Rezension über:

Cristiano Giometti: Domenico Guidi 1625-1701. Uno scultore barocco di fama europea (= lermArte; documenti 5), Rom: L'Erma di Bretschneider 2010, 402 S., ISBN 978-88-8265-544-0, EUR 210,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Frank Martin
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Gabriele Wimböck
Empfohlene Zitierweise:
Frank Martin: Rezension von: Cristiano Giometti: Domenico Guidi 1625-1701. Uno scultore barocco di fama europea, Rom: L'Erma di Bretschneider 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/19447.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Cristiano Giometti: Domenico Guidi 1625-1701

Textgröße: A A A

Mit einem Talent zur Bildhauerei und als Neffe Giuliano Finellis zur Welt zu kommen, waren die schlechtesten Voraussetzungen für eine Karriere erst einmal nicht. Als Nachteil sollte sich dieses Erbe erst erweisen, als Finelli sich im Zusammenhang mit den vier kolossalen Nischenpfeilerstatuen in der Vierung von St. Peter mit Gianlorenzo Bernini überwarf und nach Neapel auswich, was für Domenico Guidi (1625-1701), um den es hier geht, zum Problem wurde, als er sich nach Jahren der Zusammenarbeit mit dem Onkel in der Cappella del Tesoro im Dom von Neapel entschied, sein Glück in Rom zu versuchen. Hier schloss er sich Alessandro Algardi an, bekannte sich mithin zu jener Fraktion, die, was die Prominenz des Auftraggeberklientels anlangt, Bernini vielleicht als einzige etwas entgegenzusetzen hatte. Algardis Tod (1654) beeinträchtigte Guidis Karriere deshalb nur bedingt, weil Päpste oder Kardinalnepoten - von den Ottoboni und Alexander VIII. einmal abgesehen - fortan nur ausnahmsweise zu seinen Auftraggebern zählten. Mit bemerkenswertem Weitblick hatte er sich schon früh in der Accademia di San Luca engagiert, was ihm nach der Fusion mit der Académie de France à Rome renommierte Aufträge aus Frankreich und den Titel eines "scultore del re" einbrachte. Dass Charles Errard, der von 1666 bis 1672 Direktor der Académie de France à Rome war, Patenonkel der einzigen Tochter Guidis wurde, ist Ausdruck eines Pragmatismus, der Leben und Werk Domenico Guidis kennzeichnet: Seine Auftragsbücher waren streckenweise so voll, dass er bei weniger prominenten Werken die Ausführung an mittelmäßige Bildhauer delegierte, was dem Umsatz, nicht aber der Qualität zuträglich war und auch nicht unbemerkt und unkommentiert blieb, wie die scharfe Kritik Lione Pasolis zeigt ("[...] alcuni zelosi intendenti dell'arte della scultura voluto avrebbero disperder dal mondo la memoria del Guidi, anzi che favellarne"). Pascoli thematisierte auch den aufwendigen Lebensstil Guidis, der bei nachlassender Schaffenskraft und rückgängiger Auftragslage im Alter unfreiwillige Einschränkungen, Notverkäufe (u.a. seiner und Alessandro Algardis Entwurfsmodelle) und eine vom späteren Clemens XI. veranlasste Rente notwendig machte.

Dass sich Vita und Œuvre Domenico Guidis vor dem Hintergrund der römischen Kunstproduktion des 17. Jahrhunderts mittlerweile so konturiert abzeichnen, ist das Verdienst Cristiano Giomettis, der beides gleichermaßen gründlich, detailliert und kompetent aufgearbeitet hat. Für die Vita bediente er sich dabei nicht nur der mehr oder weniger zeitgenössischen Lebensbeschreibungen Giovanni Battista Passeris, Lione Pascolis bzw. Filippo Baldinuccis, er hat auch den reichen Schriftnachlass des mit Guidi befreundeten, in dessen Nachbarschaft wohnenden Giulio Cartaris nach sachdienlichen Hinweisen durchgearbeitet und darin zwei von Guidi selbst diktierte Lebensbeschreibungen ausfindig gemacht, die die wenige Jahre zuvor vom Autor in einem eigenen Bändchen publizierten Nachlassinventare Guidis ideal ergänzen.

Die Ausgangslage kann für ein kritisches Werkverzeichnis günstiger kaum sein, das jetzt erstmals als Katalog vorliegt und den 1970 von David L. Bershad als Dissertation erschienenen Essay endlich obsolet macht. Unter den 57 dokumentierten Werken, die Giomettis Werkkatalog umfasst, stehen am Anfang die bei Alessandro Algardis Tod unvollendet hinterlassenen Aufträge, gefolgt von den ersten eigenständigen Arbeiten, die schon bald in Großaufträge münden, wie die des Grabmals für Orazio Falconieri und Ottavia Sacchetti in San Giovanni dei Fiorentini/Rom (1665-1669), das fast 4 Meter hohe Relief mit der Beweinung Christi in der Kapelle der Monte di Pietà (1667-1676), den Engel mit der Lanze für die Engelsbrücke (1668/69), die Statue Clemens IX. am Grabmal des Papstes in S. Maria Maggiore/Rom (1670/71), das eine Höhe von 6 Metern erreichende Grabmal für Lorenzo Imperiali in S. Agostino/Rom (1674-1677), das kolossale Hochaltarrelief mit der Heiligen Familie in Sant' Agnese in Agone (1676-1685) oder die Statue Ludwigs XIV. in der Villa Medici in Rom - um nur die bedeutendsten mit einem römischen Bestimmungsort zu nennen. Hinzu kommt die allegorische Figurengruppe Ludwigs XIV. im Garten von Versailles (1677-1685), das Grabmal Nicola Cotoners auf Malta (1680-1686) oder das Grabmal des Landgrafen Friedrich von Hessen im Breslauer Dom, die Guidis "fama europea" ausmachten, von der im Buchtitel ein bisschen zeitgeistig die Rede ist.

