Rezension über:

R. J. Hankinson (ed.): The Cambridge Companion to Galen, Cambridge: Cambridge University Press 2008, XXI + 450 S., ISBN 978-0-521-52558-9, GBP 17,99
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Rezension von:
Oliver Overwien
Institut für Klassische Philologie, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Overwien: Rezension von: R. J. Hankinson (ed.): The Cambridge Companion to Galen, Cambridge: Cambridge University Press 2008, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/15741.html


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R. J. Hankinson (ed.): The Cambridge Companion to Galen

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Die bekannte Reihe "The Cambridge Companion to ..." umfasst nach Ausweis der Internetseite http://cco.cambridge.org/ [26.9.2011] derzeit mehrere 100 Titel, von denen sich zahlreiche Bücher auch mit antiken Personen befassen. Der vorliegende Band nimmt sich dabei erstmals eines antiken Mediziners an: Galen von Pergamon (129 - ca. 216 n.Chr.). Diese Entscheidung ist aus mehreren Gründen gerechtfertigt, ja fast schon zwingend notwendig. Galen war bereits zu Lebzeiten als Mediziner so berühmt, dass er sogar die kaiserliche Familie um Marc Aurel behandelte. Doch sein eigentlicher Siegeszug begann erst nach seinem Tod. Es war sicherlich sowohl seinem riesigen Œuvre - die unter seinem Namen erhaltenen Schriften machen ca. 10 Prozent des bis 350 n.Chr. verfassten griechischen Schrifttums aus [1] - als auch seinen vielfältigen medizinischen (und philosophischen) Interessen und daraus resultierenden Erkenntnissen geschuldet, dass große Teile der institutionalisierten Medizin der Spätantike und des Mittelalters nichts anderes als eine Umsetzung bzw. Anwendung galenischer Lehre war und man sich im Prinzip erst in der frühen Neuzeit von seiner Autorität als Arzt zu lösen begann. Dieser Bedeutung wird die moderne Forschung derzeit jedoch kaum gerecht, da es so gut wie keine Untersuchungen gibt, die sich umfassend mit der Person Galens und seinem Werk beschäftigen [2], obwohl gerade in den letzten zwei Dekaden ein verstärktes Interesse an antiker Medizin, und dabei besonders an Galen von Pergamon, zu beobachten ist, wie der Herausgeber Hankinson in seiner Vorrede auch selbst bemerkt (XVII). Diese Lücke nun versucht der vorliegende Band wenigstens in Ansätzen zu füllen (XVII).

Zu diesem Zweck wurden 14 durchweg englischsprachige Beiträge von elf Forschern mit der Zielsetzung in den Band aufgenommen, möglichst viele Facetten der Person Galens zu behandeln (XVII). Dies hat zur Folge, dass neben den üblichen in derartigen Überblickswerken behandelten Rubriken ganz unterschiedliche Aspekte zur Sprache kommen, die sich grob in folgende Kategorien einteilen lassen: Der Band beginnt mit Biographica, zu der die ersten beiden Beiträge gehören (1-48). Dann folgt der weitaus umfangreichste Teil, der medizinisch-philosophische Themen wie "Methodology", "Logic", "Language", "Epistemology", "Psychologie", "Philosophy of nature", "Anatomy", "Physiologie", "Therapeutics" und "Drugs and pharmacology" zum Gegenstand hat (49-322). Den Abschluss bilden das Kapitel Galen als Hippokrateskommentator (323-354) sowie ein etwas längerer Beitrag über sein Nachleben (355-390).

Es ist an dieser Stelle kaum möglich, den ganzen Band zu besprechen. Daher soll der Schwerpunkt auf denjenigen Beiträgen liegen, die für die Leser der "sehepunkte" am interessantesten sein könnten.

Der erste Beitrag von R. J. Hankinson "The man and his work" (1-33) stellt in chronologischer Abfolge sehr detailliert biographische Informationen aus den Schriften Galens zusammen. Er ist dabei mit dem für alle antiken Autoren geltenden Problem konfrontiert, beurteilen zu müssen, ob diese Angaben die Realität widerspiegeln oder eher dazu dienen, ein bestimmtes Bild des Autors zu erschaffen. Hankinson ist sich dieses Problemes durchaus bewusst (9), doch hätte man sich gerade im Hinblick auf den in diesen Dingen weniger erfahrenen Leser entsprechende Hinweise etwas öfter gewünscht: So stellt Galen seine Eltern erkennbar nach dem Vorbild des Sokrates und seiner Frau Xanthippe dar (3; [3]), und seine Heilung des Eudemos ist in der beschriebenen Weise sicherlich nach seinem Grundsatz gestaltet, dass der beste Arzt auch Philosoph sein muss (7-9). Immerhin kann Hankinsons Zusammenstellung, wenn auch unbeabsichtigt, ein weiteres Argument dafür liefern, dass die Schrift De Theriaca ad Pisonem wohl unecht ist [vgl. 22; 312], da sich z.B. nur dort die positive Darstellung einer Frau (2) sowie ein Lob auf Kaiser Commodus finden (20).

