Annette Geiger / Gerald Schröder / Änne Söll (Hgg.): Coolness. Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde (= Kultur- und Medientheorie), Bielefeld: transcript 2010, 242 S., ISBN 978-3-8376-1158-8, EUR 25,80
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Annette Geiger: Urbild und fotografischer Blick. Diderot, Chardin und die Vorgeschichte der Fotografie in der Malerei des 18. Jahrhunderts, München: Wilhelm Fink 2004
Annette Geiger / Stefanie Hennecke / Christin Kempf (Hgg.): Imaginäre Architekturen. Raum und Stadt als Vorstellung, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2006
Änne Söll: Arbeit am Körper. Videos und Videoinstallationen von Pipilotti Rist, München: Verlag Silke Schreiber 2004
Es scheint ein Wagnis zu sein, wenn sich Wissenschaftler einen unpräzisen, und nicht eindeutig bestimmbaren Begriff wie Coolness zu ihrem Untersuchungsgegenstand machen, und es stellt sich die Frage, wie ein solches Feld überhaupt bearbeitet werden kann. Ob dies der vorliegenden Anthologie gelungen ist, soll im Folgenden dargelegt werden.
Hinter der unpräzisen Semantik des untersuchten Begriffs verbirgt sich, zumindest in der Jugendsprache, eine Form der positiven Zustimmung, weshalb sowohl ein glamouröser Designerlook als auch ein abgewetzter Gammellook cool sein können. Neben der uneinheitlichen denotativen und konnotativen Bedeutung des Begriffs existiert jedoch auch ein Habitus des Coolen. Ausgehend von Helmut Lethens Buch "Verhaltenslehre der Kälte" [1], interessierten die Autoren der einzelnen Textbeiträge sich vor allem für die Inszenierung von Kälte in Umgangsformen, Körperdarstellungen und Charakteren im Film und in der modernen und zeitgenössischen Kunst sowie für die Herkunft des coolen Habitus. Coolness bezeichnet dabei eine individuelle Verhaltensstrategie, die Affekte kontrolliert und dadurch Macht und Stärke demonstriert, sowie eine kulturelle Strategie, die zwar eng mit dem Ästhetischen verbunden ist, hinter der jedoch soziale, politische und ökonomische Intentionen liegen.
Die Herkunft des Begriffs resultiert aus Sicht der Autoren aus zwei Phänomenen: zum einen aus dem gängigen Konsens der Coolness-Literatur, vor allem der 1990er-Jahre, die die Entwicklung des Habitus in der afroamerikanischen Kultur der Vereinigten Staaten begründet sieht. Mit der Maske der Leidenschaftslosigkeit unterliefen die schwarzen Sklaven die ausweglose Unterdrückungssituation und versteckten so ihre Wut und Rachegelüste gegenüber ihren Peinigern. Die Kontrolle der Affekte wurde zum männlichen Ideal und fand vor allem in der Musik des Blues, Jazz und Beats ihren Ausdruck. Gerald Schröder beschreibt, wie sich vor allen in den improvisierten Passagen die beteiligten Musiker "rhythmisch auf das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten" einstellen mussten, ohne dabei "die Kontrolle über die musikalische Situation im Ganzen zu verlieren" (174). Dabei erweitert er den Begriff des Coolen, indem nun nicht mehr nur die Kontrolle der Affekte, die Täuschungsstrategien und die Maskerade als Vorbild dienen, sondern gerade die Verweigerung der Fremdbestimmung zur Selbsterfahrung, Selbstbestimmung und Authentizität führt. Als Kennzeichen einer Subkultur erweitert Schröder dann das Untersuchungsfeld und zeigt im performativen Charakter cooler Beherrschung Übereinstimmungen im Werk Jackson Pollocks auf, denn die mediale Inszenierung des Künstlers, formale Aspekte seines Werkes sowie der Herstellungsprozess bieten Anlass zum Vergleich. Gerade in dieser neu gewonnenen Freiheit sieht der Autor die Gründe für die Ablösung der Vormachtstellung des alten europäischen Kunstzentrums Paris durch die US-amerikanischen und speziell die New Yorker Avantgardemaler.
Die Problematik des Begriffs Coolness zeigt sich dann, wenn Sigrid Ruby die Fortentwicklung dieses Habitus in der Minimal Art darstellt. Im Widerspruch zu Gerald Schröder, der die Coolness des Amerikanischen Abstrakten Expressionismus am Beispiel Jackson Pollocks belegt, attestiert Sigrid Ruby der Richtung Gefühl. Die Künstler wollen ihrer intensiven Gefühlswelt künstlerisch Ausdruck verleihen. Als Gegenbewegung zu dieser individuellen künstlerischen Subjektivität entwickelte sich die anfänglich u.a. auch als "Cool-Art" bezeichnete Minimal Art, die sowohl wegen ihrer künstlerischen Haltung und Strategie als auch wegen der formalen und materiellen Eigenschaften der Objekte als cool bezeichnet wurde. Wenn dann Änne Söll am Beispiel von Anton Räderscheidt coole Malerpositionen der 1920er-Jahre, Antje Krause-Wahl die Coolness der Pop Art und Christian Janecke dies an der Malerei von Tim Eitel als einem Vertreter der Leibziger Schule aufzeigt, dann offenbart sich - so interessant die einzelnen Textbeiträge auch sein mögen - die Beliebigkeit des Begriffs in seinem vollen Ausmaß.
