Wulf D. Wagner: Das Königsberger Schloss. Eine Bau- und Kulturgeschichte. Band 1: Von der Gründung bis zur Regierung Friedrich Wilhelms I. (1255-1740), Regensburg: Schnell & Steiner 2008, 390 S., 340 Abb., ISBN 978-3-7954-1936-3, EUR 76,00
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Wulf D. Wagner / Heinrich Lange: Das Königsberger Schloss. Eine Bau- und Kulturgeschichte. Band 2. Von Friedrich dem Großen bis zur Sprengung (1740-1967/68). Das Schicksal seiner Sammlungen nach 1945, Regensburg: Schnell & Steiner 2011, 608 S., 71 Farb-, 671 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-1953-0, EUR 89,00
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Peter Stephan: Der vergessene Raum. Die dritte Dimension in der Fassadenarchitektur der Frühen Neuzeit, Regensburg: Schnell & Steiner 2009
Astrid Lang: Die frühneuzeitliche Architekturzeichnung als Medium intra- und interkultureller Kommunikation. Entwurfs- und Repräsentationskonventionen nördlich der Alpen und ihre Bedeutung für den Kulturtransfer um 1500 am Beispiel der Architekturzeichnungen von Hermann Vischer d. J., Petersberg: Michael Imhof Verlag 2012
Franziska Dunkel: Reparieren und Repräsentieren. Die Münchner Hofbauintendanz 1804-1886, München: C.H.Beck 2007
Die beiden hier zu besprechenden Bände zeichnet eine Qualität aus, die den meisten realisierten, geplanten oder auch noch in der Diskussion steckenden Wiederaufbauprojekten von Schlössern in den letzten Jahren abgeht, abgehen muss - eine überbordende Menge an Informationen über ihren Gegenstand, hier über das Königsberger Schloss. Auf 998 zweispaltig beschriebenen Seiten wird in dem opulenten zweibändigen Werk die Bau- und Nutzungsgeschichte des Königsberger Schlosses von seinen Anfängen im 13. Jahrhundert bis zu seiner Sprengung 1967/68 nachgezeichnet. Beide Bände sind hervorragend ausgestattet: die Wiedergabe der zahlreichen Abbildungen ist brillant, die Bibliografien sind umfangreich und beide Bände besitzen ein sorgfältig bearbeitetes Personen-, Orts- und Sachregister.
Wulf Wagner nennt diese beeindruckend umfangreiche Arbeit selbst eine "Schlossgeschichte" und versteht sie als "kulturgeschichtliche Erzählung" über das Schloss. Er richtet sich "nicht primär an den kleinen Kreis der Fachhistoriker, sondern besonders an eine breitere kulturhistorisch interessierte Leserschaft, Nachfahren Königsberger und ostpreußischer Familien sowie heutige Bewohner und Besucher der Stadt" (Bd. 2, 14). Dieser Orientierung meint der Autor gerecht zu werden, indem er in den Mittelpunkt seiner Arbeit "weniger kunsthistorische Beschreibungen, Vergleiche und Analysen" stellt, sondern den "architektonischen Werdegang des Schlosses [...] stets mit den großen Ereignissen der (ost)preußischen Geschichte und kleinen Begebenheiten innerhalb seiner Mauern" verbindet (Bd. 1, 14). In dieser Ausrichtung, die auch dem historisch weniger vorgebildeten Laien durch entsprechende Exkurse und Erläuterungen ein umfassendes Bild des Königsberger Schlosses vermitteln möchte, liegt ein Grund dafür, dass die Lektüre für den ungeduldigen Fachwissenschaftler mitunter zäh und mühsam ist.
Drei Hauptcharakteristika der beiden Bände sind hervorzuheben:
Besonders bemerkenswert ist die beeindruckende, unzählige neue Daten und Fakten zur Baugeschichte offen legende Materialbasis dieses Werkes: der Aktenbestand zum Königsberger Schloss, der sich in erstaunlich großem Umfang im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem erhalten hat. Auf der Grundlage seiner eingehenden und sicher sehr aufwändigen Quellenrecherche kann der Autor nicht nur eine Fülle bisher unveröffentlichter Pläne und Zeichnungen zugänglich machen, sondern selbst so prominente Abschnitte der Baugeschichte wie den (unvollendeten) barocken Schlossumbau durch Joachim Ludwig Schultheiß von Unfriedt um zentrale Aspekte ergänzen und somit vollständig darstellen. Vor dem Hintergrund dieses enormen, bisher ungehobenen Schatzes an archivarischen Überlieferungen ist dem Autor zu danken, dass er sein Werk als "Dokumentation" verstanden hat, "deren Aufgabe darin besteht, die Geschichte aus dickstem Aktenstaub sichtbar zu machen und möglichst viele Spuren so erst einmal zu sichern, also eine weitgehend unkommentierte Darstellung mit möglichst umfangreichem Quellenmaterial vorzulegen [...]." (Bd. 2, 13) Entsprechend sollten die Bände von den Fachwissenschaftlern auch als Material- und Quellensammlung für weitergehende Forschungen zum Königsberger Schloss oder zur vergleichenden Bezugnahme auf dessen Baugeschichte genutzt werden.
Ein zweites Hauptcharakteristikum liegt in der programmatischen Verbindung von Baugeschichte und Nutzungsgeschichte. Dabei versteht Wulf Wagner als Baugeschichte sowohl außergewöhnliche Neu- und Umbauten bzw. Planungen dafür, als auch die alltäglichen Reparaturen, den bauhandwerklichen Kampf gegen den Verfall. Die Nutzungsgeschichte beschreibt das Schloss als Ort herzoglicher, kurfürstlicher und königlicher Hofhaltung, als Verwaltungssitz und Museum, wobei große Huldigungsfeiern ebenso ausführlich geschildert werden wie die Ausstattung der Amtsstuben.
