Lucas Elmenhorst: Kann man national bauen? Die Architektur der Botschaften Indiens, der Schweiz und Großbritanniens in Berlin, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2010, 239 S., ISBN 978-3-7861-2623-2, EUR 39,00
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Der Obertitel des Buches ist etwas irreführend. Zumindest verspricht er mehr, als das Buch halten kann. Das Reizwort "national" dürfte darin wohl den Gesetzen des Buchmarktes folgend Anwendung gefunden haben. Denn bei dieser am Kunsthistorischen Institut der Berliner Humboldt-Universität vorgelegten Dissertation handelt es sich weniger um eine grundlegende Diskussion der hier provokativ gestellten Frage, als vielmehr um drei Analysen neuer Botschaftsbauten in Berlin. Die Untersuchung muss dann selbstverständlich das Problem der (national-)politischen Ikonografien der Architektur aufwerfen, was der Autor beabsichtigt und durchaus leistet.
Aber auch jenseits der drei Beispiele erscheint ganz grundsätzlich die genannte Frage des Titels per se nicht übermäßig relevant zu sein, wurde doch schon seit jeher, also mit dem Auftauchen des Phänomens und Begriffs "national" sowie seit Beginn des Nachdenkens über sein Aufladungspotential versucht, dem Konzept des Nationalen auch architektonisch nicht nur zu entsprechen, sondern dieses erst zu manifestieren.
Ebenso wie "das Nationale" eine politische und sozial-kulturelle Konstruktion ist, wurde den dafür in Anschlag gebrachten Traditionen und den Form- und Material-Stereotypen als Konstrukten auf verschiedene Weise, jedenfalls relativ leicht, architektonisch entsprochen. Vorstellungsbilder lassen sich immer auch bildlich materialisieren. Als konkretes Beispiel dafür mag nur die katalogartige Aneinanderreihung der heute etwas rührend wirkenden Nationen-Häuser am Ufer der Seine vom Pont Alexandre III zum Champ de Mars während der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 genannt sein; ein ebenso schönes wie beredtes Zeugnis dafür. Die Frage ist also kaum, ob man national bauen kann, sondern vielmehr wie nationale Stereotypen, kollektive Images oder politische Konstruktionen jeweils zeitgemäß und insbesondere heute noch umgesetzt und zur Wirkung gebracht werden. Und diese Frage müssten dann eben die individuellen Analysen beantworten.
Als besonders gelungenes aktuelles Beispiel neuer politischer Aufladung bei Berliner Botschaftsbauten gelten die bekannten "Nordischen Botschaften", die in beeindruckender Weise modernes skandinavisches Design mit materialikonografisch-nationalem Impetus zu verbinden wissen - und das trotz ihres offensichtlichen gesamtskandinavischen Identitätsstiftungsauftrags.
Lucas Elmenhorsts Analyse fokussiert zunächst die Berliner Bautradition der Botschaften, die Frage nach einem möglichen Bautypus Botschaft, die Architekturgeschichte der untersuchten Bauten und die politische Aufladung der die Architektur bedingenden Komponenten.
Er konzentriert sich dann, wie im Untertitel vermerkt, auf drei Beispiele, die schweizerische, die indische und die britische Botschaft. Der Autor begründet seine Wahl mit der jeweils exemplarischen Situation dieser Botschaften, wobei die Begründungen nicht immer ganz überzeugen. Aber es bedarf eben einer Begründung, um die notwendige Auswahl für eine methodisch seriöse wissenschaftliche Vorgehensweise zu rechtfertigen: Während der Neubau der Schweizer Botschaft nach Elmenhorst eben nur eine Ergänzung einer historischen Situation bilde, sei die indische Vertretung dagegen jene eines relativ jungen Staates, der - zumindest in Berlin - über keine eigene Bautradition verfügte - ganz im Gegensatz zu Großbritannien, das zu den frühesten Nationen mit einer zentralen Verortung an der Wilhelmstraße in unmittelbarer Nähe zum Pariser Platz gehörte (13).
Fragt man nach der nationalen Aufladung von Botschaftsbauten, so können über die üblicherweise applizierten Hoheitszeichen wie Beschriftung, Wappen und Fahne hinaus ganz unterschiedliche Bedeutungsträger dingfest gemacht werden: Zum einen der historische Ort - wie dies etwa bei der Britischen Botschaft der Fall ist -, dann der dieser Nation angehörende Architekt oder aber mit nationaler Bedeutung aufgeladene Strukturen, Traditionen, Formen und Materialien. Sie können sich auf kulturelle und historische Traditionen berufen. Sie können bestimmte Materialien politisch dienstbar machen, es können Formen und Ornamente sein - wie dies nicht selten bei Architekturen mit arabischem Hintergrund, wie bei Jean Nouvels Institut du Monde Arabe zu beobachten ist. Oder aber der Architekt zitiert konkrete nationale Bauten, die als solche bereits in das öffentliche Bewusstsein getreten sind, wie dies etwa Wilford bei der Britischen Botschaft tut, der auf sich selbst und James Stirlings postmodern-ironischen Symbolbau der Stuttgarter Staatsgalerie anspielt (202-207), die längst zum britischen Architekturerbe auf dem Kontinent gezählt wird. Die Natursteinfassaden beider Bauten mit ihren punktuell eingesetzten Knallfarben und die offensive Entlarvung der Sandsteinfassade als dünne Applikation sind nur zwei ihrer auffallendsten Parallelen.
Vergleichbar das Ergebnis zum Erweiterungsbau der Schweizer Botschaft des Büros Diener & Diener im Spreebogen direkt neben dem Kanzleramt: Auch hier geht es nicht um die Reflexion älterer historischer Stereotypen, denn vielmehr um jüngere Bedeutungszusammenhänge. Die herbe Ästhetik und "noble Kargheit" (157) der bewussten Brüche mit dem (und den subtilen Anknüpfungen an den) Altbau orientiert sich nach Elmenhorst eng an der jüngeren Schweizer Bautradition der Tessiner Schule. Ja, der Autor betrachtet den Anbau sogar als "gebautes Manifest der schweizer[!] Baukultur" (164), was er durch zahlreiche Bezugnahmen belegt. Mit Blick auf die indische Botschaft des Büros Léon Wolhage Wernik kommt er dagegen - insbesondere im Vergleich mit dem Expopavillon von D.R. Naidu aus dem Jahr 2000 - zu dem Ergebnis, dass die Botschaft nur mittelbar "indische" Motive zu erkennen gibt: Farbe, geometrische Formen und Materialität des Natursteins.
Lucas Elmenhorst analysiert insgesamt sehr erhellend die drei Botschaften und ihre individuellen nationalen Bedeutungsmuster. Er schält gerade bei Bauten politische Implikationen heraus, die sich nicht sofort auf den ersten Blick erschließen, wie etwa bei der Schweizer und indischen Botschaft. Die Untersuchung kann daher als eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Klärung der politischen Gesamtikonologie der jüngsten Berliner Architektur betrachtet werden. Trotz ihres Obertitels.
Ernst Seidl