Das Neue an dieser Publikation ist, dass die Autoren der primär auf die US-amerikanische Kultur fokussierten Betrachtungsweise der Coolness-Forschung eine eurozentristische Sicht zur Seite stellten. Überzeugend sieht Rüdiger Zill die Anfänge des Habitus des Coolen schon in der griechischen Antike begründet, in der das stoische Glücksversprechen durch das Ideal der Affektbeherrschung erfolgte. Sich irdische Güter wie Gesundheit, Reichtum oder Schönheit zu versagen, vermied die Frustration bei deren Nichterreichung, und die Kontrolle eines solchen Begehrens führte zur Anerkennung durch die Mitmenschen.
Darauf folgend widmet sich Nils Büttner in seinem Beitrag der "Gelassenheit und Nervenstärke [...] als Inbegriff der soldatischen Tugend" (111) im Ersten Weltkrieg. Jeglicher Situation bis hin zum eigenen Leben mit Kälte gegenüberzutreten, wurde zum Leitbild der Soldaten. Dieses anfänglich verklärte Bild des Ersten Weltkrieges und die damit einhergehende Euphorie belegen Selbstdarstellungen einzelner Künstler. So posierte beispielsweise Ernst Ludwig Kirchner zu Kriegsbeginn auf Fotos mehrfach stolz in Uniform, und Otto Dix ließ sich in militärischer Tracht als Herrenreiter hoch zu Ross ablichten. Gerade in diesem Betrag hätte jedoch stärker zwischen innerer Haltung und äußerer Pose differenziert werden müssen, denn vor allem bei einem Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner ist die psychische Verletzung aufgrund der Kriegsereignisse bekannt. Ein gewisses Unbehagen bereitet auch die Verbindung der soldatischen Tugend mit dem Begriff von "Coolness", denn hier scheint der Begriff der "Tapferkeit" doch deutlich besser angebracht zu sein.
Leider lässt die Anthologie eine Präzisierung der Haltung des Coolen vermissen. Alle Autoren stellen den Habitus des Coolen als eine Strategie der Täuschung dar, als einen Schein, hinter dem etwas versteckt wird, und als eine Fiktion, die nicht der Realität entspricht. Dass diese Ansicht jedoch nicht von allen Coolness-Experten geteilt wird, belegt die Aussage von Nick Tosches "To dress cool one must be cool". [2]
Allgemeiner Konsens ist auch, dass die Erschütterungen der Bevölkerung durch die verheerenden inhumanen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges eine gewisse Erwärmung stattfinden ließen, die ihre erste ersichtliche Manifestation dann mit der Flower-Power-Bewegung der 1968er-Generation erfährt. Annette Geiger beschreibt, wie Empathie zur Grundlage des gesellschaftlichen und politischen Lebens wird und sich in Phänomenen wie "Political Correctness, Gender-Mainstreaming, Natur- und Kulturschutz" ausdrückt. Dass Formen "starker, gefühlsgesteuerter Anteilnahme" (87) im Trend liegen, zeigt sie am Siegeszug Barack Obamas oder an der Neuausrichtung der Figur des legendären Geheimagenten James Bond durch die Neubesetzung mit dem Schauspieler Daniel Craig auf: Spezialagent 007 hat nun nicht mehr nur Nerven aus Stahl, sondern zeigt auch Gefühle, wenn er plötzlich eine Frau liebt und mit dieser auch noch Heiratsfantasien pflegt. Geiger führt dies zu der provokanten These, dass Coolness out sei und diese These scheint ihre Bestätigung im Mainstream-Kino zu finden, wohingegen, wie Geiger weiter darlegt, die Helden des Autorenkinos wie zum Beispiel bei Jim Jarmusch, diese Gefühlsäußerungen nicht kennen. So regt sich beim Leser der Verdacht, dass das Gefühl vielleicht doch nur die heimliche Maske der Niedertracht ist.
Die Anthologie bietet nicht nur neue Betrachtungsweisen der Coolness-Forschung an, sondern stellt mit dem Beitrag von Gabriele Mentges auch noch einen begriffsgeschichtlichen Zusammenhang her. So mag dieser Sammelband die übliche wissenschaftlich-präzise Herangehensweisen unterlaufen, in eine gewisse Weitläufigkeit abdriften und sogar Widersprüche provozieren - was jedoch dem Untersuchungsgegenstand zugutekommt. Denn genau darin liegt die Stärke dieser Anthologie, da jede fokussierte, enge Betrachtungsweise eben nicht dem Begriff "Coolness" entsprochen hätte. Ein lesenswertes und in dieser Komplexität einmaliges Buch.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt am Main 1994.
[2] Nick Tosches: Circle Squared, in: Bookforum 8 (2001), Vol. 8, 42-43.
Susanne König