Das Verdienst Giomettis liegt weniger in aufsehenerregenden Neuzuschreibungen, als vielmehr in der gewissenhaften Zusammenstellung der in der Sekundärliteratur mit Guidi in Zusammenhang gebrachten Werke - immer gespiegelt vor dem Hintergrund der Quellenlage, die auch eine Reihe nicht zustande gekommener Großaufträge greifbar werden lässt, wie beispielsweise die 26 Bronzekruzifixe und 104 bronzene Kerzenleuchter für St. Peter, für die Guidi die Entwürfe liefern sollte, was dann aber Berninis Intervention zu vereiteln wusste, oder die ebenfalls in der Planungsphase stecken gebliebene Bronzestatue des polnischen Königs Johann III. Sobieski, dem in der Vorhalle von St. Peter für die Verdienste bei der Vertreibung der Türken vor Wien von Guidi ein Denkmal gesetzt werden sollte, ganz zu schweigen von der in den 1690er Jahren in Angriff genommenen Ausstattung der Taufkapelle von St. Peter, für die Guidi die über 3m hohe Taufgruppe in Bronze beitragen sollte, die dann aber über das Stadium der originalgroßen Modelle nicht hinausging, weil Innozenz XII. bei einer Ortsbegehung ästhetische Bedenken geltend machte.

Solche Episoden werden im einleitenden Essay abgehandelt, der auf etwas mehr als 100 Seiten Leben und Werk Guidis chronologisch beleuchtet und dabei stilistische wie entstehungsgeschichtliche Zusammenhänge mit großer Akribie und hoher Dokumentendichte rekonstruiert.

Ihm folgt ein Katalog, der zwischen gesicherten und zugeschriebenen Werken unterscheidet, wobei letztere, die "opere attribuite", noch einmal in Papstbüsten, Büsten anderer Persönlichkeiten, Bronze- und Marmorwerke unterschieden werden; auf sie folgen die Verluste und die von Guidi selbst herausgegebenen Stiche einzelner seiner Werke. Abschreibungen sind in der Gruppe der "opere attribuite" lediglich durch ein an die Katalognummern angehängtes "R" ausgewiesen, worauf auf den ersten Seiten des Buches (14) hingewiesen wird, wo man einen so grundlegenden Hinweis nicht erwarten würde. Ein bisschen befremdlich auch die Entscheidung, die Entwurfsmodelle im Katalog nicht im Zusammenhang mit den ausgeführten Marmorwerken zu diskutieren, sondern dem Katalog der gesicherten Marmorskulpturen in einer eigenen Kategorie folgen zu lassen, aus der dann noch weiter hinten im Katalog die Zu- bzw. Abschreibungen ausgesondert werden, befremdlich deshalb, weil Entwurfsmodelle bis auf die wenigen, deren Provenienz lückenlos auf ihren Ursprung zurückverfolgt werden kann, fast immer Zuschreibungen sind, worüber aber hinwegtäuscht, wenn ein Teil der Entwurfsmodelle explizit als zugeschrieben bezeichnet wird, weil es die übrigen mit der Aura des Authentischen und Eigenhändigen versieht. Man kann nicht häufig genug darauf hinweisen, dass das Kopieren von Entwurfsmodellen nichts Ungewöhnliches war.

Wenn man sich als Leser auch bei den zugeschriebenen Marmorwerken eines Urteils enthalten muss, dann liegt das an den Abbildungen, die zwar in der Qualität durchweg recht ordentlich, im Format aber entschieden zu klein sind. Ob die Büste Fabrizio Naros (Kat. Nr. 13.OA) tatsächlich von der Hand Guidis stammt, helfen die beiden viertelseitigen Abbildungen mit anderen Worten nicht zu entscheiden. Überhaupt: ein Buch mit dem Charme eines Paperbacks für 210 Euro auf den Markt zu bringen, sollte dem Verlag, der für seine unsägliche Preispolitik berüchtigt ist, einmal mehr die Schamesröte ins Gesicht treiben - zumal offensichtlich am Lektorat gespart wurde, wie die deutschsprachigen Literaturtitel zeigen, die mit fast erschreckender Konsequenz fehlerhaft sind. Hier sei die Frage erlaubt, warum die Drucklegung von zwei Vertretern des Kunsthandels bezuschusst werden musste und nicht von einer dafür zuständigen öffentlichen Einrichtung unterstützt wurde, die dem Buch angesichts seiner Nachhaltigkeit für die Barockskulpturforschung zu einer angemesseneren Form hätte verhelfen dürfen.

Frank Martin