Leider führen diese beiden ersten, an sich sehr positiven Aspekte zu einer mitunter ausufernden, eher nebensächliche Quellenfunde und teils veraltete Standpunkte aus älterer Sekundärliteratur unkritisch übernehmenden Darstellung - dies ist ein drittes Hauptcharakteristikum. Dazu bemerkte Peter Michael Hahn in seiner Rezension des ersten Bandes richtig, eine solche Herangehensweise lasse sich "auch nicht mit dem wiederholten Hinweis auf eine kulturgeschichtliche Perspektive ausreichend rechtfertigen". [1]
Beide Bände sind chronologisch fortlaufend gegliedert, wobei die Regierungszeiten der Ordensmeister, preußischen Herzöge, Kurfürsten, Könige und deutschen Kaiser die Kapiteleinteilung vorgeben. Der erste Band beginnt mit der quellenbedingt recht kurzen Darstellung der Ordenszeit (1255-1525), um dann im zweiten Kapitel umso ausführlicher die ebenso durchgreifenden wie ambitionierten Umbaumaßnahmen zum "Schloss der Herzöge in Preußen" (1525-1603) zu behandeln. Es folgen wiederum kürzere Kapitel zum Schloss unter den ersten brandenburgischen Kurfürsten bis hin zum "Großen Kurfürsten" (1603-1688). Baugeschichtlich interessanter sind dann wieder die Ausführungen über die Regierungsjahre Friedrichs III./I. einschließlich einer detaillierten Darstellung des barocken Umbaus der Jahre 1704 bis 1713. Der erste Band endet mit einem Kapitel über die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. (1713-1740). Der zweite Band setzt diese Gliederung nahtlos mit einem ersten Kapitel über die Schlossgeschichte unter Friedrich II. fort, um dann der Reihe der preußischen Könige und Kaiser bis 1918 zu folgen. Es folgen dann noch Kapitel zur Entwicklung des Schlosses in der Weimarer Republik und im Dritten Reich sowie zu der Zeit "zwischen Bombenkrieg und Sprengung" (1944-1968). Abgeschlossen wird der zweite Band durch ein Kapitel "Zum Schicksal der Sammlungen" und durch "Drei Thesen zum Wiederaufbau des Königsberger Schlosses".
Die Fülle der in dieser kurzen Gliederungsübersicht angesprochenen Fragestellungen und Details verbietet eine umfassende Würdigung. Auch der Abgleich mit dem, zumeist sehr wohl wahrgenommenen, aktuellen Forschungsstand zu den mannigfaltig angesprochenen Themen muss im Einzelfall erfolgen. Anhand einiger eher zufällig gewählter Beispiele soll aber gezeigt werden, was dieses Werk zu leisten vermag.
So erschließen die zahlreichen in den Akten aufgefundenen Bauvorgänge, vor allem aber die dazugehörigen Pläne, die bisher nicht bekannt waren, der preußischen Architekturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts ein weites Betätigungsfeld. Dies gilt nicht nur für Details der Schlossbaugeschichte wie etwa den Umbau des östlichen Nordflügels zum Oberlandesgericht nach einem ambitionierten Entwurf von Paul Ludwig Simon (1804-1810), welcher in seiner Qualität durchaus den Regierungs-, Kammer- und Gefängnisentwürfen David Gillys für Marienwerder, Plock oder Kalwary gleichzustellen ist, oder für die faszinierenden Umbauentwürfe für das Schloss von dem immer noch zu Unrecht in der Forschung vernachlässigten Reinhold Persius (um 1883). Es gilt grundsätzlich auch für die anhand zahlreicher Dokumente nachvollziehbare Prägung des Stadtraums von Königsberg durch die jeweiligen Schlossherren, wobei die städtebaulichen Regulierungsmaßnahmen Schultheiß von Unfriedts ebenso zu beachten wären wie der 'königlich approbirte' Bau von Palais und Bürgerhäusern, die städtebaulich bemerkenswerte Anlage des Postpackhauses an der Schmalseite des Altstädtischen Marktes um 1730 mit einer der wenigen repräsentativen Brunnenanlagen in Preußen oder die städtebauliche Neuinszenierung des Schlossareals ("Restaurierung" und "Freilegung") ab 1890. All diese Punkte zeigen überdeutlich, wie hoffnungsvoll und unverzichtbar noch heute der Gang ins Archiv und die Recherche in den überlieferten Akten ist. Zugleich wird deutlich, wie sehr es bis heute an einer zeitlich und vor allem räumlich übergreifenden Architektur- und Städtebaugeschichte Preußens fehlt.
Am Ende bleibt die Gewissheit, dass diese zwei Bände in ihrer Uferlosigkeit ein opulenter Anfang und kein Abschluss sein können. Ob sie allerdings, wie es dem Autor vorschwebt, Ausgangspunkt für einen Wiederaufbau des Schlosses neben dem (zu Unrecht so pauschal geschmähten Dom Sowjetow aus den 1970er-Jahren) sein können, sei zumindest dahingestellt.
Anmerkung:
[1] Peter-Michael Hahn: Rezension zu: Wulf D. Wagner: Das Königsberger Schloss. Eine Bau- und Kulturgeschichte. Band 1. Von der Gründung bis zur Regierung Friedrich Wilhelms I. (1255-1740), Regensburg 2008, in: H-Soz-u-Kult (06.01.2009), http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-009.
Christof Baier