Rezension über:

Enea Silvio Piccolomini: Germania. a cura di Maria Giovanna Fadiga, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2009, XXIII + 332 S., ISBN 978-88-8450-354-1, EUR 58,00
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Rezension von:
Julia Knödler
Abteilung für Handschriften und Alte Drucke, Bayerische Staatsbibliothek, München
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Julia Knödler: Rezension von: Enea Silvio Piccolomini: Germania. a cura di Maria Giovanna Fadiga, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/05/18971.html


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Enea Silvio Piccolomini: Germania

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Wer immer sich mit dem Œuvre Enea Silvio Piccolominis (Pius II.) beschäftigt, stößt auf ein merkwürdiges Missverhältnis von Texten, die mehrfach kritisch ediert, und solchen, die in keiner einzigen modernen Ausgabe zugänglich sind. So existieren beispielsweise für die "Historia Bohemica" und den Erziehungstraktat "De educatione liberorum" je zwei moderne Ausgaben und für die autobiographischen "Commentarii" sogar vier Editionen neueren Datums, während die "Asia", der "Commentarius" zu Beccadellis "De dictis et factis Alphonsi regis" und die politischen Reden Piccolominis nur in Drucken des 16.-18. Jahrhunderts erschlossen sind und ein Teil des Briefcorpus sogar gänzlich ungedruckt ist. Daher ist es im Grunde nicht sonderlich überraschend, dass mit der Neuausgabe der "Germania" ein Text präsentiert wird, für den bereits eine kritische Edition vorliegt. Diese von Adolf Schmidt besorgte Ausgabe von 1962 ist insofern benutzerunfreundlich, als sie immer mit der vom Herausgeber im selben Jahr publizierten Übersetzung zusammen gelesen werden muss, wo sich der überwiegende Teil des historischen Kommentars findet. [1]

Martin Mayr, Kanzler des Mainzer Erzbischofs, hatte im Sommer 1457 an Kardinal Piccolomini eine heute nicht mehr in ihrem ursprünglichen Wortlaut überlieferte Beschwerde gerichtet, in der er sich über das als ausbeuterisch empfundene Finanzgebaren der Kurie beklagt haben muss. Enea wies diese Vorwürfe in zwei offiziellen Briefen zurück und verarbeitete sowohl die Klageschrift Mayrs als auch seine eigenen Texte zu einem Brieftraktat, der das angebliche Schreiben Mayrs und seine eigene Antwort enthält. Darin kontrastiert er das alte heidnische Germanien mit den blühenden Landschaften des spätmittelalterlichen Deutschlands, für dessen Prosperität er Christen- und Papsttum verantwortlich macht. Rezipiert wurde dieser Text in Deutschland jedoch bald im Sinne frühnationaler Vorstellungen und der "von den deutschen Humanisten folgenreich kultivierte[n] Germanenideologie." [2]

Überliefert ist der Brieftraktat im autographen Konzept (Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 3886), in der im Umfeld des Autors entstandenen Reinschrift (Vat. lat. 3885), in einer späteren Abschrift und in diversen Drucken. Die beiden Haupthandschriften unterscheiden sich - von vereinzelten Abschreibefehlern und orthographischen Varianten abgesehen - darin, dass der Widmungsbrief an den Kardinal von Lerida im Konzept nach dem Traktat, in der Reinschrift vor diesem steht. Schmidt entschied sich in seiner Ausgabe, in diesem Fall der Reinschrift zu folgen, auch übernahm er bei vereinzelten Fehlern des Vat. lat. 3886 die korrekten Lesarten aus dem Vat. lat. 3885 oder aus der Drucküberlieferung und dokumentierte die Fehler des Autographs im Apparat.

Maria Giovanna Fadiga hingegen will konsequent den Text der autographen Handschrift wiedergeben. Diesem Ansatz entsprechend steht der Widmungsbrief nun am Schluss der Ausgabe und im Apparat werden alle Streichungen, Ergänzungen, Korrekturen Piccolominis und Besserungen anderer Hände aufgeführt. Dadurch erhält die Leserschaft einen hervorragenden Einblick in die Arbeitsweise Enea Silvios und seines Kreises. Problematisch ist diese Vorgehensweise aber in einem Punkt: auch der Autograph enthält gelegentlich Fehler - und diese korrigiert Fadiga stillschweigend nach den anderen Überlieferungsträgern, und zwar ohne Kennzeichnung im Apparat (vgl. als Beispiel 165 "remanserat" wie richtig in der Reinschrift, statt "remanserant" wie im Autograph).

