Beata Dorota Lakeberg: Die deutsche Minderheitenpresse in Polen 1918-1939 und ihr Polen- und Judenbild, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, 564 S., ISBN 978-3-631-60048-1, EUR 86,80
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Pressehistorische Arbeiten über die in Polen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschienenen Zeitungen sind in den letzten Jahren rar geworden. Wichtige Standardwerke liegen schon Jahrzehnte zurück. Noch schlechter ist es um die wissenschaftliche Aufarbeitung der Presseorgane bestellt, welche sich an die nationalen Minderheiten wandten. Daher ist es zu begrüßen, dass Beata Dorota Lakeberg in ihrer Oldenburger Dissertation von 2007 eine Analyse der deutschen Minderheiten-Presse vorgelegt und nun veröffentlicht hat. Untersuchungsgegenstand sind rund 30 Pressetitel aus verschiedenen Regionen, in denen deutsche Minderheiten lebten und sich organisiert hatten. Die Analyse stützt sich schwerpunktmäßig auf "die politische und religiöse Presse" (16) aus Gebieten, die vor 1919 zu Preußen gehört hatten, daneben auch aus inselartig über das Land verstreuten Orten, in denen die deutsche Sprache im Alltag noch eine wichtige Rolle spielte, wie das zuvor kongresspolnische Lodz und seine Umgebung oder das zu Österreichisch-Schlesien gehörige Bielitz (Bielsko) und das ostgalizische Lemberg (L'viv) und Stanislau (Ivano-Frankivsk).
Die Auswahl von zwei spezifischen Teilaspekten ergibt sich aus der über den Untersuchungszeitraum hinausweisenden Entwicklung unter der nationalsozialistischen Besatzung Polens, als zahlreiche Protagonisten wie auch gewöhnliche Leser der deutschen Minderheiten-Presse in den deutschen Unterdrückungs- und Terrorapparat einbezogen wurden. Daraus speist sich der in der polnischen Nachkriegshistoriografie erhobene Vorwurf, die so genannten "Volksdeutschen" wären eine Fünfte Kolonne der Aggressoren gewesen und hätten ihnen ihre Kräfte rückhaltlos zur Verfügung gestellt.
Die Autorin schildert nach methodischen Vorüberlegungen zunächst die Lage der deutschen Minderheit(en) im polnischen Staat. Sie zeichnet sodann den in den deutschen Zeitungen sich widerspiegelnden nationalen Gegensatz - den von den Zeitgenossen so genannten "Volkstumskampf" - nach, der sich in negativen Stereotypen über "die" Polen und "die" Juden niederschlug. In solchen Vorstellungen standen deutsche Ordnung und "Leistung" gegen "polnische Wirtschaft", der deutsche "Kulturträger" dem engstirnigen polnischen Nationalisten gegenüber. Die Ausprägung der Stereotype wurde - wie Lakeberg deutlich macht - erstens durch den Erscheinungsort der Zeitungen und zweitens durch ihren weltanschaulichen Standort wesentlich beeinflusst. In einem dritten Analyseteil verfolgt sie die Entwicklung des Polen- und Judenbilds im Untersuchungszeitraum. Anders als manche volkspolnische Historiker zeichnet sie ein differenziertes Bild, unterscheidet zwischen verschiedenen politischen und konfessionellen Ausrichtungen der Blätter. Dabei hat Lakeberg einige interessante Fundstücke zutage gefördert, etwa die treffende Charakterisierung des Nationalsozialismus durch ein Blatt der Deutschen Christlichen Volkspartei, das unter dem Titel Der Deutsche in Polen in Kattowitz erschien. Nach den Pogromen vom 9. November 1938 kommentierte es die Gewaltakte voller Entsetzen und schloss prophetisch: "Ein Volk von Welteroberern muss, so scheinen sie [die Machthaber] zu glauben, zu Grausamkeit erzogen werden" (201, auch 545).
Antijüdische Ressentiments richteten sich vor allem gegen die Ostjuden und deren Zuwanderung und meist nicht gegen die (ebenfalls deutsch sprechenden) Nachbarn. Diese wurden mitunter positiv geschildert, wenn auch in den konservativen Blättern mit abnehmender Tendenz. Die sozialdemokratische und die pro-polnische deutschsprachige Presse lehnten dagegen den Antisemitismus ab, und sie beteiligten sich nicht an der polnischen Debatte um die "jüdische Frage" in ihrem Land (205). Die Gruppen, die sich den Nationalsozialismus zum Vorbild nahmen, propagierten dagegen den deutschen Rassismus immer offener. Nachdem in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, kam es zu einer inneren Spaltung der deutschen Minderheit in Polen, die sich in ihrer Presse widerspiegelte. Der größere Teil stand dem polnischen Staat feindlich gegenüber und betrachtete sich als dessen Opfer, das Dritte Reich hingegen als Beschützer und möglichen Retter.
Den insgesamt kaum überraschenden Erkenntnissen Lakebergs stehen zahllose Redundanzen in der Darstellung gegenüber. Auch ermüdet die Praxis, nicht nur Ortsnamen, sondern ebenso geografische Bezeichnungen durchgängig zweisprachig zu verwenden. Zudem streut die Autorin wiederholt wortgleiche Zitate über den Text. Ihr Mut, ihre Studie in einer Fremdsprache abzufassen, verdient Respekt, kommt der Lesbarkeit aber nicht zugute. So steht an vielen Stellen kein "richtiges" Deutsch, was auch auf den fehlenden letzten Nachdruck derjenigen zurückzuführen ist, die das Manuskript begutachtet und gegengelesen haben (7). Der Anhang ist überladen mit einem Glossar und einem 30-seitigen "Biographischen Personenregister" (ohne Seitennachweise!) von zweifelhaftem Wert; siehe etwa die widersprüchlichen Angaben zum Werk des rechtsradikalen Anthropologen Karol Stojanowski (129, 342, 497 f.). Im Anschluss daran folgen 175 Seiten oft allzu ausführlicher Endnoten. Orts-, Personen- und Institutionenregister fehlen dagegen.
Zu würdigen ist, dass Lakeberg die deutsch- und polnischsprachige Forschungsliteratur umfassend herangezogen hat. Freilich hätte man über die Inhaltsbeschreibung und -analyse hinaus gerne mehr über die Umstände erfahren, unter denen die deutschsprachigen Blätter erschienen: über ihre Herausgeber, Journalisten, Finanziers vor Ort und darüber, wie die polnischen Staatsschutzorgane und die Pressezensur deren Handlungen beobachteten und bewerteten.
Es bleibt zu hoffen, dass die im Anhang emsig zusammengetragenen Nachweise einzelner Artikel zu neuen und weiterführenden Fragestellungen ermutigen, die mehr Licht in das Dreiecksverhältnis von Deutschen, Polen und Juden bringen können.
Klaus-Peter Friedrich