Helga Hübner / Eva Regtmeier: Maria de' Medici. Eine Fremde. Florenz - Paris - Brüssel - London - Köln (= Dialoghi / Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs; Bd. 14), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, 257 S., ISBN 978-3-631-60118-1, EUR 46,80
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Als "Henri le bon" und "... le grand" verehren die Franzosen noch heute Heinrich IV., der 1589 als erster Bourbone den französischen Thron bestiegen hat. 1593 konvertierte der ehemalige Hugenottenführer zum Katholizismus und bescherte seinem Land, indem er 1598 das Toleranzedikt von Nantes erließ und den Krieg mit Spanien beendete, eine lange Periode des inneren und äußeren Friedens. Gleichwohl wurde er am 14. Mai 1610 von einem katholischen Fanatiker ermordet. Die enorme Popularität des vitalen, volksnahen Königs, der mehr als 70 Mätressen gehabt und 20 uneheliche Kinder gezeugt haben soll und der wünschte, jeder Bauer solle sonntags "ein Huhn im Topf" haben, zeigte sich noch jüngst in den zahlreichen Veranstaltungen zum 400. Todesjahr und dem Medieninteresse, das die Wiederentdeckung und wissenschaftliche Untersuchung seines seit der Schändung der Königsgräber im Jahr 1793 verschwundenen Schädels auf sich zog. Dieser soll nun wieder bei seinen Gebeinen in der Kathedrale von Saint-Denis bestattet werden. [1]
Wie eine Kehrseite der Verehrung des Henri IV stellt sich das negative Image dar, das seiner zweiten Frau, Maria de' Medici, anhaftet. Die 1573 geborene Tochter des Großherzogs Francesco und der Johanna von Österreich wurde mit 27 Jahren mit dem König liiert, dem sie sechs Kinder gebar. Nach seinem Tod regierte sie Frankreich sieben Jahre, bis ihr Sohn, der bereits 1614 für volljährig erklärte Ludwig XIII., ihren Minister Concini ermorden ließ, die Regentschaft übernahm und sie nach Blois verbannte. Ihrer Flucht im Februar 1619 nach Loches und später nach Angoulême folgten langwierige Verhandlungen und im August 1620 die Schlacht bei Pont-de-Cé, in der Ludwig XIII. ihre Truppen besiegte. Erst im Dezember 1621 kam es zu einer offiziellen Versöhnung. Zurück in Paris, wurde die Königinmutter Vorsitzende des Ministerrates, und auf ihr Drängen hin ernannte Ludwig XIII. 1625 ihren Ratgeber Richelieu zum Minister. Als sie diesen im November 1630 zu stürzen versuchte, widersetzte sich der König und verbannte sie nach Compiègne. Im Juli 1631 floh sie aus Frankreich. Ihre letzten elf Lebensjahre verbrachte sie, des Hochverrats bezichtigt, im Exil in Brüssel, Amsterdam, London und Köln.
Die Nachwelt hat Maria de' Medici überwiegend negativ bewertet: als ehrgeizige, dabei selbstsüchtige, verstockte und intrigante Person, als lieblose Gattin und Mutter und unfähige Regentin, der man sogar jeglichen Kunstverstand abgesprochen hat (15f.). Eine frauen- und fremdenfeindliche Leumundbildung, die durch Pamphlete aus dem Umfeld Richelieus genährt wurde, gipfelte im 19. Jahrhundert in der nationalistischen Geschichtsschreibung Jules Michelets, der erklärte, Maria de' Medici habe das französische Königsblut verunreinigt (60).
