Christine Tauber: Manierismus und Herrschaftspraxis. Die Kunst der Politik und die Kunstpolitik am Hof von François Ier (= Studien aus dem Warburg-Haus; Bd. 10), Berlin: Akademie Verlag 2009, 419 S., ISBN 978-3-05-004565-8, EUR 79,00
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In ihrer vorzüglich recherchierten Studie zur Kunstförderung Franz' I. von Frankreich widmet Christine Tauber sich einem seitens der Forschung schon länger intensiv traktierten Thema, das hier nun allerdings eine ganz neue und äußert produktive Perspektivierung erfährt. Der Clou von Taubers Arbeit ist die Engführung von Kunst und Politik - und dies nicht im Sinne einer plumpen Instrumentalisierungslogik, sondern als strukturhomologe Handlungs- und Erfahrungsbereiche gedacht. Die Herrschaftspraxis Franz' I. sei von einem "manieristischen Habitus" gekennzeichnet gewesen. Und so erklärt sich seine Vorliebe für die Kunst und Künstler des italienischen Manierismus, deren Förderung wiederum eine "Fortführung der Politik mit anderen Mitteln" bedeutete (4). Nach der militärischen Niederlage in der Schlacht von Pavia 1525 zog der Monarch sich keineswegs und schon gar nicht resignativ auf eine harmlose Spielart exzentrischer Kunstförderung zurück. Vielmehr versuchte er, über die Künste und insbesondere in seinem Schloss von Fontainebleau einen neuartigen Herrschaftsstil aktiv zur Schau zu stellen und einer von ihm ausgewählten Öffentlichkeit nachdrücklich erfahrbar zu machen. Als Strategien manieristischer Kunst und Herrschaftsausübung stellt Tauber Parodie, Ironie, Travestie und Überbietung in der Auseinandersetzung mit den 'klassischen' Vorbildern bzw. mit etablierten Ordnungsstrukturen und Zeremoniell-Anforderungen heraus. Dass Franz I. das Machtpotential dieser in der Regel spielerisch und leichtfüßig daherkommenden, dabei auf Überwältigung und Überforderung zielenden Strategien erkannte, macht - so Tauber - die Modernität seiner Regentschaft aus.
Der Fokus der Arbeit liegt auf der Kunstpolitik Franz' I. nach 1526 und schließt damit chronologisch an die wegweisende Studie von Anne-Marie Leqoc an. [1] Doch Tauber beleuchtet auch die Vorgeschichte und legt im "Italianità oder Gallità?" betitelten Kapitel überzeugend dar, dass in den ersten Regierungsjahren Franz' I. traditionell französische Motive und Zeichensysteme der Etablierung und Stabilisierung des neuen, aus einer königlichen Nebenlinie stammenden Herrschers dienen mussten. Etwas verwegen, weil allzu sehr von der 'Ironie-These' angeleitet, scheint mir Taubers Darlegung von Franz' Porträtpolitik. Zeigt Jean Clouets Staatsporträt (Louvre) wirklich einen "lächelnden König" à la Mona Lisa? Handelt es sich hier tatsächlich um das Kernstück einer von Franz I. bewusst etablierten "persönliche[n] Ikonographie der Verschmitztheit und ironischen Überlegenheit" und damit um ein "Manifest der gewandelten Herrschaftsauffassung" nach 1526 (34f.)? Auch in dem monströsen Kompositbildnis Franz' I. (ca. 1535/45, BnF), das den König als eine hybride, fünf antike Götter und Göttinnen in sich vereinende Figur präsentiert, erkennt Tauber einen subtilen Spott, den der Herrscher in diese virtuose Allmachtsphantasie seiner selbst habe einfließen lassen. Zu solch überlegener Selbstironie sei Karl V., der große Gegenspieler Franz' I., nicht fähig gewesen und habe deshalb auch mit einem angeblich parodistisch angelegten Porträt von der Hand Parmigianinos nichts anzufangen gewusst. Diese These hinkt insofern, als Tauber hier eine auf Pergament gemalte Illumination mit einem großformatigen Ölgemälde vergleicht und die mit dieser Material- und Mediendifferenz einhergehenden höchst unterschiedlichen Entstehungs- und Funktionszusammenhänge der beiden Herrscherporträts völlig außer Acht lässt.
Um die Strukturmerkmale der schließlich gezielt aus Italien importierten manieristischen Kunst beispielhaft aufzuzeigen, zieht Tauber mit Agnolo Bronzinos "Allegorie" (um 1545, National Gallery) ein Gemälde heran, das sich ehemals in der Sammlung Franz' I. befand. Mit Rekurs auf das von Baldassare Castigliones in seinem "Buch vom Hofmann" formulierte "sprezzatura"-Ideal legt Tauber die selbstreflexive Künstlichkeit dieses prinzipiell deutungsoffenen Werkes dar, zeigt parodistische Bezüge zu 'großen' Kunstvorbildern auf und schildert eindringlich, wie Bronzino sich über das mit dem Betrachter und seinen (Ent-)Täuschungen spielende Gemälde in die zeitgenössische Paragone-Debatte einbrachte.
