Jamal Malik: Islam in South Asia. A Short History. (= Themes in Islamic Studies; Vol. 4), Leiden / Boston: Brill 2008, XIV + 520 S., ISBN 978-90-04-16859-6, EUR 139,00
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Die "kurze Geschichte" des Islams in Südasien von Jamal Malik ist ein umfassendes Werk über den Islam bzw. die Muslime auf dem Subkontinent, das die Zeit von den Anfängen islamischer Präsenz auf dem Subkontinent bis ins Jahr 2002 abdeckt. Dabei will das Buch weniger ein Geschichtswerk im herkömmlichen Sinne sein - die dynastische Geschichte wird bewusst stark in den Hintergrund gerückt zugunsten einer Ideen-, Sozial- und Kulturgeschichte. Das Buch möchte damit ausdrücklich einen Gegenpol setzen zu der gängigen und bereits auf die Kolonialzeit zurückgehenden Einteilung einer weitgehend linear verstandenen historischen Entwicklung, der zufolge auf eine Art "Goldener Zeit" blühender islamischer Herrschaft ein langsamer Niedergang folgt, welcher wiederum durch die Kolonialzeit abgelöst wird. Es geht dem Verfasser also darum, gezielt Stereotypen aufzubrechen und eine andere Art der Geschichtsschreibung zu versuchen. Dabei setzt er allerdings einen Leser voraus, der bereits über Grundkenntnisse der historischen Entwicklungen verfügt, und der das Skelett historischer Daten und ereignisgeschichtlicher Zusammenhänge zur Orientierung nicht benötigt.
Die bewusst andere Art der Herangehensweise wird bereits an der Kapiteleinteilung sichtbar: Die vier Hauptteile des Buches - "Early Muslim Expansion, Cultural Encounter and its constituencies" (29-84), "The establishment of Muslim Empire Cultures: Between islamic and islamicate" (87-212), "Territorial States and Colonial Rule. Accomodation and differentiation of Muslim Cultures" (215-355) und "Negotiating Muslim Pluralism and Singularity" (359-457) - sind zwar chronologisch angeordnet, weisen aber Überlappungsbereiche auf, so dass eben nicht eine Phase auf die andere folgt, sondern bestimmte Phänomene noch andauern, während zugleich bereits neue Entwicklungen einsetzen. Dieses Aufbrechen einer linearen Chronologie wird in den Kapiteln konsequent fortgesetzt, so dass auch hier die jeweils behandelten Phasen Überschneidungsbereiche aufweisen. Durch den Einschub von Exkursen, die sich an die meisten Kapitel anschließen, wird die chronologische Ordnung noch weiter aufgelöst; hier stellt der Verfasser zeitübergreifende Phänomene dar, wie beispielsweise die Quellenlage, das Kastenwesen, die Beziehungen zwischen Shi'a und Sunna oder die sprachliche Situation. Die Exkurse sind dabei lose dem jeweils vorangehenden Kapitel inhaltlich zugehörig, wobei dieser Zusammenhang nicht zwingend ist, und man sich manchen Exkurs auch gut an anderer Stelle vorstellen könnte. - Damit ist dann auch bereits ein Kritikpunkt angesprochen, denn durch das Aufbrechen einer streng chronologischen Ordnung und die zusätzlichen Exkurse wird die Orientierung in dem Buch erschwert. Dabei gibt es sehr wohl eine Binnenstruktur der einzelnen Kapitel, die in Unterkapitel mit jeweils eigenen Zwischenüberschriften eingeteilt sind. Diese Zwischenüberschriften werden aber leider im Inhaltsverzeichnis nicht mit angegeben. Das ist schade, denn dadurch würde der Leser überhaupt erst eine Übersicht darüber gewinnen, welche Entwicklungen und Phänomene im Detail behandelt werden, und könnte diese dann auch gezielt ansteuern. Gerade dieses Buch ist nämlich sehr geeignet dazu, nur einzelne Abschnitte oder Unterkapitel zu lesen.