Der Quellenapparat und historische Sachkommentar bei Fadiga ist der Schmidt'schen Ausgabe überlegen; an vielen Stellen fand sie Anklänge an klassische und mittelalterliche Autoren, die in der alten Ausgabe übersehen wurden, und kann auf Parallelstellen anderer Piccolomini-Texte verweisen. Allerdings schießt Fadiga dabei auch oft über das Ziel hinaus, indem sie jede in Volltextdatenbanken auffindbare Zufallsparallele angibt oder diese willkürlich auswählt (so werden auf 149 zum Ausdruck "divina ultio", der allein in Mignes Patrologia Latina 54fach belegt ist, drei Parallelen genannt, darunter Hildegard von Bingen, oder auf 139 wird zu "hominum curiositas" eine Parallelstelle bei Thomas von Aquin angegeben, obwohl dieser Ausdruck auch bei Ambrosius und Petrus Venerabilis vorkommt). Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen.

Auch der Sachkommentar kann, obwohl er oft über den der älteren Ausgabe hinausführt, nicht in jeder Hinsicht überzeugen. Ein Beispiel: im zweiten Buch zitiert Enea Strabo; Schmidt (47, Anmerkung 5) macht darauf aufmerksam, dass diese Quelle falsch verstanden worden sei (statt "keine Vorräte anlegen" wie im griechischen Original, steht hier im Strabo-Zitat "propter pecuniarum inopiam"). Fadiga zitiert Schmidt und ergänzt, man solle dieses Missverständnis vor dem Hintergrund sehen, dass Piccolomini Strabo nur in der Übersetzung Guarinos kannte, ohne jedoch diese lateinische Fassung Strabos zu zitieren, obwohl diese gut zugänglich ist und natürlich praktisch wörtlich mit dem Piccolominitext übereinstimmt. [3]

Die Einleitung der Neuausgabe ist ebenfalls nicht über alle Zweifel erhaben. Zwei Beispiele:

Dass Thomas Ebendorfer als Freund Piccolominis aufgeführt wird, der sich die historische Methode des Sienesen angeeignet habe (67), darf als krasse Fehleinschätzung bewertet werden, und die von Fadiga Enea zugeschriebenen "Artis rhetoricae praecepta" (XVI und öfter) stammen mitnichten aus Piccolominis Feder, sondern sind ein Werk des Albrecht von Eyb. [4] Andere Punkte der Einleitung, die sich mit Schrift und Orthographie Piccolominis beschäftigen, sind inzwischen durch zeitlich parallel erzielte Forschungsergebnisse überholt. [5]

Hinzu kommen zahlreiche Kleinigkeiten, die auf Nachlässigkeit und mangelnde Endredaktion deuten: Häufig werden Piccolomini-Texte nach der Opera-Omnia-Ausgabe von 1571 zitiert, obwohl es moderne Editionen gibt (beispielsweise die "Europa" auf 165, der Traktat "De educatione liberorum" auf XIV, ein Brief an Prokop von Rabenstein von 1444 auf 155). Auch wimmelt es in nicht italienischen Literaturangaben von Tippfehlern (zum Beispiel finden sich allein auf Seite 83 "Reinassance" statt Renaissance, "Pfrunden" statt Pfründen, "Tellenbech" statt Tellenbach, "Archivien" statt Archiven, "Piccolomini. Weg" statt "Piccolominis Weg").

Angesichts der genannten Probleme von Fadigas Germania-Ausgabe bleibt der Gesamteindruck leider zwiespältig. Aber vermutlich ist die nächste kritische Edition der "Germania" ohnehin längst irgendwo in Arbeit.


Anmerkungen:

[1] Aeneas Silvius: Germania und Jakob Wimpfeling: "Responsa et replicae ad Eneam Silvium", herausgegeben von Adolf Schmidt, Köln / Graz 1962; Enea Silvio Piccolomini: Deutschland. Der Brieftraktat an Martin Mayer [...], übersetzt und erläutert von Adolf Schmidt (= Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit; 104), Köln / Graz 1962.

[2] Johannes Helmrath: Artikel "Pius II.", in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), 492-494, hier 493.

[3] Vgl. 531 der Ausgabe von 1652: "[...] propter inopiam pecuniarum". Eventuell wäre es sogar sinnvoll gewesen, die von Enea verwendeten Guarino-Handschriften zu Rate zu ziehen, vgl. Martin Wagendorfer: Einleitung, in: Eneas Silvius Piccolomini: Historia Austrialis. Teil 1, Einleitung von Martin Wagendorfer, 1. Redaktion herausgegeben von Julia Knödler (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores Rerum Germanicarum. Nova Series; XXIV, 1), Hannover 2009, LI.

[4] Vgl. Franz-Joseph Worstbrock: Artikel "Piccolomini, Aeneas Silvius", in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 72 (1989), Sp. 634-669, hier Sp. 639.

[5] Diese Themen sind inzwischen aufgearbeitet durch Martin Wagendorfer: Zur Orthographie des Eneas Silvius Piccolomini, in: Mittellateinisches Jahrbuch 42 (2007), 431-476; Martin Wagendorfer: Die Schrift des Eneas Silvius Piccolomini (= Studi e testi; 441), Vatikanstadt 2008.

Julia Knödler