Mit dem Klischee der inkompetenten, gefühllosen Königin wollen nun, nachdem jüngere Studien bereits ein differenzierteres Bild zu Tage gebracht haben [2], die Literaturwissenschaftlerinnen Helga Hübner und Eva Regtmeier aufräumen. Leitend ist in ihrer Darstellung der Aspekt der Fremdheit, die das gesamte Dasein der Mediceerin prägte (17f.): Nach dem Tod ihrer Eltern - mit fünf Jahren verlor sie die Mutter, danach mehrere Geschwister, mit 17 den Vater - lebte sie in der Familie ihres Onkels Ferdinando, den sie bis dahin kaum kannte, da er zuvor als Kardinal in Rom gelebt hatte. Zehn Jahre später wurde sie per procurationem mit einem Unbekannten liiert und in ein Land verschickt, dessen Sprache sie zunächst kaum beherrschte und in dem man aufgrund ihrer unbeliebten Vorgängerin Caterina de' Medici und des neiderregenden Erfolgs italienischer Bankiers und Künstler Argwohn gegen ihre Landsleute hegte (17, 49ff.).
Hübner und Regtmeier bringen dem Leser die Perspektive der Mediceerin nahe, deren Heirat nach jahrelangen Verhandlungen nur zustande kam, weil ihre Familie Gläubiger Frankreichs war und Heinrich IV. mit der geplanten Ehe eine sagenhafte Mitgift winkte und Papst Clemens VIII. bereit war, für ihr Zustandekommen seine erste Ehe zu annullieren. Zudem war der Regent trotz seines legendären Mundgeruchs ein weithin bekannter Schürzenjäger, der von Kirchenkanzeln als "König der Böcke" geschmäht wurde (26). Seine rücksichtslose Libertinage blieb seiner zweiten Frau nicht lange verborgen. Als sie am 3. November 1600 in Marseille französischen Boden betrat, war er nicht zugegen, und noch in Lyon, wo die Hochzeit stattfinden sollte, ließ er tagelang auf sich warten (49). In Paris musste Maria den Tisch mit der königlichen Mätresse Henriette d'Entragues teilen, der Marquise de Verneuil, die von Heinrich IV. ein schriftliches Eheversprechen besaß (54). Einen Monat nach der Geburt des Dauphins sollte diese ebenfalls einen Sohn und 1602 ein weiteres Kind Heinrichs zur Welt bringen. Als sich dieser im März 1604 ganz seiner Mätresse zuwandte, rechnete man am Hof sogar mit einer baldigen Zurücksendung der Königin nach Florenz (54). Zu recht betonen die Autorinnen, dass Heinrich ihre Macht erst stärkte, als er sie, nicht wie von ihr gefordert, nach der Geburt des Dauphins, sondern erst am 13. Mai 1610, dem Tag vor seiner Ermordung, in Saint-Denis krönen ließ, da er am 19. in den Krieg aufbrechen wollte (55). Die regierende Königinmutter sah sich dann einer schwer zu durchschauenden Gemengelage von innen- und außenpolitisch sowie religiös motivierten Oppositionen konfrontiert (66). Nach Hübner und Regtmeier war ihr Scheitern in erster Linie ihrer Unkenntnis der Besonderheiten der französischen Monarchie und den komplexen Problemen geschuldet, die einer Konsolidierung der königlichen Macht entgegenstanden, und nicht ihren persönlichen Defiziten (237).
Neben ihrer Biografie behandeln die Autorinnen auch das Mäzenatentum der Maria de' Medici ausführlich. Gegen das alte Vorurteil, sie habe keinen Kunstverstand gehabt und keinen nennenswerten Einfluss auf die französische Kultur genommen (15f.), betonen Hübner und Regtmeier zunächst die umfassende Erziehung, die Maria in Florenz erhalten hatte (20ff.). Ihre intime Kenntnis der damals maßstabsetzenden Mediceischen Hofkultur kam ihrem eigenen Mäzenatentum zu Gute. Maria förderte die Dichter François de Malherbe und Giambattista Marino, das Theater und das Ballett; in ihrem Auftrag entstanden das von Giambologna und Pietro Tacca geschaffene bronzene Reiterstandbild Heinrichs IV. auf dem Pont Neuf, das von Salomon de Brosse erbaute Palais du Luxembourg und der Medici-Zyklus von Peter Paul Rubens.