Wie sehr die Konkurrenz und Rivalität unter den damaligen Ärzten die medizinische Praxis und das literarische Schaffen Galens bestimmte, zeigt anschaulich der Artikel von G. E. R. Lloyd "Galen and his contemporaries" (34-48). So hat der Arzt in seinen Werken tatsächlich einen Großteil seiner Energie darauf verwendet, konkurrierende Ansichten zu widerlegen, letztlich mit Erfolg. Von der großen Bandbreite an zeitgenössischen medizinischen Theorien blieb in der nachgalenischen Zeit nicht mehr viel übrig. Was man in den folgenden Jahrhunderten lehrte und anwendete, war Galen.

Mit diesem Erfolg, d.h. mit Galens Nachleben beschäftigt sich V. Nutton in einem äußerst lesenswerten, weil gelehrten Überblick, der annähernd 1800 Jahre abdeckt (355-390: "The fortunes of Galen"). Er thematisiert kurz und bündig alle wichtigen Stationen von der Spätantike über den lateinischen Westen und arabischen Osten, über die Renaissance und frühe Neuzeit bis in die moderne Forschungslandschaft. Das besondere an diesem Überblick ist der Umstand, dass er die immense Bedeutung Galens für die Medizin vieler Jahrhunderte anschaulich vor Augen führt.

Wie viel uns von den Schriften Galens verloren ist, zeigen exemplarisch die beiden Listen von B. Morison über die galenischen Bücher zur Logik (66-68) und Sprache (116-117). Wären uns diese erhalten geblieben, bekämen wir eine noch weitaus bessere Vorstellung von der Person Galens, der eben nicht nur Mediziner war.

Um wenigstens einen kurzen Blick auf den medizinisch-philosophischen Teil des Buches zu werfen, sei zunächst der Beitrag von S. Vogt "Drugs and pharmacology" (304-322) genannt, in dem die Verfasserin eine gut strukturierte, vielleicht aber auch etwas zu knappe Darstellung über die Heilmittel gibt und dabei herausarbeitet, dass deren Wirksamkeit von den Ärzten eher durch die Erfahrung als durch theoretische Reflexionen bestimmt werden konnte. Als äußerst nützlich ist auch A. Debrus "Physiology" (263-282) zu bewerten. In diesem Artikel werden Galens zentrale Konzepte wie seelische versus körperliche Funktionen, Pneuma, Verdauung, Atmung usw. in übersichtlicher Weise auf den Punkt gebracht und ihre Bedeutung für sein medizinisches System verständlich gemacht.

Als hilfreich sind die beiden Appendizes zu bewerten, von denen der erste die Editionen der Galenschriften aufführt (391-397), während der zweite alle derzeit bekannten modernen Übersetzungen nennt (399-403). Insbesondere der erste Appendix zeigt, wie viel die Galenforschung noch leisten muss, da nicht wenige Schriften nach wie vor nur in der modernen Maßstäben kaum genügenden Monumentaledition von Karl Gottlob Kühn aus den Jahren 1821-1833 vorliegen. Eine nach Texten, Übersetzungen und Sekundärliteratur aufgeteilte Gesamtbibliographie (405-433) sowie ein Index (435-450) zu Namen, Orten und Begriffen beschließen die Arbeit. Ein "Index of cited passages" wäre allerdings, das sei hier noch angemerkt, für die bessere Benutzung ebenfalls wünschenswert gewesen.

Der Rezensent hofft, angedeutet zu haben, dass der "Cambridge Companion to Galen" einen guten Überblick zu einem Großteil der aktuellen bzw. zentralen Fragen der Galenforschung gibt. Einzig die literarischen Aspekte werden ausgespart, was angesichts des reichen Quellenmateriales allerdings unverständlich ist. Hier wären Untersuchungen zur literarischen Technik, zum Adressatenbezug oder zu literarischen Gattungen, um nur einige mögliche Forschungsfelder zu nennen, zu erwarten gewesen. Dessen ungeachtet bleibt festzuhalten, dass der Band seine Zielsetzung erreicht hat. Es ist somit davon auszugehen, dass er der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Galen in vielen Bereichen weitere wichtige Impulse geben wird.


Anmerkungen:

[1] Vivian Nutton: Ancient Medicine, London 2004, 390 Anm. 22.

[2] An jüngeren Publikationen wären höchstens die umfangreichen Ausführungen zu Galens philosophischen und medizinischen Anschauungen in Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 36.5, 1992, S. 3484-3554, sowie II 37.2 1994, S. 1351-2017 vergleichbar.

[3] R. Rosen: Socratism in Galen's psychological works, in: Antike Medizin im Schnittpunkt von Geistes- und Naturwissenschaften. Internationale Fachtagung aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des Akademienvorhabens Corpus Medicorum Graecorum / Latinorum, hgg. v. Ch. Brockmann / W. Brunschön / O. Overwien (Beiträge zur Altertumskunde; 255), Berlin / New York 2009, 155-172.

Oliver Overwien