Umar Ryad: Islamic Reformism and Christianity. A Critical Reading of the Works of Muḥammad Rashīd Riḍā and His Associates (1898-1935) (= The History of Christian-Muslim Relations; Vol. 12), Leiden / Boston: Brill 2009, XIV + 387 S., ISBN 978-90-04-17911-0, EUR 125,00
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Die vorliegende Monographie ist die überarbeitete Version einer 2008 an der Universität Leiden eingereichten Dissertation. Im Fokus der Arbeit steht die Auseinandersetzung des muslimischen Gelehrten Muḥammad Rašīd Riḍā und seiner Anhänger mit dem Christentum, insbesondere mit der christlichen Mission im Nahen Osten im 19. und 20. Jahrhundert. So konstatiert der Autor, eines der Hauptziele dieser Studie sei "...examining the bulky corpus of al-Manār, attempting to trace the development of the thoughts of its author on Christianity and missionary activities of his time, and to determine the circumstances, which affected his discourse" (13). Weitere zentrale Fragen lauten: Kann man eine Wandlung der Ansichten Riḍās zum Christentum feststellen? Welche Faktoren haben dazu geführt? Wie haben Riḍā und seine Anhänger auf die Herausforderungen durch die christliche Mission im Orient reagiert? Welche Ideen über das Christentum verbreiteten sie in al-Manār? Das erklärt auch die zeitliche Eingrenzung der Studie. Diese Zeitspanne von 1898 bis 1935 entspricht exakt den Jahren, in denen Riḍā seine Zeitschrift - fast ohne Unterbrechung - herausgegeben hat. Neben dem sehr umfangreichen Korpus von al-Manār (35 Bände), der die Hauptquelle dieser Arbeit darstellt, erfährt der Leser, dass dem Verfasser Zugang zu Privatarchiven von wichtigen muslimischen Persönlichkeiten, darunter auch zu demjenigen von Rašīd Riḍā selbst, gewährt wurde. Dies macht in der Tat neugierig und steigert die Erwartungen.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den verschiedenen Quellen, aus denen sich Riḍās Kenntnisse über den Westen und das Christentum speisen: "As al-Manār's views on Christianity [...] comprised a part of Riḍā's whole understanding of the West, I would argue that one should first look at al-Manār's sources of Knowledge of the West" (15). Die Begegnung mit dem militärisch überlegenen Europa hatte die Machtverhältnisse innerhalb der mehrheitlich muslimischen Gesellschaften verändert: Das Christentum war nicht mehr die Religion einer Minderheit, die sich dem muslimischen Staat unterwerfen musste, sondern wurde seither als die Religion des überlegenen Europas aufgefasst. Vor diesem Hintergrund widmet sich der Verfasser zunächst der Rezeption "westlicher Ideen" und dann den Diskussionen um die Historizität biblischer Überlieferung(en) (wie z.B. der Babel-Bibel-Streit) in den arabischsprachigen Druckmedien, die Riḍās Ansichten über das Christentum stark beeinflusst haben. Danach werden verschiedene Persönlichkeiten aus dem Netzwerk Riḍās, inner- sowie außerhalb der "islamischen Welt", näher beleuchtet. Hier erfährt der Leser, welche bedeutende Rolle die muslimische Diaspora in Europa am Anfang des 20. Jahrhunderts bei der Herausbildung bestimmter Vorstellungen über Europa und das Christentum gespielt haben.
Im zweiten Kapitel wird zunächst Riḍās ambivalentes Verhältnis zu christlich-arabischen Intellektuellen, insbesondere aus Syrien, dargestellt. Der panislamische Vordenker zeigte großen Pragmatismus im Umgang mit seinen christlichen Mitbürgern: Wegen des wichtigen literarischen und wissenschaftlichen Beitrages arabischer Christen und insbesondere wegen der gemeinsamen politischen Agenda war Riḍā bereit, mit ihnen zusammenzuarbeiten, solange sie den islamischen Charakter der arabischen Gesellschaften nicht ablehnten. Allerdings führte diese Kooperation aufgrund der areligiösen bzw. säkularen Einstellungen der syrischen Christen oft zu Streitigkeiten. Als zweites wird Riḍās Haltung gegenüber den Kopten während seines Aufenthaltes in Ägypten näher beleuchtet.
