen Energie als Parteigründer, Kreis-, Landes- und Fraktionsvorsitzender, Zonen- und Bundesvorstandsmitglied der FDP im Untersuchungszeitraum zuzuschreiben. Wie Buchna nachweist, verfolgte er schon seit 1945 ein Sammlungskonzept rechts von SPD und CDU, für dessen Durchsetzung er den Konflikt mit linksliberalen Teilen der Partei suchte und sogar bereit war, die FDP um der Nationalen Sammlung willen zu opfern. Referenzgröße für die Legitimierung seines politischen Handelns war der Niedergang der Deutschen Staatspartei, die selbst eine Sammlung über die liberalen Fundamente hinaus, aber auf schmaler Basis darstellte, in der Middelhauve als Reichstagskandidat glanzlos gescheitert war. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erwies er sich als wenig wählerisch, was seine Mitstreiter betraf, die er bei den Nationalliberalen, den Deutschnationalen und deklassierten Nationalsozialisten fand. Wie bedenkenlos er auch engste Mitarbeiter rekrutierte, beweist die Einbeziehung von Vertretern der jungen nationalsozialistischen Funktionseliten insbesondere aus der HJ-Führungsebene, dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, der deutschen Botschaft und weiteren Dienststellen in Paris. Bekannt ist das im Fall Achenbach, während die Aktivitäten des Anwalts Friedrich Grimm und des radikalen antisemitischen Publizisten Diewerge in der Forschung kaum beachtet wurden. Während das FDP-Mitglied Grimm sich ganz im Sinne Middelhauves für die Generalamnestie der ehemaligen Nationalsozialisten einsetzte, wirkte Diewerge als persönlicher Referent Middelhauves für die Rednerschulung und den Rednerschnellbrief des FDP-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen.

Mit solchen Kräften betrieb Middelhauve den zentralistischen Strukturwandel des Landesverbandes mit dirigistischem Einfluss des Landesvorstandes über Außendienstgeschäftsführer auf die Bezirks- und Kreisverbände, wobei die Außendienstler größtenteils aus den Funktionseliten von NSDAP, SS und HJ rekrutiert wurden. Durch die handstreichartige Übernahme von Bezirksvorständen und die Benennung statt Wahl der Delegierten gelang eine systematische Organisations- und Personalpolitik zu Lasten der innerparteilichen Demokratie.

Erleichtert wurde die Spaltung der FDP in die liberal orientierten Landesverbände wie Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Hamburg und in die deutschnational dominierten wie Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein durch die organisatorische Schwäche der Bundespartei, die wenig Kompetenzen gegenüber den Landesverbänden hatte, von diesen finanziell abhing und insofern eine Kompromisspolitik betrieb. Bezeichnenderweise verurteilte der Landesparteitag der NRW-FDP 1952 die Koalition der baden-württembergischen FDP-Fraktion mit der SPD als partei- und staatsgefährdend.

Ihren Höhepunkt erreichte der innerparteiliche Machtkampf mit der Programmdebatte 1952 und der Naumann-Affäre Anfang 1953. Das von anonymen Vertrauensleuten Middelhauves - vorrangig ehemaligen Nationalsozialisten - ausgearbeitete Deutsche Programm wurde als Basis für die Nationale Sammlung dem Landesparteitag ohne vorherige oder dort geführte Debatte vorgelegt, wegen einiger Proteste an den Landesausschuss verwiesen, von diesem aber kaum verändert verabschiedet. Der Bundesparteitag überwies es zusammen mit dem kurzfristig erstellten Liberalen Manifest einem Ausschuss zur Überarbeitung.

Das weitere Verfahren wurde, wie Buchna zeigt, entscheidend beeinflusst von der Naumann-Affäre. Nach einjährigen Vorermittlungen und Warnungen an die Bundesregierung, die NRW-Landesregierung und an Middelhauve hatten die britischen Besatzungsbehörden im Januar 1953 einen kleinen Kreis prominenter Nationalsozialisten, angeführt von dem Goebbels-Staatssekretär Werner Naumann, verhaftet, denen die Unterwanderung der FDP zum Vorwurf gemacht wurde. Während die Vorwürfe sich auf Dauer als nicht justiziabel erwiesen, demaskierte Middelhauve sich durch seine Verweigerung der Aufklärungsarbeit und seine Nibelungentreue zu Achenbach, dessen Kanzlei als Schnittstelle zwischen NRW-FDP, ehemaligen Nationalsozialisten und der Ruhrindustrie diente. Ihm kam eine Schlüsselrolle im Konzept der Nationalen Sammlung als Integrationsfigur für nationalistische Kreise zu. Indem Middelhauve Achenbach schützte, machte er ihn im Vorfeld der Bundestagswahl 1953 monatelang zum Problemfall für die FDP. Middelhauves Janusköpfigkeit, seine Dreistigkeit und Heuchelei werden von Buchna dokumentiert und deutlich qualifiziert. Da die Nationalsozialisten in der NRW-FDP keine Fremdkörper, sondern wichtig für die Nationale Sammlung waren, führte Middelhauve den Machtkampf mit dem Bundesvorstand.

Nachdem der FDP-Bundesvorstand zunächst Middelhauves Hintermänner verdächtigt hatte, rückte erst seine intransigente Obstruktionspolitik ihn selbst in den Verdacht parteischädigenden Verhaltens. Was ihn rettete, war der befürchtete Ansehensverlust vor der Bundestagswahl und die enorme Finanzkraft des Landesverbandes, dessen Abspaltung die Bundespartei nicht riskierte. Bauernopfer wurden gebracht, um die Hauptakteure zu decken.

Dennoch trug die Naumann-Affäre zur Scheidung der Geister bei. Die nationalsozialistische Unterwanderung wurde gestoppt, die Parteisatzungen auf Bundes- und Landesebene demokratisiert. Das Deutsche Programm spielte nun keine Rolle mehr. Middelhauve selbst stieg zwar nach der Landtagswahl 1954 noch zum Wirtschafts- und Verkehrsminister sowie zum stellvertretenden Ministerpräsidenten auf, verlor aber den Rückhalt bei den jungen pragmatischen Politikern, die als "Jungtürken" die CDU-FDP-Koalition in Nordrhein-Westfalen 1956 stürzten und ausgerechnet dort eine SPD-FDP-Koalition herbeiführten. Damit fand auch Middelhauves politische Karriere ein Ende.

Middelhauves Verdienste um die Belletristik und die wissenschaftliche Publizistik werden in der vorliegenden Untersuchung nur gestreift. Middelhauve verlegte anfangs den unbekannten jungen Schriftsteller Heinrich Böll, bevor er sich stärker auf den wissenschaftlichen Westdeutschen Verlag konzentrierte, in dem die grundlegende, noch heute lesenswerte Studie Die nationalsozialistische Machtergreifung erschien. [3]

Buchnas Studie überzeugt durch eine saubere Analyse, differenzierte Beweisführung und einen geschliffenen Stil. Ein genaueres Verständnis der Spannungen in der frühen FDP wird erst durch weitere Studien über beteiligte Personen, über die Wirkung der Nationalen Sammlungspolitik vor Ort, in divergierenden Untergliederungen, erstellt werden können.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Dieter Hein: Zwischen liberaler Milieupartei und nationaler Sammlungsbewegung. Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945-1949. Düsseldorf 1985.

[2] Vgl. Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989. Bonn, 2. Aufl. 1996.

[3] Karl Dietrich Bracher / Wolfgang Sauer / Gerhard Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland. Köln / Opladen 1960.

Horst Sassin