David Ganz / Felix Thürlemann (Hgg.): Das Bild im Plural. Mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart (= Bild+Bild; Bd. 1), Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2010, 390 S., ISBN 978-3-496-01426-3, EUR 49,00
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David Ganz / Thomas Lentes (Hgg.): Ästhetik des Unsichtbaren. Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2004
Felix Thürlemann: Mehr als ein Bild. Für eine Kunstgeschichte des hyperimage, München: Wilhelm Fink 2013
Felix Thürlemann: Robert Campin. Eine Monographie mit Werkkatalog, München: Prestel 2002
Obwohl sich das autonome Einzelbild erst spät in der Bildgeschichte etabliert hat, fungiert es traditionell als Paradigma der Bildtheorie. Einen wegweisenden Versuch, diese Ambivalenz zu überwinden, haben nun David Ganz und Felix Thürlemann unter dem prägnanten Titel Das Bild im Plural vorgelegt. Im Mittelpunkt des Bandes, der auf eine gleichnamige Tagung an der Universität Konstanz zurückgeht, stehen komposite Bildformen von der Spätantike bis zur Gegenwart. Damit rückt eine Objektgruppe in den Fokus, deren "historische und methodologische" Bedeutung bislang kaum systematisch erfasst worden ist. Denn gerade mehrteilige Bilder verdeutlichen den prekären Status jedes Bildes zwischen Einheit und Vielheit, zwischen Autonomie und Heteronomie.
In ihrer programmatischen Einleitung definieren Ganz und Thürlemann das 'plurale Bild' als einen Modus von Bildlichkeit, in dem mehrere Bilder "in einer räumlichen Anordnung so verbunden [werden], dass eine neue, mehrteilige 'Konfiguration' mit eigener Bedeutung" entsteht (8). Da Bildanordnungen auch ihren Betrachtern bestimmte Orte zuweisen, strukturieren und semantisieren sie auch ihre Rezeption. Ihre Erscheinungsformen, Funktionen und Praxen variieren dabei mit ihren historischen oder kontextuellen Rahmenbedingungen.
Zur einer ersten Systematisierung schlagen Ganz und Thürlemann drei Idealtypen pluraler Bilder vor: das geplante 'Bild-Ensemble', das 'Hyperimage', das autonome Bilder temporär vereint, und das 'summierende Bild', in dem die Eigenständigkeit der Elemente sichtbar bleibt (14). Unter welchen Gesichtspunkten plurale Bilder analysiert werden können, zeigen die vier Sektionen des Bandes.
Zuerst geht es um 'Bild-Grenzen'. Die von David Ganz untersuchten niederländischen Diptychen sind zwar äußerlich stabile Bildpaare, ihre jeweilige Einheit beruht aber primär auf der Korrespondenz oder Divergenz innerbildlicher Strukturen. So erweist sich das gelenkige Diptychon als perfekte Bühne sich wandelnder Bildkonzepte. Die Gegenüberstellung von Bildern markiert aber auch kulturelle Grenzen, wie Vera Beyers Vergleich persischer und niederländischer Miniaturen zeigt. In ihnen fungieren die Grenzen der Bildfelder als Schwellen zwischen unterschiedlichen Modi von Sichtbarkeit und Bildlichkeit. Die Wahrnehmung wird zum Erkenntnisprozess.
Dass Bild-Grenzen Bildreflexionen voraussetzen, pointiert Christopher S. Wood. Er sieht in den "Hierarchien zwischen Pluralität und Singularität [...] Zeichen der Selbstregulierung und Eigendefinition des Kunstwerks" (95). Eine historische Zäsur setzt das 16. Jahrhundert, in dem das Bild sein Kontextkorsett abstreift und seine einstigen Bildnachbarn in die eigene Fläche transponiert. Diese Bild-"Verschachtelungen" (122) thematisieren, wie Wolfgang Pichler ausführt, also immer auch die Identität des Bildlichen. Denn überall dort, wo ein Bild Bilder zeigt, verhandelt es auch die Grenzen zwischen Bild und Nicht-Bild.
Als topologisch organisierte Figurationen generieren plurale Bilder 'Bild-Bewegungen'. Dies gilt, wie Steffen Bogen zeigt, insbesondere für christliche Bilderzählungen. Da sich in ihnen Geschichte und Ort gegenseitig authentisieren, navigieren sie ihre Rezipienten durch Raum und Geschichte und überblenden dabei Vergangenheit und Gegenwart. Einen ähnlichen Akzent setzt das von Silke Tammen vorgestellte Büstenreliquiar des heiligen Landelin. Hier scheidet eine Bilderkette Körperbild und Artefakt, in dem sie die Entstehungsgeschichte der Reliquie erzählt und den Blick von der Präsenz des heiligen Subjekts auf das Reliquiar als kunstfertiges Objekt lenkt.
