Andrea Denke: Konrad Grünembergs Pilgerreise ins Heilige Land 1486. Untersuchung, Edition und Kommentar (= Stuttgarter Historische Forschungen; Bd. 11), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, XI + 587 S., ISBN 978-3-412-20608-6, EUR 74,90
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Unter den vielfältigen Ausdrucksformen der Frömmigkeit, die sich bis ins 15. Jahrhundert hin entwickelt hatten, gehörte das Wallfahren zu den sehr beliebten, von allen sozialen Gruppen geübten Tätigkeiten. Dabei galt die Reise ins Heilige Land nach Jerusalem als besonders prestigeträchtig, weil sie teuer, aber auch im Hinblick auf das Seelenheil besonders lohnend war. Außerdem war Jerusalem der einzige christliche Pilgerort, der nicht in einem christlichen Land lag, was seine Attraktivität noch gesteigert haben mag, auch wenn Neugier und Reiselust zu den nie eingestandenen Beweggründen dieser weiten Reise gehört haben. Reisen nach Jerusalem fanden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen quantitativen Höhepunkt. Die Wallfahrt war berechenbarer geworden, nachdem sie wie eine Pauschalreise ab Venedig gebucht werden konnte. Gereist sind Angehörige des hohen und niederen Adels, Geistliche und Mönche und wohlhabende Bürger. Aus der Zeit zwischen 1450 und 1500 haben sich allein für den deutschsprachigen Raum 50 Reisebeschreibungen erhalten, bis 1527 entstanden noch 20 weitere Texte. [1] Konrad Grünembergs Beschreibung seiner Reise ins Heilige Land 1486 reiht sich also ein in eine lange Reihe gleichartiger Texte.
Konrad Grünemberg war ein sozialer Aufsteiger in der Hierarchie der Stadt Konstanz. Ihm gelang es mit der Hilfe Kaiser Friedrichs III., 1474 aus der dortigen Zunft in den Patriziat aufzusteigen. Darüber hinaus erlangte er 1485 den Ritterschlag. Diesen beeindruckenden Karriereweg krönte die Wallfahrt ans Heilige Grab in Jerusalem ein Jahr später. Der gesellschaftliche Aufstieg mag auch einer der Gründe gewesen sein, den Reisebericht zu verfassen, belegt dieser Text neben den beiden Wappenbüchern, die Grünemberg früher geschrieben und gezeichnet hatte, doch wiederum seine Verankerung im neuen sozialen Stand.
Grünembergs Bericht liegt in zwei wahrscheinlich autographen Handschriften vor, die kürzere, ältere in Karlsruhe, die längere, jüngere in Gotha. Die Forschung kennt den Text seit langem, bekannt ist er nicht nur wegen seines erzählerischen Gehalts, sondern besonders auch wegen der 32 (Karlsruhe) beziehungsweise 48 (Gotha) kolorierten Federzeichnungen, die Grünemberg eingefügt hat. Andrea Denke hat den Gothaer Text jetzt in ihrer Stuttgarter Dissertation von 2007 mit Edition, Kommentar und Untersuchung herausgegeben.
Reiseberichte, vor allem des späten Mittelalters, sind seit langem Gegenstand der historischen, germanistischen und kunsthistorischen Forschung. Deren allgemeine Entwicklung legt Denke eingangs gründlich dar, ebenso die bisherige Beschäftigung der Wissenschaft mit Grünembergs Bericht, der bislang nur in einer neuhochdeutschen Übersetzung von 1912 greifbar war. [2] Die Einleitung schließt mit einer "Problemstellung", die allerdings eher ein ausformuliertes Inhaltsverzeichnis darstellt (28-31). Im Untersuchungsteil (32-274) zeichnet Denke den Reiseweg nach und nutzt dies zu etlichen kleineren Untersuchungen zu allerlei anfallenden Themen und zur Einbettung von Grünembergs Schilderung ins allgemeine Pilgergeschehen. Von den verschiedenen im Forschungsüberblick angeschnittenen Fragestellungen vertieft Denke besonders die Wahrnehmung des Fremden und den Umgang mit dem Fremden in eigenen Kapiteln (170-221).
