Ingeborg Walter: Die Strozzi. Eine Familie im Florenz der Renaissance, München: C.H.Beck 2011, 240 S., mit 33 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-61477-4, EUR 22,95
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Sie standen stets im Schatten der Medici, sie konnten das Florenz der Hochrenaissance nicht nachhaltig prägen: die Strozzi. Denn wer in einer fast kollektiven Sippenhaftung über Generationen als Feind der Medici und damit des Staates verbannt wurde, der musste sich darauf konzentrieren, Erreichtes zu bewahren, Neues aufzubauen und in wiederholten Anläufen die ersehnte Rehabilitation zu erwirken. Solche Geschichten jedoch locken die Forschung weitaus weniger als die des glänzenden Erfolges. Ingeborg Walter freilich kennt beide Seiten. Sie hat eine prächtige Biographie Lorenzo de' Medicis geschrieben, nun eine ebenso eindrucksvolle Familiengeschichte der Strozzi. Und dabei besitzt sie die Fähigkeit, sowohl anschaulich und spannend einzelne Ereignisse zu erzählen als auch mit profunder Sachkenntnis die allgemeine Bedeutung relevanter historischer Phänomene prägnant zu erläutern.
Die politische Bedeutung der Strozzi basierte, ähnlich wie bei den Medici, auf ihrem wirtschaftlichen, aus Geld-, vor allem Wechselgeschäften resultierenden Erfolg im 13. Jahrhundert, der ihnen den Aufstieg in den "popolo grasso", die wohlhabende, herrschende Florentiner Schicht ermöglichte. In stärkerer räumlicher Konzentration und zahlreicher als die Medici wohnten die Strozzi im Viertel von Santa Maria Novella in einem großen Familienverband, der sich auf die zentrale, von ihnen geschaffene Piazza Strozzi ausrichtete; 39 Haushalte zählte man 1427. Dem wohlhabendsten stand Palla Strozzi vor, Sohn des hoch angesehenen, 1418 verstorbenen und in der Kapelle der Familiensakristei in Santa Trinita beigesetzten Nofri. Palla, 1415 am Königshof von Neapel zum Ritter vom Goldenen Sporn geschlagen, in den humanistischen Studien bewandert, gar des Griechischen äußerst kundig, konnte das geerbte Vermögen nicht bewahren, das allerdings auch durch hohe Steuerlasten schwand. 1427 noch der reichste Florentiner, befand er sich schon 1433 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Da er sich in jenem Jahr beim Sturz Cosimo de' Medicis auf die Seite Rinaldo degli Albizzis gestellt hatte, traf ihn und zwei benachbarte Strozzi, Matteo und Smeraldo, nach der Rückkehr Cosimos 1434 die Verbannung, die bis zu seinem Tod 1462 in Padua immer wieder verlängert worden war und sich auch auf alle seine männlichen Nachkommen erstreckte. Wohl weniger ihre ökonomische Potenz als ihre Stellung an der Spitze dieses kompakten, solidarischen und angesehenen, deshalb potentiell gefährlichen Familienverbandes ist als Ursache für die harten Entscheidungen der Medici anzusehen.
Mit dieser 1434 beginnenden Exilierungswelle änderte sich alles für die Strozzi. War eine humanistische Bildung bis dahin eine Verpflichtung für Angehörige ihres Standes, konnte ein aktives Gelehrtendasein (etwa mit dem Übersetzen griechischer Schriften) gar eine Tätigkeit als Bankier, Kaufmann oder Politiker ersetzen, hieß es jetzt, sich wieder auf die elementaren Fertigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens zu beschränken, einen Beruf auszuüben und die Existenz zu sichern. Ohne andere wichtige Strozzi aus den Augen zu verlieren, steht bei Walter von nun an die Familie Matteo Strozzis im Mittelpunkt, aus zwei Gründen vor allem. Zum einen war es Matteos Sohn Filippo (1428-1491), der (nach einer mit 12 Jahren begonnenen Bankiersausbildung in Spanien) unter König Alfons V. in Neapel eine überaus erfolgreiche Bank aufbaute, deren Gewinne es ihm erlaubten, nach der Beendigung seines Exils (1466 unter Piero di Cosimo de' Medici) den imposanten Bau des Palazzo Strozzi zu beginnen, der gleichsam als Konkurrenzbau zum Medici-Palast angesehen werden kann. Zum anderen hinterließ Matteos Ehefrau Alessandra Macinghi (von Walter bis auf Seite 231, Stammtafel III, den Quellen gemäß Macigni geschrieben) einen der eindrucksvollsten Briefwechsel der Renaissance, den mit ihren exilierten Söhnen, der mit Unterbrechungen den Zeitraum von 1447 bis 1470 umfasst. Es ist ein einzigartiges Dokument, von hoher kulturgeschichtlicher Bedeutung, das Walter denn auch intensiv und lebensnah auswertet und sachkundig kommentiert.