Dass Bildanordnungen aber auch ein bestimmtes Maß an Zufall einkalkulieren, belegt Jeannet Hommers am Kapitellprogramm in Saulieu. Die mehransichtigen Kapitelle bilden ein changierendes Bezugssystem, dessen Sinneinheiten sich in der Bewegung zwischen ihnen formieren. Mit einem von Moritz Jäger besprochenen Rosenkranz des 16. Jahrhunderts geraten Körper und Bild nun vollends ins Rotieren, da die Manipulation des Objekts das äußere in ein inneres Bildsystem überführt.
Wie flexibel plurale Bilder sind, offenbaren ihre 'Bild-Ordnungen'. Marius Rimmele verdeutlicht am Beispiel spätmittelalterlicher Arma Christi-Darstellungen, wie etablierte Bildzeichen zu immer neuen Sinngebilden komponiert werden. Um diese entschlüsseln zu können, müssen auch die Rezipienten ihr Bilderwissen immer wieder neu strukturieren, sodass sich Vergegenwärtigung und Hermeneutik miteinander verschränken. Eine andere Reformation tradierter Ordnungsmuster untersucht Heike Schlie am Schneeberger Retabel. Dessen argumentative Syntax entfaltet sich erst in der liturgisch sequenzierten Wandlung, an der die Betrachter affektiv und kognitiv partizipieren.
Der Ordnung als Argument bedienen sich auch die von Gerd Blum neu betrachteten Viten Vasaris. Ihre Komposition folgt der Teleologie christlicher Geschichtstheologie und Universalchronistik, ihre Eckpunkte wurden im Layout der Druckfassung akzentuiert. Wie flexibel sich Bildensembles schon in ihrer Planungsphase politischen Umbrüchen anpassten, zeigt das von Alexander Linke untersuchte Deckenprogramm der Antwerpener Jesuitenkirche. Da aber die Werke selbst nicht mehr erhalten sind, bedarf die Rekonstruktion ihrer Disposition eines sorgfältigen Arrangements aller überlieferten Quellen. Es ist also nicht zuletzt die Kunstgeschichte, die Bilder immer wieder neu ordnet, kontextualisiert und somit auch neu deutet.
Wie ein Werk durch seine Kontextualisierung affiziert wird, verfolgt Felix Thürlemann in der Sektion 'Hyperimages in Fotografie und Film' an einer Serie von Fotografien Pablo Picassos, für die der Künstler eine Gruppe seiner Werke in wechselnde Konstellationen arrangierte. Das Hyperimage folgt also einer kunstimmanenten Logik und kann deshalb auch mit der gleichen Methodik analysiert werden wie die in ihm vereinten Einzelwerke.
Dass bereits der Materialität eines Bildobjekts ein bestimmtes Bildverständnis inhärent ist, vertieft Martina Dobbe am Beispiel der Fotografie, in die der Plural der Bilder geradezu eingeschrieben ist. Diese mediale Qualität spitzen einige Präsentationsformen zu: So transformiert das systematische Nebeneinander der Bautypologien Bernd und Hilla Bechers die Abbilder zu einem "Bild im Plural" (331). Ähnliches gilt für den Film, der seine Gestalt in der Montage gewinnt. Da sich hierbei auch ideelle Einstellungen verwirklichen, schließt Bernd Stiegler, dass sich "hinter jedem Plural [...] der Singular einer theoretischen Bestimmung" verbirgt (361). Wie undurchsichtig die Referenzebenen pluraler Bilder oftmals sind, zeigt Jürgen Stöhrs abschließender Gang durch Environments von Joseph Beuys und Damien Hirst. Ihre jeweils ortsspezifische Installation negiert für sich und ihre Elemente jeglichen objektiven Sinn. Den Besuchern bleibt also nichts anderes, als dem Bilderplural selbstbewusst entgegen zu treten und zu Koautoren seiner Geschichten zu werden.
Mit dem Bild im Plural ist seinen Herausgebern und Autorinnen ein Standardwerk der Bildforschung gelungen. Dank einer stringenten Argumentation und der konsequenten Verschränkung von Methodologie und Historiografie führt es die eminente Bedeutung pluraler Bilder in einzelnen Etappen der Bildhistorie eindrucksvoll vor Augen. Damit eröffnet es einen neuen Blick auf die Signifikanz des Bildlichen, die es diesseits seiner oftmals überzeichneten Einzigartigkeit zu entdecken gilt.
Carsten Juwig