Rezension über:

Claudia Strieter: Aushandeln von Zunft. Möglichkeiten und Grenzen ständischer Selbstbestimmung in Lippstadt, Soest und Detmold (17.-19. Jahrhundert) (= Westfalen in der Vormoderne. Studien zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Landesgeschichte; Bd. 7), Münster: Aschendorff 2011, 360 S., ISBN 978-3-402-15046-7, EUR 48,00
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Rezension von:
Christine van den Heuvel
Niedersächsische Staatskanzlei, Hannover
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Christine van den Heuvel: Rezension von: Claudia Strieter: Aushandeln von Zunft. Möglichkeiten und Grenzen ständischer Selbstbestimmung in Lippstadt, Soest und Detmold (17.-19. Jahrhundert), Münster: Aschendorff 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 1 [15.01.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/01/18433.html


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Claudia Strieter: Aushandeln von Zunft

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Die 2008 von der Universität Münster angenommene, von Barbara Stollberg-Rilinger und Winfried Reininghaus betreute Dissertation beschäftigt sich mit der Position von Zünften im landstädtischen und (territorial-)staatlichen Kontext der frühen Neuzeit. Im Detail unternimmt die Untersuchung einen Vergleich der Zünfte und der Zunftpolitik in den Städten Lippstadt, Soest und Detmold. Die Intention der Verfasserin, Zunftpolitik vornehmlich im "Spannungsfeld zwischen obrigkeitlichen Regulierungsansprüchen und korporativer Selbstverwaltung" zu untersuchen (14), erschöpft sich dabei nicht in der Darstellung zünftischer Normen; sie schließt vielmehr die um die Normsetzung entstehenden Kommunikationsprozesse mit den daraus resultierenden Konflikten bei der Aushandlung, Aneignung und Durchsetzung von Positionen des Handwerksrecht mit ein. Die Grundlage dafür bietet eine dichte Quellenanalyse der Privilegien, Statuten, Landtagsbeschlüsse und Verwaltungsberichte sowie von Suppliken der Zünfte an die städtischen und landesherrlichen Obrigkeiten. Mit einer Einführung in die Forschungsliteratur verortet Strieter ihr Thema in einer Reihe jüngerer, vornehmlich seit den 1990er Jahren entstandener Lokalstudien zur Handwerks- und Zunftgeschichte in der Frühen Neuzeit, die die lange Zeit vorherrschende These vom Niedergang der Zünfte in dieser Epoche widerlegt haben.

Die Verfasserin gliedert ihre vergleichende Studie in vier Teile. Im ersten Kapitel wird der "Handlungsrahmen der Akteure" aufgezeigt: Die drei Städte wiesen trotz ihrer unterschiedlichen politisch-staatlichen Einbindung (Soest gehörte zur preußischen Grafschaft Mark, Lippstadt stand unter preußisch-lippischer Samtherrschaft, Detmold war Residenzstadt der Grafschaft bzw. des Fürstentums Lippe) in wirtschaftlicher Hinsicht zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Die dominierende Leinenweberei erlangte hinsichtlich Quantität und Qualität in keiner Stadt eine den nordwestfälischen Textilzentren vergleichbare Position, ebenso wenig konnte sich dauerhaft ein bedeutendes Exportgewerbe herausbilden. Soest hatte - im Vergleich zu seiner wirtschaftlichen Bedeutung im 16. Jahrhundert - gar einen wirtschaftlichen Niedergang zu verzeichnen; alle drei Städte besaßen im 18. Jahrhundert ausschließlich regionale Bedeutung. In diesem Zeitraum bestimmten die in Ämtern und Zünften organisierten Schmiede, Schneider, Lohgerber, Leinweber, Bäcker, Fleischhauer, Tischler und Krämer und die ihnen angeschlossenen Handwerke die gewerbliche Wirtschaft. Hinsichtlich ihrer demographischen Entwicklung im Untersuchungszeitraum sind Soest, Lippstadt und Detmold sämtlich als kleinere, stagnierende Mittelstädte anzusehen.

