Martin Forter: Falsches Spiel. Die Umweltsünden der Basler Chemie vor und nach "Schweizerhalle", Zürich: Chronos Verlag 2010, 215 S., ISBN 978-3-0340-1007-8, EUR 19,50
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In der Nacht auf den 1. November 1986 ging bei Sandoz in Schweizerhalle bei Basel eine Lagerhalle mit 1.351 Tonnen Chemikalien in Flammen auf. Die Brandkatastrophe sorgte für Aufsehen und sensibilisierte die Öffentlichkeit stärker als bisherige außergewöhnliche Vorkommnisse in der Basler Großchemie.
Die Brandkatastrophe von Schweizerhalle gilt als Wendepunkt im Umwelt- und Sicherheitsgebaren der Basler chemischen Industrie. Zu Recht? Martin Forter, einer der besten Kenner der Materie kommt in seinem neuen Buch zu dem Ergebnis, dass die Unternehmen auch nach dem Inferno ihre Umweltstrategie nur ändern, wenn der öffentliche Druck sie dazu zwingt. Er kritisiert die bisher an verschiedenen Deponiestandorten durchgeführten und geplanten Sanierungsmaßnahmen als halbherzig. Die Konzerne führten nur ein Minimum der möglichen und gebotenen Untersuchungen und Deponiesanierungen durch. Daher hält er von der These eines positiven Wandels der Sicherheitsphilosophie der Chemiekonzerne in Folge von Schweizerhalle nicht viel. Er zieht vielmehr den Schluss, dass die Chemie- und Pharmakonzerne nach wie vor "trickreich versuchen, das Ausmaß der Chemiemüll-Verschmutzung in den drei Ländern der Region Basel zu verschleiern und damit Sanierungskosten zu sparen." (214)
Als ein Beispiel für ein lückenhaftes und risikoreiches Abfallmanagement führt Forter den Brandplatz selbst an: Sandoz sanierte ihn nur unzureichend und hinterließ eine Schweizerhalle-Deponie in unmittelbarer Nachbarschaft zu Trinkwasserbrunnen. Diese gefährdet zusammen mit den anderen Deponien von Novartis, Syngenta und Roche das Trinkwasser von 200.000 Menschen in der gesamten Region Basel. Bei den regionalen Chemiemülldeponien handelt es sich um Altlasten, die bis in die 1940er Jahre zurückreichen. Der geschätzte Abfall beträgt schätzungsweise 160.000 Tonnen und besteht aus 5-7.000 Substanzen.
Um die Probleme wirksam zu bekämpfen, die sich aus dieser Schadstoffvielfalt ergeben, bedürfte es nach Forters Überzeugung umfassender Screenings. Bei den bisherigen Untersuchungen dominieren jedoch Analysen im Hinblick auf einige wenige Schadstoffe, so dass der wahre Umfang der Schadstoffproblematik verborgen bleibe. Außerdem sei es so viel schwieriger, die Schadstoffe einzelnen Abfallproduzenten zuzuordnen und so die Verantwortlichkeiten zu klären. Forter arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren an der Problematik, u.a. hat er in Gutachten für Greenpeace Schweiz Sanierungskonzeptionen für Deponien im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet bewertet. Auf dieser Grundlage plädiert er für die Totalsanierung der belasteten Deponien, um der Gefährdung des Grundwassers durch die Abfälle Herr zu werden.
Zwiespältig bewertet Forter die Rolle der obersten Umweltbehörde der Schweiz, des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), obwohl dessen ehemaliger Präsident, Phillippe Roch, ein Vorwort zu dem Buch beigesteuert hat. Dort appelliert Roch an die Chemie und Pharmakonzerne, nicht länger Ausflüchte zu suchen, ihrer Verantwortung nachzukommen und "der Bevölkerung ihr Trinkwasser" zurückzugeben (5). Forter kritisiert am BAFU den Umgang mit den beiden Baseler Kantonen. Während es anderen Kantonen in der Auseinandersetzung mit der Chemischen Industrie den Rücken gestärkt habe, etwa bei der Totalsanierung der Deponien Bonfol und Kölliken, verweigere es den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft die finanzielle und argumentative Unterstützung, um sich einen genauen Überblick über die Schadstoffvielfalt und das Ausmaß der Verschmutzung einen Überblick zu verschaffen.
Forters flüssig geschriebenes Buch ist sehr gut zu lesen. Besonders positiv sticht die detaillierte Beschreibung und Analyse der Probleme der größten Chemiedeponien im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet ins Auge. Hier wird die naturwissenschaftliche Kompetenz des Autors deutlich. Besonders anschaulich erklärt Forter die Grundwasserverhältnisse und die Lage der einzelnen belasteten Parzellen zu Kühlwasser- und Trinkwasserbrunnen. Dies sind die Passagen, in denen das Buch sehr viel zu bieten hat. Dagegen erscheint die Chemische Industrie als monolithischer Block. Fragen, ob sich der Umgang der verschiedenen Konzerne mit ihren Abfällen ändert oder inwieweit sich ein Bewusstsein in Öffentlichkeit und Politik gebildet hat und wie dies vonstatten ging oder geht, wird nicht systematisch nachgegangen. Auch die Entwicklung der Umweltgesetzgebung und die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz unterschiedlich mit der grenzüberschreitenden Problematik umgingen und -gehen, wird von Forter nur am Rande thematisiert.
Forters Buch hat weniger den Charakter einer wissenschaftlichen Monografie, sondern vielmehr den einer engagierten Streitschrift gegen die Basler Großchemie und für eine umfassende Sanierung der Giftmülldeponien. Dies geht zu Lasten der Differenzierung der politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Problematik. Die ökologische Dimension wird dem Leser dagegen sehr anschaulich verdeutlicht. Positiv ist auch der Quellenreichtum einer über Jahrzehnte vervollständigten Materialsammlung hervorzuheben. Es werden Informationen aus Zeitungsartikeln und Gesprächen ebenso wie aus internen Firmen- und Behördenakten verwendet. Forter erklärt jedoch auch, dass ihm Material vorenthalten wurde. Leider wird nicht ersichtlich, um was für ein Quellenmaterial es sich dabei im Einzelnen handelt. Für den Überblick hinsichtlich der einzelnen Altlasten, die zum Teil auf Einlagerungen bis Ende der 1940er Jahre zurückgehen, wäre zusätzlich eine Zeitachse oder eine chronologische Liste der wichtigsten Ereignisse ein Gewinn gewesen.
Trotz dieser Kritikpunkte ist Forters Buch jedoch jedem zu empfehlen, der mehr über Altlasten oder die Chemische Industrie erfahren will. Er wird hier mit einem der größten Umweltprobleme bekannt gemacht, das nicht nur auf die deutsch-schweizerische Grenzregion beschränkt ist.
Anselm Tiggemann