Andreas Klingenberg: Sozialer Abstieg in der römischen Kaiserzeit. Risiken der Oberschicht in der Zeit von Augustus bis zum Ende der Severer, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, 255 S., ISBN 978-3-506-77096-7, EUR 34,90
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Wer in der Année Philologique die deutschen Begriffe "sozialer Aufstieg" und "sozialer Abstieg" eingibt, bekommt für ersteren zumindest 20 Treffer, für letzteren hingegen nur zwei. [1] Die Dissertation von Andreas Klingenberg zum Thema "Sozialer Abstieg in der römischen Kaiserzeit" behandelt also einen in der Forschung bisher ziemlich vernachlässigten Aspekt. Allerdings hat die Zurückhaltung der Forschung auch einen ganz praktischen Grund: Während wir den sozialen Aufstieg vor allem anhand inschriftlich überlieferter Karrieren nachvollziehen können, hatte niemand daran Interesse, seinen Karriereabstieg in Stein verewigt zu sehen. Klingenberg muss sich daher auf die literarische Überlieferung beschränken, die leider deutlich mehr Interpretationsspielraum bietet.
Die Arbeit behandelt die "Risiken der Oberschicht in der Zeit von Augustus bis zum Ende der Severer", das heißt die Ursachen und Modalitäten des sozialen Abstiegs für Ritter und Senatoren: "Der entscheidende lateinische Begriff für ihren gesellschaftlichen Status ist dignitas; er bezeichnet sowohl die Würdigkeit für den Rang als Senator oder Ritter wie auch den Rang selbst. Durch den Verlust der Zugehörigkeit zu den Ständen ist ein Abstieg als Minderung der sozialen Position klar zu erkennen [...] In diesem Sinne wird in dieser Arbeit unter sozialem Abstieg die Minderung oder der komplette Verlust der dignitas verstanden." (12) Diese prägnante und treffende Herangehensweise wird erfreulicherweise nicht durch gelehrte soziologische Worthülsen verdunkelt. Es folgt ein ebenso gelungener knapper Überblick über die "Gesellschaft der frühen und hohen Kaiserzeit" (17-24), denn zu einer Dissertation gehört es nicht, solche Themen in ihrer gesamten Forschungsbreite auszuwalzen.
Im folgenden Kapitel werden vor allem die Voraussetzungen für die Standeszugehörigkeit behandelt (25-46). Hier lassen sich nur Kleinigkeiten anmerken. Die Hinrichtung des von Galba freigelassenen und in den Ritterstand aufgenommen Icelus durch Otho als Freigelassenen belegt zweifellos, dass Otho "die Erhebung zum Ritter nicht anerkannt" hat (28). Allerdings waren durch die damnatio memoriae sämtliche Beschlüsse Galbas zu kassieren.
Die drei Hauptteile der Arbeit behandeln die zentralen Ursachen für einen sozialen Abstieg: finanzielle Hintergründe (47-94), moralische Unwürdigkeit oder rechtliche Bescholtenheit (95-136) und schließlich politische Gründe (137-160). Bei Klingenbergs Darstellung der finanziellen Risiken einer politischen Karriere gewinnt man fast den Eindruck, es habe keinen besseren Weg zur Geldvernichtung gegeben, und fragt sich, wer überhaupt noch Interesse daran gehabt haben könnte. Bei der Problematik der Käuflichkeit der Ämter (69-71) werden die Schwierigkeiten der literarischen Überlieferung nicht vollständig berücksichtigt, denn die Berichte für Vespasian (geizig), Commodus (geldgierig) und Claudius (Einfluss der Frauen) zielen wohl auch noch in eine andere Richtung. Grundsätzlich bleibt aber die Verarmung eine zentrale mögliche Ursache für einen sozialen Abstieg (93).
Im Kapitel der moralischen und rechtlichen Verfehlungen werden u.a. öffentliche Auftritte der Oberschicht, vor allem als Gladiator, und Verurteilungen, z.B. in Repetunden- oder Ehebruchsprozessen, untersucht. Hier wie auch im vorangehenden Finanzkapitel zeigen sich zwei kleinere Schwächen der Arbeit. Zum einen bleibt Manches aufgrund der Vielzahl der Themenbereiche, die untersucht werden, etwas an der Oberfläche, was sich auch an der einen oder anderen fehlenden Literatur bemerkbar macht. [2] Andererseits ist es der Quellenlage geschuldet, dass einige Ursachen für einen sozialen Abstieg nicht wirklich oder nur mit einem Einzelfall belegt werden können. An diesen Stellen wird dann ex negativo erörtert, was alles möglich gewesen sein könnte. Eine Aussage, welche der Ursachen vielleicht häufiger auftraten, ist daher sehr schwierig.
Ohne Überraschungen bleibt der Abschnitt zu den politischen Gründen für einen sozialen Abstieg, der bestimmt ist vom Verhältnis zum Kaiser.
In zwei kürzeren abschließenden Kapiteln wird einerseits der Abstieg aus der Familienperspektive betrachtet, u.a. auch die Problematik der Interpretation der Überlieferung zur bestehenden oder fehlenden familiären Kontinuität im Senat; andererseits wird als (versöhnlicher) Ausblick die Möglichkeit des Wiederaufstiegs vorstellt.
Nach einer angenehm knappen Zusammenfassung folgen noch überaus nützliche Appendices, die nach unterschiedlichen Gründen sortierte 'Absteiger' mit den entsprechenden Quellenbelegen präsentieren.
Insgesamt ist es Klingenberg gelungen, ein interessantes und bisher in dieser Form kaum untersuchtes Thema in ansprechender Form, zu der nicht zuletzt die Arbeit des Verlages beigetragen hat, vorzulegen. Die Ergebnisse seiner Dissertation auf gut 200 Seiten unterzubringen ist zudem eine Leistung, die heutzutage kaum noch erbracht wird.
Anmerkungen:
[1] Von denen einer, wenn auch nicht ganz das Thema Klingenbergs treffend, fehlt: Werner J. Schneider: Eines Tonsors Glanz und Elend: Martials Vision vom Schicksal des Cinnamus, Hermes 129 (2001), 394-409.
[2] Als Beispiel für die öffentlichen Auftritte: Wolfgang Pietsch: Gladiatoren - Stars oder Geächtete?, in: Peter Scherrer / Hans Taeuber / Hilke Thür (Hgg.): Steine und Wege. Festschrift für Dieter Knibbe zum 65. Geburtstag (Österreichisches Archäologisches Institut. Sonderschriften; Bd. 32), Wien 1999, 373-378; Barbara Levick: The senatus consultum from Larinum, JRS 73 (1983), 97-115. Im Kapitel zu den politischen Gründen zu Helvidius Priscus (145-147): J.-C. Melmoux: Helvidius Priscus, disciple et héritier de Thrasea, PP 30 (1975), 23-40; D. Wardle: Vespasian, Helvidius Priscus and the restoration of the Capitol, Historia 45 (1996), 208-222; J. Pigoń: Helvidius Priscus, Eprius Marcellus, and iudicium senatus: observations on Tacitus, Histories 4. 7-8, CQ 42 (1992), 235-246.
Stefan Priwitzer-Greiner