Anhand dieser biographischen Perlen lässt sich etwa zeigen, wie sehr ein Aufstieg unter widrigen Bedingungen von der Persönlichkeit abhing, insbesondere auf den eigenen Fähigkeiten und Leistungen basierte. Was Filippo gelang, konnte sein Bruder Lorenzo mit seinem ganz gegensätzlichen Charakter nicht erreichen. Die Familie Filippos bleibt im Fokus der Studie, denn der 1489 aus zweiter Ehe mit Selvaggia Gianfigliazzi geborene Filippo, jüngster der zahlreichen Nachkommen Filippos di Matteo, wird dieser Linie nicht nur wegen seines kaufmännischen Talentes, sondern vor allem aufgrund seiner Ehe mit Clarice di Piero di Lorenzo de' Medici und der neuen Verwandtschaft eine ganz besondere, eigentümliche Bedeutung verleihen. Diese 1509 geschlossene Ehe wurde noch stärker als in Florenz üblich aus politischen Motiven geplant und geschlossen; zugleich barg sie eine enorme politische Sprengkraft in sich. Waren doch die Söhne Lorenzos des Prächtigen ihrerseits seit 1494 verbannt und versuchten mit allen Mitteln, eine kriegerische (bis zu Pieros Tod Ende 1503) respektive (unter Giovanni) friedliche Rückkehr nach Florenz und damit an die Macht zu erreichen. Eines der dabei von den Medici angewandten Mittel bestand in dieser Vermählung der Tochter des Rebellen Piero de' Medici mit dem Sohn einer ihnen weitgehend feindlich eingestellten Familie, wobei sie diesen in sich vergifteten Ehebund durch eine hohe Mitgift gleichsam versüßten. Gegen erbitterte Widerstände aus der eigenen Familie und andere Medici-feindliche Kreise der Stadt willigte Filippo di Filippo ein, wurde daraufhin kurzzeitig selbst verbannt, konnte dann aber unter der erneuten Florentiner Herrschaft der Medici (ab 1512) und unter dem Papat Giovanni de' Medicis als Leo X. und dessen Cousin Giulio als Clemens VII. zu einem der wichtigsten Finanziers seiner Verwandten avancieren. So galt er in den 30er Jahren als reichster Kaufmann des Orbis christianus nach den Fuggern, hatte gleichwohl durch seine kurialen wie familiären Bindungen ebenso gewaltige Verluste zu erleiden. Die Geschichte Filippos, seiner Verwandten und vor allem seiner Söhne bleibt in sehr vielschichtiger, aber auch kontroverser Weise mit dem Geschick der Medici verbunden und ist deshalb gerade in dieser Phase, der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, nur im Kontext der überaus wechselvollen europäischen Politik zu verstehen.
Ingeborg Walter versteht es, dies sei abschließend nochmals betont, unter souveräner Kenntnis der Quellen und Literatur die weiten Zusammenhänge angemessen auszuleuchten, Biographisches mit Strukturellem zu verknüpfen, bei aller angebrachten, gebotenen Liebe zum Detail nie den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Es ist, kurzum, ein Buch, das man mit großem Genuss wie auch reichem Erkenntnisgewinn liest und - für ein Sachbuch selten genug - kaum aus der Hand legen mag.
Götz Rüdiger Tewes