Landschaftsverband Westfalen-Lippe / Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes NRW (Hgg.): Burgen AufRuhr. Unterwegs zu 100 Burgen, Schlössern und Herrensitzen in der Ruhrregion, Essen: Klartext 2010, 488 S., zahlreiche farbige Abb., ISBN 978-3-8375-0234-3, EUR 19,95
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Im Jahr 2010 waren die Stadt Essen und das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas. Aus diesem Anlass fanden zahlreiche Ausstellungen statt, von denen eine der aufwändigsten im LWL-Museum für Archäologie - Westfälisches Landesmuseum in Herne zu sehen war. Unter dem effekthascherischen Titel "Ritter, Burgen und Intrigen. AufRuhr 1225! Das Mittelalter an Rhein und Ruhr" war eine große Anzahl von Objekten zusammengetragen worden, mit Hilfe derer die vorindustrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets vor Augen geführt wurde. Ausgehend vom gewaltsamen Tod des Kölner Erzbischofs Engelbert von Berg infolge eines lokalen Adelsaufstands im Jahr 1225, thematisierte die Ausstellung die weitreichenden Folgen dieses Ereignisses für die Region. Der historische Anlass wurde dabei verknüpft mit der Geschichte, Archäologie sowie Bau- und Kunstgeschichte der mittelalterlichen Burganlagen des Ruhrgebiets. Die erhaltenen oder durch archäologische Grabungen erschlossenen Burgen sind Land- und Zeitmarken dafür, dass es eine reiche Geschichte vor den Fördertürmen der Bergwerke und den Schloten der Schwerindustrie gab.
Parallel zur Ausstellung, die durch einen umfangreichen Katalog- und Aufsatzband begleitet wurde [1], entstand der hier vorzustellende Führer zu 100 Burgen, Schlössern und Herrensitzen in der Ruhrregion. Mit seinen nahezu 500 Seiten hat er eher den Charakter eines Handbuchs zum Thema, als eines handlichen Reisebegleiters durch die Region. Dass er als solcher gedacht ist, erkennt man an den technischen Angaben und Kartenausschnitten zu jeder der 100 bearbeiteten Anlagen. In einem Kartenanhang sind zudem insgesamt 400 Objekte kartografiert, wobei auch hier von den Bearbeitern keine Vollständigkeit angestrebt wurde. Etwas unklar bleibt die Abgrenzung des Bearbeitungsraumes, geht dieser doch deutlich über das Ruhrgebiet, wie er etwa durch den Zuschnitt des Kommunalverbands Ruhr definiert wird, hinaus. Zudem vermisst man historisches Kartenmaterial, das die territoriale Zuordnung der Burg- und Schlossanlagen deutlich gemacht hätte. Somit ist man auf die historischen Karten des Katalogs angewiesen, ohne dass hier aber die jeweiligen Standorte vermerkt wären; es ist also die Transferleistung des Nutzers gefragt. [2]
Über 50 Autoren haben ihr Wissen in den Dienst der Sache gestellt, wobei es sich durchweg um versierte Fachleute handelt, sodass mit soliden Informationen zu rechnen ist - der Leser wird in dieser Hinsicht nicht enttäuscht. Stefan Leenen, der den Band konzipiert hat, gibt in einer Einleitung einen knappen Überblick zur Entwicklung des Burgenbaus in der Ruhrregion. Es folgt der Ortskatalog, der nach Kreisen und kreisfreien Städten sortiert ist. Innerhalb der kommunalen Zuordnung werden die Burgen alphabetisch nach ihrem heute gebräuchlichen Namen aufgeführt und durchnummeriert. Zusammen mit dem Kürzel des Kreises bzw. der kreisfreien Stadt ergibt sich so ein Verweissystem, das ein rasches Auffinden der jeweiligen Burg bei entsprechenden Verweisen ermöglicht. Der erste Eintrag ist Haus Laer in Bochum gewidmet (BO-1), der letzte der Zitadelle in Wesel (WES-9), die als frühneuzeitliche Festungsanlage den Bogen zum auf Feuerwaffen hin ausgerichteten Verteidigungsbau der nachmittelalterlichen Zeit schlägt.
Folgende Kreise und Städte finden Berücksichtigung (in Klammern jeweils die Abkürzung und die Anzahl der behandelten Burgen). An den Rändern des Bearbeitungsgebiets fehlen jedoch ganze Bereiche, so z.B. der Süden der Stadt Düsseldorf: Bochum (BO, 3), Bottrop (BOT, 2), Kreis Coesfeld (COE, 2), Dortmund (DO, 10), Duisburg (DU, 3), Düsseldorf (D, 5), Ennepe-Ruhr-Kreis (EN, 11), Essen (E, 11), Gelsenkirchen (GE, 3), Hagen (HA, 5), Hamm (HAM, 1), Herne (HER, 2), Krefeld (KR, 3), Märkischer Kreis (MK, 4), Kreis Mettmann (ME, 6), Mülheim an der Ruhr (MH, 2), Oberhausen (OB, 2), Kreis Recklinghausen (RE, 10), Solingen (SG, 1), Kreis Unna (UN, 6), Kreis Wesel (WES, 9).