Das vierte Kapitel gilt dem politischen Vergleich, den Franz I. sowohl mit Heinrich VIII. von England wie auch mit dem Kaiser suchte. Tauber schildert das "großangelegte Potenzgebaren" (90) beim Treffen auf dem Güldenen Feld (1520) und kann absolut überzeugend herausarbeiten, wie sich Franz I. sowohl hier als auch in den diplomatischen Wortgefechten mit Karl V. über vermeintlich anstehende Duelle (1526/27 bzw. 1536) als ein mit den Konventionen spielender und daraus Überlegenheit gewinnender Herrscher erweist. Vor dem Hintergrund erscheint es nur natürlich, dass der französische Monarch auch im Bereich der Kunstpatronage kein starres Regiment von Anordnung und Ausführung implementierte. Vielmehr gerierte er sich als ein liberaler Mäzen, der um die eigene Abhängigkeit von den Künstlern und den ihnen gegebenen Freiräumen wusste.
In dem "Rex artifex" überschriebenen fünften Kapitel analysiert Tauber luzide die Besonderheiten der Kunstförderung Franz' I., indem sie zum einen die produktive Zusammenarbeit des Königs mit Rosso Fiorentino und zum anderen das weniger erfolgreiche und schließlich scheiternde Patronageverhältnis mit Benvenuto Cellini darlegt. Offenbar war es nicht die kleine Zeichnung des von Cupido entkleideten Mars (um 1530, Louvre), sondern das Gemälde "Moses beschützt die Töchter des Jethro" (um 1523, Uffizien), das Rosso für die Anstellung am Hof Franz' I. empfahl. Tauber liefert eine brillante Analyse dieses Bildes, seiner stilistischen und semantischen Bezüge zu anderen Werken und Texten und kommt zu dem Schluss, dass der französische König darin die zu seiner modernen Herrschaftspraxis passenden Strukturen erkannte.
Nach seiner Einstellung als Hofkünstler wurde Rosso mit der Ausgestaltung der "Grande Galerie" (heute "Galerie François Ier") im Schloss von Fontainebleau betraut. Das diesem Herzstück der Kunstpatronage Franz' I. gewidmete sechste Kapitel ist zugleich das am meisten beeindruckende in Taubers Arbeit. Man hätte geglaubt, dass den zahllosen Interpretationen der "Galerie François Ier" nichts mehr hinzugefügt werden könne. Aber Tauber schafft es, einen neuen, ungeheuer anspielungsreichen und regelrecht spannenden Parcours durch die "Galerie" zu entwerfen und anschaulich-intellektuell erfahrbar zu machen. Bei der Exposition ihrer nicht neuen, aber erstmals so gründlich und überzeugend durchgearbeiteten These von der "programmatischen Programmlosigkeit" (200) der Galerieausstattung gelingt es ihr, den immensen Forschungsstand zum Thema produktiv einzubinden. Dass der manieristische Raumdekor der "Galerie François Ier" die zeitgenössischen Betrachter überforderte, daran kann nach der Lektüre von Taubers Ausführungen kein Zweifel mehr bestehen. Historische Bekenntnisse zu dieser Überforderung scheint es jedoch ebenso wenig zu geben wie Nachahmer des Modells. Tauber ist sich des Problems bewusst: "Diese Form von moderner, intellektualisierter Herrschaftspraxis ist zu exklusiv konzipiert [...] Massenwirksam und somit realpolitisch durchsetzungsfähig ist sie nicht." (289)
Vielleicht auch um mit diesem doch etwas ernüchternden Befund nicht schließen zu müssen, gibt es ein weiteres letztes Kapitel, das den von Franz I. betriebenen Antikenimport untersucht. Francesco Primaticcio wurde in den 1540er-Jahren vom französischen König nach Rom geschickt, um dort Abgüsse nach ausgewählten antiken und modernen Skulpturen anzufertigen. Die Bronzekopien kamen, wie Tauber überzeugend darlegt, in Fontainebleau in dem im westlichen Schlossbereich angelegten "Jardin des Pins" zur Aufstellung und bereicherten die Inszenierung der königlichen Residenz als "Neues Rom" jenseits der Alpen. Die mit den Abgüssen bzw. Modeln herbeigeführte und weidlich genutzte Reproduktionshoheit Franz' I. ist ein interessanter Aspekt, zeigt sich doch hier eine Neubewertung von Original und Kopie, die dem Manierismus korrespondiert, deren Ursachen aber doch wohl eher in den technischen Möglichkeiten und gebrauchspraktischen Anforderungen der Zeit zu suchen sind.
Es passt zur These von Christine Taubers Arbeit, wenn sie regelmäßig auch ihre Leserschaft überfordert. Nicht alle werden so polyglott sein, englische, französische, italienische, spanische und lateinische Quellen im Originalwortlaut des 16. Jahrhunderts lesen und verstehen zu können. Allzu häufig ist auch etwas dünkelhaft von "berühmten" Texten oder Werken und "bekanntlich[en]" Sachverhalten die Rede. Gravierender, aber vermutlich nicht der Autorin, sondern dem Verlag oder dem Herausgeberteam der Reihe anzulasten, ist die Tatsache, dass die abgebildeten Kunstwerke sämtlich ohne Material- und Maßangaben auskommen. Das degradiert die Objekte zu "autonomen" Bildern und unterstreicht unnötig eine diesbezüglich durchaus vorhandene Tendenz der Argumentation.
Es sind dies beckmesserische Kritikpunkte an einer rundum glanzvollen Arbeit, die durch intellektuelle Dichte und Brillanz besticht und, neben vielen anderen klugen Gedanken, eine höchst anregende These formuliert, an der die politikgeschichtliche wie auch die kunsthistorische Forschung zur französischen Renaissance sich noch einige Zeit werden abarbeiten müssen.
Anmerkung:
[1] Anne-Marie Lecoq: François Ier imaginaire. Symbolique et politique à l'aube de la Renaissance française, Paris 1987.
Sigrid Ruby