Im zweiten Kapitel untersucht die Verfasserin die Entwicklung des Zunft- und Gewerberechts, insbesondere die lokalen Gesetzgebungstätigkeiten der Landesherren im Vor- und Umfeld der Reichshandwerksordnung von 1731, und geht dabei der Frage nach, inwieweit die verschiedenen Rechtskreise, das Reichsrecht, das Landesrecht, das Stadtrecht und zunftrechtliche Statuten zusammenwirkten, einander ergänzten oder kollidierten. Kam es in Soest und Lippstadt zu einer starken Einflussnahme der preußischen Wirtschafts- und Zunftpolitik in die inneren Belange der Städte, so setzte sich in der Residenzstadt Detmold keine stringent regulierende landesherrliche Handwerkspolitik durch, so dass der Einfluss der Zünfte unvermindert bestehen blieb. Initiativen zur Einführung einer neuen Zunftverfassung als Reaktion auf die Reichszunftordnung blieben weitgehend aus. Während der letzten drei Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts kam es in allen drei Territorien zu Auflösungserscheinungen des zünftisch gebundenen Handwerks sowie zu einer Diskussion um die Gewerbefreiheit. Die Aufhebung der Zunftverfassungen erfolgte endgültig zwischen 1810 und 1820.

Die Analyse von Konflikten, die innerhalb der Zünfte oder zwischen einzelnen Zunftgenossen und den Stadtregierungen oder den Landesherren geführt wurden, steht im Zentrum des dritten Kapitels. Am Ende dieser mit sehr unterschiedlichen Bewältigungsstrategien ausgetragenen Konflikte, die die Verfasserin im Sinne Luhmanns als Kommunikations- und Aushandlungsprozesse darstellt, konnten individuelle wie genossenschaftliche Privilegienerteilungen stehen, sie konnten aber auch zu ständisch und ökonomisch motivierten Auseinandersetzungen führen, wie sie zum Beispiel aus dem Konkurrenzverhältnis zum Landhandwerk und den Freimeistern resultierten. Innerzünftische Vorgaben zur Regelung ökonomischer Praktiken dienten zur Sicherung der wirtschaftlichen Basis aller Mitglieder einer Zunft, wie die Verfasserin am Beispiel des "Reiheschlachtens" darlegt. Individueller Widerstand gegen die Übernahme traditioneller Zunftpflichten stellte - zumal bei Solidarisierungstendenzen - nicht nur die Zunftobrigkeit in Frage, sondern verwies vielfach auch auf Auflösungstendenzen, wie sie die Autorin an der Entwicklung des Soester Krämeramtes im Verlauf des 18. Jahrhunderts nachweisen kann.

Die Debatte über zünftische Normen erfolgte - wie Claudia Strieter in vierten Kapitel zeigt - vornehmlich in der zeitgenössischen Publizistik und entsprang kaum einer von den Zünften selbst initiierten Diskussion. Anhand der Aspekte "berufliche Qualifikation und Zugang zur Zunft", "Wirtschaft und Zunft", "Selbstverwaltung der Zunft" wird deutlich, dass insbesondere im 18. Jahrhundert die Zünfte mit ihrem Handeln und ihren Normen einer regen, von den Landesobrigkeiten geförderten öffentlichen Reformdebatte über den "gemeinen Nutzen", das "Gemeinwohl" oder die "gute Policey" ausgesetzt waren. Ergebnis war, so konstatiert die Verfasserin für die von ihr untersuchten Städte, ein keineswegs einheitliches, aber auch kein lediglich "rückwärtsgewandtes" Zunftwesen (315): Vielmehr zeigten die unterschiedlichen Formen und Ausprägungen lokalen Zunftrechts die hinreichende Flexibilität der Zünfte wie auch eine entsprechende Pragmatik der Obrigkeit, um eine den kleinstaatlichen Gegebenheiten angemessene Wirtschaftspolitik zu betreiben.

Die mehrfach in der Arbeit in Aussicht gestellte Untersuchung der Zünfte in nachnapoleonischer Zeit bis zur Aufhebung des Gewerbezwangs 1869 gerät etwas knapp. So ist die Arbeit vor allem für die frühe Neuzeit eine quellenmäßig solide recherchierte, gut lesbare und anregende Lokalstudie zu einem Themenbereich, der weitere vergleichende Untersuchungen verdient.

Christine van den Heuvel