Adam Perłakowski / Robert Bartczak / Anton Schindling (Hgg.): Die Reiche Mitteleuropas in der Neuzeit. Integration und Herrschaft. Liber Memorialis Jan Pirożyński, Kraków: Księgarnia Akademicka 2009, 381 S., ISBN 978-83-7188-018-6
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Márta Fata / Anton Schindling (Hgg.): Luther und die Evangelisch-Lutherischen in Ungarn und Siebenbürgen. Augsburgisches Bekenntnis, Bildung, Sprache und Nation vom 16. Jahrhundert bis 1918. Unter Mitarbeit von Markus Gerstmeier, Münster: Aschendorff 2017
Die ältere Staatsrechtslehre mied den Terminus "Reich" wegen seiner Unbestimmtheit, bei Georg Jellinek hieß es: "so ist davon zu erinnern, dass eine feste Begriffsbestimmung des Wortes 'Reich' bis heute nicht existirt, das die verschiedensten staats- und völkerrechtlichen Bildungen als Reiche bezeichnet wurden [...]. Im Allgemeinen wird heute die Bezeichnung einem jeden mit der Prätension einer Grossmacht auftretenden, sei es zu staatsrechtlicher, sei es nur zu völkerrechtlicher Einheit organisirten einfachen oder zusammengesetzten politischen Gemeinwesen zu Theil werden können [...]. Der Terminus 'Reich' ist kein juristisch fixirter".[1] In den letzten zehn Jahren ist dies in der Forschung anders geworden. Auch unter dem Eindruck der Konjunktur von modernen Imperienvergleichen wird der Reichsbegriff frühneuzeitlich stärker als Vergleichskategorie bei der Analyse zusammengesetzter Staatsverbände verwendet.
Möglicherweise hat diese Konjunktur die Herausgeber dazu bewogen, den vorliegenden, aus einer Tagung von Frühneuzeithistorikern der Universitäten Krakau und Tübingen in Krakau im Herbst 2004 hervorgegangenen Sammelband ähnlich zu benennen. Er vereint 26, zumeist kürzere Beiträge und enthält zudem Nachrufe auf die namhaften Krakauer Historiker Jan Pirożyński (1936-2004) und Józef Andrzej Gierowski (1922-2006), die noch an der Tagung beteiligt gewesen waren. Allerdings werden solche vergleichenden theoretischen Überlegungen an keiner Stelle explizit gemacht. Implizit kann man die ersten vier Beiträge nennen, in denen Gierowski Polen-Litauen, Anton Schindling das Alte Reich, Andreas Kappeler das russländische Imperium und Karl-Erik Frandsen den zusammengesetzten Reichsverband Dänemark-Norwegen-Schleswig-Holstein vorstellen. In mehrheitlich essayistisch-räsonierender Form wird hier ein Panorama einzelner frühneuzeitlicher Reichsverbände entwickelt, die aber nicht in Beziehung zueinander gesetzt oder vergleichend analysiert werden. Dies bleibt allein dem Leser überlassen, der damit allerdings infolge der heterogenen Anlage der Einzelbeiträge, wo Forschungsübersicht neben Essay steht, überfordert sein dürfte.
An dieser Stelle könnte die Rezension enden, denn die restlichen 20 Beiträge enthalten - zumeist in essayistischer Form - Beiträge zu Themen, mit denen sich einige Autoren bereits seit Jahrzehnten beschäftigen oder Skizzen über monografische Projekte, über die von denselben Autoren anderswo Qualifikationsschriften oder Monografien vorgelegt worden sind. Darunter befinden sich auch einige Beiträge, die den Rezensenten den Sammelband manchmal verärgert beiseitelegen ließen: so etwa eine Skizze von Kazimierz Baran über "The constitutional uniqueness of the Polish-Lithuanian Commonwealth", die sich vor allem auf Norman Davies und Czesław Miłosz stützt, so als hätten namhafte Frühneuzeithistoriker wie Antoni Mączak oder Adam Manikowski nicht das Thema strukturiert erörtert. Gleiches gilt für den Beitrag von Marceli Kosman "Polen und Litauen vom 16. bis 20. Jahrhundert", in dem der Autor zum wiederholten Male auf der Basis ausschließlich polnischer Arbeiten einen schematischen Abriss der polnisch-litauischen Beziehungen gibt, so als habe es in den letzten Jahren nicht die detaillierten Studien Grzegorz Błaszczyks, Henryk Wisners oder Mathias Niendorfs gegeben. Es sei ausdrücklich gesagt, dass diese Beiträge keine wissenschaftlichen Standards einhalten und keinesfalls als Einstieg in solch komplexe Themen genutzt werden können.
Unter den vielen popularisierenden und räsonierenden Beiträgen sei ausdrücklich auf drei Studien hingewiesen, die forschungsnah argumentieren und unseren Kenntnisstand auch vergleichend erweitern: Tomasz Gromelski analysiert republikanisches Gedankengut im England der Tudorkönige und vergleicht dieses mit analogen Tendenzen in Polen-Litauen, Adam Perłakowski gibt einen sehr instruktiven und kenntnisreichen vergleichenden Abriss der polnisch-litauischen Staatsfinanzen im europäischen Vergleich und Éva Deák beschreibt Repräsentation und Bekleidungsvorschriften am siebenbürgischen Hof Gabriel Bethlens.
Insgesamt leistet der Band, der durch ein Personen- und Ortsregister erschlossen wird, keinen weiterführenden Beitrag zu einem Vergleich neuzeitlicher Reichsverbände. Dazu sind die Skizzen und Essays viel zu begrenzt gehalten, auch nehmen sie durchweg nur einen Reichsverband in den Blick. Vergleichsebenen fehlen, nirgendwo wird der Reichs- oder Imperienbegriff problematisiert. Die angloamerikanische Forschung, die viel auch zum frühneuzeitlichen Imperienvergleich beigetragen hat (Anthony Pagden, James Muldoon), wird nirgendwo herangezogen. Einige Beiträge bieten für sich genommen weiterführende Ansätze, stehen aber in keinem übergreifenden Kontext. Leider wurde hier eine Chance vertan, die polnisch-litauische und deutsche Frühneuzeitforschung miteinander ins Gespräch zu bringen.
Anmerkung:
[1] Georg Jellinek: Die Lehre von den Staatenverbindungen, Berlin 1882, 250 f.
Hans-Jürgen Bömelburg