Ein grundlegendes Manko dieser sonst in jeder Hinsicht sehr guten und sorgfältigen Edition ist die Entscheidung für den überarbeiteten, "aufgeputzten" Text der Gothaer Handschrift, zumal diese Auswahl nur unzureichend begründet wird. Hier heißt es lediglich, dass "dieser Text etwas ausführlicher als der Text der Handschrift Karlsruhe" sei (30f.). An verschiedenen Stellen der Untersuchung und in der Edition wird auf den Unterschied beider Texte verwiesen, der insgesamt so gering nicht ist. Das Mehr an Text der Gothaer Fassung ist nicht ein Mehr an persönlichem Erleben. Der kürzere und ältere Karlsruher Bericht ist wohl bald nach der Heimkehr entstanden und gibt unmittelbarer die Reiseerlebnisse wieder. Für die vermutlich als Widmungsexemplar gedachte Gothaer Handschrift hat Grünemberg weidlich auf veröffentlichte Literatur zum Heiligen Land zurückgegriffen, namentlich auf die deutsche Ausgabe der Peregrinatio Bernhards von Breidenbach, die 1486 erschien. Gekannt haben dürfte er auch den schon 1482 gedruckten Reisebericht Hans Tuchers. Aus der Peregrinatio hat er nicht nur große Passagen mehr oder weniger wörtlich ausgeschrieben, er hat ihr auch 16 Illustrationen entnommen, die er nach den Holzschnitten Erhard Reuwichs abgezeichnet hat. Grünemberg überformte seinen im Wesentlichen aus der Anschauung der Reise heraus entstandenen Text also mit literarischen Versatzstücken anderer Autoren.
Sicher hatte Grünemberg auch bei der ersten Fassung auf Quellen zurückgegriffen, da er sich auf die Reise vorbereitet hatte. Die Veränderungen und vielen Ergänzungen der Überarbeitung sollten dem Text die Qualität der schon veröffentlichen Berichte verleihen und mit den religions- und landeskundlichen Exkursen jenen Anforderungen an Gelehrsamkeit nachkommen, welche Grünemberg für unabdingbar hielt. Vor allem sollte er repräsentativ sein. Das Individuelle seines Textes liegt in den erzählenden Details, die Grünembergs Neugier und offene Augen belegen. Hier ist er weitaus informativer als viele seiner Zeitgenossen.
So gleicht Grünembergs Bericht im Aufbau den meisten anderen Berichten: Chronologisch und geographisch verfolgt er den Reiseverlauf, wobei nur wenig über die Anreisen nach Venedig geschrieben wird, der ausführlichere Bericht beginnt erst mit dem Reisevorbereitungen in der Lagunenstadt und der Beschreibung ihrer Reliquien und Kirchen. Es folgt die Seereise nach Jaffa mit ihren Zwischenaufenthalten, die Ankunft in Palästina, die Weiterreise nach Jerusalem. Hier sind es die Heiligen Stätten, die vollständig besucht werden müssen, damit ganz im Geiste gezählter Frömmigkeit alle Ablässe gesammelt werden können.
Die Gleichförmigkeit dieser Passagen in vielen Pilgerberichten ergibt sich aus dem Willen nach Vollständigkeit, den Handzetteln, die schon in Venedig zu kaufen waren, und den Cicerones in Jerusalem. Die sorgfältigen und reichhaltigen Anmerkungen Denkes zeigen dabei die vielfältige Vernetzung der Pilgertexte und die Verbreitung von Wissen über das Heilige Land. Gerade deswegen wäre es sinnvoll gewesen, auch die Erstredaktion der Karlsruher Handschrift im Textbestand zu berücksichtigen und die Unterschiede zwischen beiden Fassungen systematisch zu untersuchen. Ungeachtet dessen hat Andrea Denke eine verdienstvolle Edition des Berichts vorgelegt, die für die Erschließung weiterer Texte eine großartige Hilfe leistet.
Anmerkungen:
[1] Im Vergleich dazu gibt es für den wesentlich kleineren geographischen Raum der Niederlande von 1450 bis 1536 34 Reiseberichte und für Frankreich zwischen 1450 und 1531 nur 18 Berichte über Reisen ins Heilige Land. Alle diese Zahlen ergeben sich aus der einschlägigen Quellenkunde: Werner Paravicini (Hg.): Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, Teil 1: Deutsche Reiseberichte, bearb. von Christian Halm, Teil 2: Französische Reiseberichte, bearb. von Jörg Wettlaufer in Zusammenarbeit mit Jacques Paviot, Teil 3: Niederländische Reisebericht, nach Vorarbeiten von Detlev Kraak bearb. von Jan Hirschbiegel (= Kieler Werkstücke, Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters; 5, 12 und 14), Frankfurt am Main [u.a.] 22001, 1999 und 2000.
[2] Ritter Grünembergs Pilgerfahrt ins Heilige Land 1486, hg. u. übers. v. Johann Gildfriedrich u. Walter Fränzel (Voigtländers Quellenbücher 18), Leipzig 1912.
Jan Ulrich Büttner