Neben den Ortseinträgen finden sich über das Buch verteilt einseitige thematische Einschübe, die leider nicht durch das Inhaltsverzeichnis erschlossen werden. Diese widmen sich den burgähnlichen Malakow-Türmen der Zechenanlagen (39), dem Burgenbaurecht (66), der Großen Dortmunder Fehde 1388-1389 (85), den Pfalzen der Ruhrregion - "Herrscher auf Reisen" (115), der Zerstörung einer Burg (129), der Sage vom Zwergenkönig Goldemar (153), der vor über 600 Jahren auf Burg Hardenstein (EN 9) gelebt haben soll, den Essener Äbtissinnen (183), Strafe und Folter (218), der Schlacht von Worringen am 5. Juni 1288 (233), der Cranger Kirmes (238) - das größte Volksfest im Ruhrgebiet, das aus einem spätmittelalterlichen Pferdemarkt in unmittelbarer Nähe zum heute ruinösen Haus Crange (HER-1) hervorgegangen ist - der Wertschätzung mittelalterlicher Bauformen von Burgen im Historismus (275), Parks, Gärten und Landschaftskunst (305), dem gewaltsamen Tod Engelberts von Berg, Erzbischof von Köln, am 7. November 1225 (351) und schließlich der Herner Motte (392), einer idealtypischen Rekonstruktion einer fiktiven Burganlage anlässlich der Ausstellung "AufRuhr1225!". Der Anhang enthält u.a. ein Glossar, das dem interessierten Laien bei der Benutzung des Führers gute Dienste erweist.
Um die Bandbreite der vorgestellten Burganlagen, die in enger Verbindung zu den verschiedenen landschaftlichen Gegebenheiten steht, deutlich zu machen, seien abschließend einige Beispiele herausgegriffen. Die beiden imposantesten Burganlagen der Ruhrregion - Schloss Burg an der Wupper (SG-1) und Burg Altena (MK-1) - sind in ihrer heutigen Form erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden, gehören also in den Kontext der Burgenrenaissance im Historismus. Beide Burganlagen wurden als bauliche Zeugnisse der jeweiligen territorialen Vergangenheit - des Herzogtums Berg bzw. der Grafschaft Mark - gedeutet und entsprechend als Geschichtsdenkmäler wiederaufgebaut und inszeniert. Die Burg Isenberg in Hattingen (EN-3) entstand um 1200. Die monumentale Anlage, von der heute nur noch wenige (aufgemauerte) Mauerzüge zeugen, zeigt den Anspruch der Grafen von Isenberg. Nachdem man Graf Friedrich von Isenberg für die Ermordung Engelberts von Berg verantwortlich gemacht hatte, wurde die Burganlage zerstört und nicht wieder aufgebaut. Sie gehört zu den wenigen westfälischen Burganlagen, die archäologisch intensiv untersucht wurden, entsprechend ausführlich sind die Erläuterungen zum ehemaligen Erscheinungsbild. Einen ganz anderen Charakter hat das ehemals vierflügelige Schloss (Haus) Horst in Gelsenkirchen (GE-2), das - in der Niederung der Emscher gelegen - im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts zu einem eindrucksvollen Renaissanceschloss ausgebaut wurde. Die bedeutenden Reste der Anlage wurden im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf beeindruckende Weise revitalisiert.
Diese wenigen Hinweise mögen genügen, um zu zeigen, welche reiche Fundgrube an Bauten und Informationen der Band erschließt. Die zahlreichen Fotos, Skizzen und Pläne ergänzen die profunden Texte auf instruktive Weise. Eine kartenmäßige Verortung der Burganlagen in die historischen territorialen Strukturen des Raumes hätte den Ertrag der ansonsten ansprechenden Publikation noch erhöht.
Anmerkungen:
[1] LWL-Museum für Archäologie - Westfälisches Landesmuseum Herne (Hg.): Ritter, Burgen und Intrigen. AufRuhr 1225! Das Mittelalter an Rhein und Ruhr, Mainz 2010.
[2] LWL-Museum für Archäologie 2010 (wie Anm. 1), Verteilungskarte 236f. ohne territoriale Grenzen. Diese finden sich dann auf einer klein reproduzierten Karte, ebd. 239.
Guido von Büren