Vergleicht man die vier Hauptteile des Buches, so lässt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Teil eins und zwei auf der einen und Teil drei und vier auf der anderen Seite feststellen. Schon aus den Seitenzahlen wird ersichtlich, dass die Zeit von 1700-2002 ein größeres Gewicht erhält (215-457) als die 1000 Jahre davor (29-212). In der Beschäftigung mit diesen letzten dreihundert Jahren liegen eindeutig das größere wissenschaftliche Interesse und die Spezialisierung des Verfassers. So kommt hier auch das am deutlichsten zum Tragen, was er mit einer synchronen Zusammenschau beabsichtigt - die verschiedenen Facetten der Begegnung zwischen Europäern und Muslimen auf dem Subkontinent, die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen, vor allem aber die geistesgeschichtlichen Entwicklungen werden hier überaus detailreich beschrieben und dabei versucht, parallele Phänomene in ihrer Gleichzeitigkeit und gegenseitigen Bedingtheit zu fassen. Die Darstellung ist dabei vielleicht manchmal zu detailreich, denn wer mit den Phänomenen weniger vertraut ist, gerät hier in Schwierigkeiten dabei, sich in der Fülle an Namen und Einzelerscheinungen zurechtzufinden. Dadurch, dass darüber hinaus auf eine Wiedergabe der Ereignisgeschichte fast vollständig verzichtet wird, wird hier vom Leser erwartet, dass er die wichtigsten politischen Entwicklungen kennt und auch mit zentralen Handlungsträgern bereits vertraut ist. Die kurz gefasste historische Übersicht am Ende (497-502) hilft dabei nicht wirklich weiter. Leider werden auch nicht immer alle Begriffe erklärt; zwar erläutert das beigegebene Glossar zentrale Termini (489-96), doch mancher Fachbegriff ist auch hier nicht enthalten. Das gilt genauso übrigens auch für die Indizes; längst nicht jeder Name ist im Personen- oder Ortsregister aufgeführt (503-511). - Trotz dieser Kritikpunkte sind die beiden Teile zu den Entwicklungen ab dem 18. Jahrhunderts jedoch lesenswert und bieten einen reichen Überblick über drei Jahrhunderte historischer Prozesse, der diese Zeit sicher nicht als eine Phase des Niedergangs erscheinen lässt, sondern die Vielfalt gerade auch an geistesgeschichtlichen Strömungen verdeutlicht.
Insgesamt weniger überzeugend sind hingegen die beiden ersten Teile des Buches. Auch hier versucht der Verfasser, sich von der dynastischen Geschichte zu lösen, und stattdessen übergreifende Entwicklungsphänomene aufzuzeigen. In diesen Kapiteln merkt man jedoch seine Abhängigkeit von bestehenden Studien und seine weniger tiefgehende Kenntnis der einzelnen Gruppierungen und Handlungsträger. Dies schlägt sich nicht zuletzt in einer Reihe von Ungenauigkeiten und auch Fehlern nieder; genannt sei hier nur die Einführung des Titels Šāhān Šāh, der nicht bereits von den 'Abbāsiden, sondern erst von den Būyiden verwendet wurde (68), oder die zeitlich völlig verfehlte Erwähnung der Mu'tazila als Staatsdoktrin für die 'Abbāsiden im Jahr 1229 (96-97). - Recht gut lesbar sind in diesen beiden ersten Teilen die relativ stark ereignisgeschichtlich orientierten Darstellungen einerseits über die Sultanatszeit und dann vor allem auch die Entwicklungen in den einzelnen Teilregionen, also die Herausbildung regionaler Machtzentren in Gujarat, Bengalen, Kashmir etc. Hier spürt man freilich auch die Vorbildfunktion des Buches von ANNEMARIE SCHIMMEL "Islam in the Indian Subcontinent" - ein Werk, das der Verfasser in seinem Vorwort explizit erwähnt, und das aufgrund seines umfassenden Anspruchs natürlich einen wichtigen Orientierungspunkt für seine eigene Darstellung bildet. Seit Abfassen des Buches von SCHIMMEL sind indes neue und wichtige Werke gerade über die Frühzeit des Islam in Indien entstanden, die vom Verfasser eingearbeitet wurden; wertvoll sind darüber hinaus die zahlreichen Literaturangaben. Insofern lassen sich auch die beiden ersten Teile mit Gewinn lesen; man sollte nur wissen, dass man hier Einzelinformationen gegebenenfalls mit Vorsicht begegnen sollte. Und manches ist schlichtweg zu knapp dargestellt; weder das iqṭā'-System, noch das manṣabdār-System lassen sich meines Erachtens aus den Angaben ohne Vorkenntnisse verstehen, und auch die religiöse Ideologie Akbars bleibt eher angedeutet und wird vor allem in Bezug auf ihre politischen Implikationen behandelt. Auch hier werden also Vorkenntnisse vorausgesetzt, wenn auch weniger umfassend als in Teil drei und vier.
Ist es dann aber überhaupt sinnvoll, ein solches Buch so zu schreiben? In vieler Hinsicht ja, denn andere, stärker ereignisgeschichtlich orientierte Übersichtsdarstellungen gibt es ja bereits, und diese sollte man denn auch lesen, bevor man sich an die neue und so andere Darstellung in "Islam in South Asia" heranwagt. Es wäre allerdings zu überlegen gewesen, das Buch auf die Zeit ab dem späten 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart zu beschränken, oder aber sich eben nicht als einzelner einer solchen Aufgabe zu stellen, sondern einen Experten für die frühen Phasen islamischer Präsenz in Indien hinzuzuziehen. Und vielleicht hätte man auch den Titel anders wählen sollen, weniger verführerisch für Anfänger, die sich von diesem Buch einen kurzen und prägnanten Überblick über die Ereignisgeschichte erhoffen dürften - was aber gerade dieses Buch nicht bietet und auch gar nicht bieten will.
Eva Orthmann