Wie für das gesamte Buch gilt auch für den Abschnitt des inzwischen gut erforschten Mäzenatentums Maria de' Medicis, dass Hübner, die zu diesem Thema 1999 ihre Magisterarbeit verfasst hat, und Regtmeier viel Altbekanntes rekapitulieren. Wirklich Neues enthält in diesem Buch lediglich die auf Archivarbeiten gestützte Darstellung der Zeit des Kölner Exils, wo der Königinmutter Provokateure Richelieus zusetzten, dem auch ihr Leibarzt Jean Riolan als Spion diente (220ff.). Neue Einsichten über die Mediceerin vermittelt dieses mit Ausführungen zur Kölner Stadtgeschichte gefüllte Kapitel allerdings nicht.
Insgesamt leidet die Darstellung darunter, dass die Autorinnen die Form der chronologischen Nacherzählung selten aufgeben, um bestimmte Aspekte zu vertiefen. Erörterungen, wie die des von Maria de' Medici eingeführten lit de justice inaugural, der sofortigen Machterteilung durch das Parlament von Paris, die bei Ludwig XIII. seiner Krönung in Reims vorausging, was Hübner und Regtmeier als wichtigen Schritt hin zum absolutistischen Staat bewerten (62), sind eingestreut in anekdotenreiche Schilderungen der Ereignisse. Diese weisen auch Zweifelhaftes auf, wie die Geschichte, Heinrich IV. habe seine zukünftige Frau in Lyon zunächst heimlich in Augenschein genommen (48), die man als Legende der Epoche Dumas' und Hugos bewertet hat. [3] Dennoch ist das vorliegende Buch insgesamt eine inhaltsreiche, lesenswerte Studie. Sympathisch, wenngleich nicht mehr sonderlich originell, erscheint das Bemühen einer Revision des Negativimages der Mediceerin. Wenn die um ihre moralische und historische Aufwertung bemühten Autorinnen diese abschließend als Wegbereiterin Ludwigs XIV. bezeichnen (240), so bleibt das allerdings eine kühne Behauptung, gegen die man einwenden möchte, dass ihr vor allem in dem Konflikt mit ihrem Sohn, der immerhin zum Bürgerkrieg eskalierte, gravierende Fehleinschätzungen unterlaufen sind. Das haben auch wohlmeinende Zeitgenossen so gesehen. So hat Christina Strunck unlängst in Florentiner Archiven Briefe entdeckt, in denen ihre Angehörigen Maria de' Medici vergeblich ermahnten, diplomatischer zu agieren. [4]
Anmerkungen:
[1] Stefan Ulrich: Mein Teil. Mehr als 200 Jahre lang war die Leiche von Heinrich IV. ohne Haupt. Nun bekommt der französische König endlich seinen Kopf wieder, in: Süddeutsche Zeitung, 17.12.2010, 3; Markus C. Schulte von Drach: Forensik - Schädel von Heinrich IV. identifiziert, http://www.sueddeutsche.de/wissen/frankreich-schaedel-von-heinrich-iv-identifiziert-1.1036605.
[2] Siehe Michel Carmora: Marie de Médicis, Paris 1981; Françoise Graziani / Francesco Solinas (Hgg.): Le "Siècle" de Marie de Médicis, Actes du Séminaire de la Chaire de Rhétorique et Société en Europe, 3 Bde., Paris 2003; Caterina Caneva / Francesco Solinas (Hgg.): Maria de' Medici (1573-1642), una principessa fiorentina sul trono di Francia, Katalog der Ausstellung Florenz, Palazzo Pitti, Florenz 2005; Jean-François Dubost: Marie de Médicis. La reine dévoilée, Paris 2009.
[3] Ronald Forsyth Millen / Robert E. Wolf: Heroic Deeds and Mystic Figures. A new Reading of Rubens' Life of Maria de' Medici, Princeton 1989, 74.
[4] Christina Strunck: "Weibergeschichten". Heteronomie und Autonomie in der künstlerischen Präsentation von Herrscherinnenviten (Florenz / Paris, 1611-1627), Vortrag, gehalten auf dem XXXI. Deutschen Kunsthistorikertag, Universität Würzburg, 24. März 2011.
Wolfgang Brassat