In Kapitel 3 gelingt es dem Autor, eine Entwicklungslinie in al-Manārs Reflexionen und Reaktionen auf die christliche Mission und die damit verbundenen sozialen und theologischen Aspekte nachzuzeichnen. Riḍā vertrat, wie schon seine Vorgänger, die sicherlich berechtigte Meinung, dass die Mission im Nahen Osten stets mit kolonialen Ambitionen einherginge. Allerdings zeigte er sich bereit, gewisse Aspekte der Missionsarbeit in muslimischen Gesellschaften zu akzeptieren, wie z.B. die positive Rolle der christlichen Schulen, in denen die "modernen Wissenschaften" gelehrt wurden.
Kapitel 4 stellt die Analyse einer Artikelsammlung dar, die zwischen 1901 und 1904 verfasst und später als Monographie unter dem Titel "šubuhāt an-Naṣārā wa-Huǧaǧ al-'Islām" herausgegeben wurde. Dieses apologetische Werk, in dem Riḍā Unterstellungen missionarischer Publikationen zu widerlegen und die Überlegenheit des Islam zu beweisen versucht, ist insofern interessant, weil es Riḍās frühe Vorstellungen widerspiegelt und die spätere Wandlung seiner Ansichten deutlich macht.
Das Bemühen des syrischen Gelehrten, ein "wahres" Evangelium zu entdecken, und seine Edition des umstrittenen Barnabas-Evangelium werden im fünften Kapitel behandelt. Die Suche nach einem "islamkonformen" Evangelium hat schon vor Riḍā zahlreiche muslimische Gelehrte beschäftigt. Alle erhofften sich durch die Entdeckung eines Evangeliums, das dem koranischen Bild Jesu Christi nicht widerspricht und das Prophetentum Muḥammads bestätigt, den endgültigen Beweis für die "Falschheit" der kanonisierten Evangelien und somit der kirchlichen Lehre zu erbringen. In dieser Hinsicht verkörperte das Barnabas-Evangelium die Wahrwerdung dieses Wunsches, was Riḍās enormes Interesse an dieser apokryphen Schrift erklärt.
Kapitel 6 legt den Fokus auf die Beiträge von Tawfīq Sidqī, einem Arzt, der sich durch seine anti-christlichen polemischen Schriften einen Namen in der arabischen Presse gemacht hatte. Sidqīs Besonderheit liegt darin, dass er zum einen verschiedene kritische englischsprachige Werke über das Christentum rezipierte. Zum anderen bediente er sich seiner medizinischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse, um aus einer muslimischen Perspektive "Widersprüche" und "Irrationalitäten" der christlichen Lehre aufzudecken.
Im Anschluss daran befasst sich der Autor im siebten und letzten Kapitel mit der Analyse verschiedener Fatwas über das Christentum, die Riḍā in seiner Funktion als Muftī in al-Manār veröffentlichte. Die Analyse dieser Fatwas ist insofern relevant, weil sie auf der einen Seite Riḍās Ansichten über das Christentum im Lichte der muslimischen Jurisprudenz deutlich macht. Auf der anderen Seite bietet sie einen tiefen Einblick in die "brennenden" Fragen, die die muslimischen Gesellschaften zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts beschäftigten. Hier leistet Umar Ryad auch einen wichtigen Beitrag zur Mentalitätsgeshichte der modernen muslimischen Gesellschaften. Ein Fazit, eine Bibliographie, ein Anhang (Auswahl von Bildern und Briefen aus Privatarchiven) und ein Index beschließen die Arbeit.
Insgesamt kann Umar Ryad mit seinen Analysen überzeugen. Er erweist sich als genauer Kenner der Salafiyya-Bewegung und der Zeit der Nahda. Vor allem die Verwendung unveröffentlichter Quellen aus den Privatarchiven des syrisch-türkischen Ex-Offiziers Zakī Hišmat Kirām (1886-1946) und des marokkanischen Gelehrten Taqī ad-Dīn al-Hilālī (1893-1987) stellt eine Stärke dieser Monographie dar. Ryad ermöglicht den Lesern mit seiner substantiellen Abhandlung anhand eines gut gewählten Beispiels fundierte Einsichten in das Denken eines bedeutenden muslimischen Reformers, dessen Spuren im heutigen muslimischen Diskurs immer noch sichtbar sind.
Mehdi Sajid