Rezension über:

John F. Shean: Soldiering for God. Christianity and the Roman Army (= History of Warfare; Vol. 61), Leiden / Boston: Brill 2010, XVIII + 455 S., ISBN 978-9-0041-8731-3, EUR 158,00
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Rezension von:
Stefanie Hoss
Nijmegen
Redaktionelle Betreuung:
Ute Verstegen
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Hoss: Rezension von: John F. Shean: Soldiering for God. Christianity and the Roman Army, Leiden / Boston: Brill 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 4 [15.04.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/04/19472.html


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John F. Shean: Soldiering for God

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Das besprochene Buch, dessen Grundlage die Dissertation des Autors ist, ist eine Studie des Verhältnisses zwischen römischer Armee und frühem Christentum in der Antike und liegt somit an einer Schnittstelle zweier Fachbereiche, die selten miteinander verbunden werden. Dieses Buch ist ein Vorbild dafür, wie viel Gewinn aus einer solchen Mischung entstehen kann, denn der Autor identifiziert und widerlegt eine These, die lange die Grundlage für historische Forschungen auf diesem Gebiet war. Leider steht diesem positiven Aspekt gegenüber, dass mit Hanns Christof Brennecke ein anderer Autor ebendieser These bereits 1997 in einem Aufsatz entgegentrat. [1] Dennoch soll dieser Umstand in der folgenden Besprechung eine untergeordnete Rolle spielen und die Arbeit des Autors zunächst unabhängig davon betrachtet werden.

Shean beginnt im ersten Kapitel (1-30) mit einer Einführung in den Spannungsbereich zwischen Krieg und Religion in der Antike und versucht aufzuzeigen, dass sich die jeweilige Rolle der Religion im Leben antiker und moderner Soldaten grundlegend voneinander unterscheidet. Im Anschluss daran folgt eine Zusammenfassung der Hauptthesen des Buches, vermutlich ein Überbleibsel der ursprünglichen Dissertation, deren Wirkung jedoch eher verwirrend als erhellend ist.

Im zweiten Kapitel bietet Shean einen sehr nützlichen Überblick über den Einfluss der verschiedenen Religionen (mit Ausnahme des Christentums) im römischen Heer und ihre Ausübung im täglichen Leben und während eines Feldzuges (31-70).

Im folgenden, dritten Kapitel wird auf die christliche Haltung zu Krieg, Militärdienst und dem römischen Staat eingegangen (71-103). Hier wird nun auch endlich die These erläutert, deren Widerlegung den Kern des Buches bildet. Dabei handelt es sich um die Idee, dass die frühchristlichen Gemeinden eine starke pazifistische Ausrichtung besessen hätten und Christen daher keinesfalls freiwillig Soldaten geworden seien. Diese im 19. Jahrhundert entwickelte und unter anderem von Adolf von Harnack, C. John Cadoux, und Jean-Michel Hornus vertretene These bildete bis zum Ende des 20. Jahrhunderts die Grundlage der historischen Forschung, wurde - wie oben erwähnt - jedoch bereits 1997 von Hanns Christof Brennecke entkräftet. [1] Shean schildert detailreich die Entstehung dieses Missverständnisses, das hauptsächlich auf dem Vorurteil beruhte, das Frühchristentum sei zum einen einheitlich und zum anderen pazifistisch gewesen. Shean kann beide Ansichten mit guten Argumenten widerlegen und weist nach, dass die 'monolithische' frühchristliche Gemeinde nicht existierte, sondern dass es sich um zahlreiche Gemeinden mit unterschiedlichen Auffassungen und Auslegungen handelte. Das frühe Christentum war seiner Ansicht nach zwar eine Religion des Friedens, aber dies habe nicht Pazifismus im modernen Sinne zur Folge gehabt (141). Der Krieg sei als eine normale und 'natürliche' Eigenschaft der Welt angesehen worden und wiewohl man sich bitterlich über ihn beklagt habe, seien diese Klagen in ihrem Charakter vergleichbar mit Klagen über das Wetter (71).

Im vierten Kapitel beschäftigt sich Shean mit der sozialen Struktur früher christlicher Gemeinden und der (hohen) Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit von Militärangehörigen zu solchen Gemeinden (104-175). Hier widerlegt er zudem auch den Anachronismus, dass die frühchristlichen Gemeinden aus Sklaven und Freigelassenen bestanden hätten, oder dass sie eine klassenlose Gesellschaft zum Ziel gehabt hätten (148ff.). Shean macht deutlich, dass sich die frühchristlichen Gemeinden einer Kategorisierung in solch schlichte ideologische - und meist aus späteren Jahrhunderten übergestülpte - Muster verweigern.

Das fünfte Kapitel ist dem Nachweis der Anwesenheit von Christen in der römischen Armee gewidmet (178-215). Shean zeigt auf, dass eine Hinwendung des Reiches zum Christentum durch Konstantin ohne mindestens die Billigung eines Großteils der römischen Armee unmöglich gewesen wäre, da der römische Kaiser zu diesem Zeitpunkt völlig von der Armee abhängig gewesen sei. Seiner Ansicht nach handelte es sich im Gegenteil bei Konstantins Bekehrung vermutlich um eine Folgereaktion auf die starke Christianisierung der Armee. Auch wird beim Lesen der frühchristlichen Märtyrerakten deutlich, dass die dort genannten christlichen Soldaten den Verbleib in der römischen Armee nicht verweigerten, weil sie den Dienst an der Waffe oder das Blutvergießen ablehnten, sondern wegen der für alle Soldaten obligaten Teilnahme an religiösen Zeremonien (unter anderem des Kaiserkultes), die in ihren Augen Idolatrie darstellten (195).

Im folgenden Kapitel zeichnet der Autor die Veränderungen nach, welche die offizielle Einstellung der römischen Institutionen zu den Christen im Laufe der Zeit erfuhr (219-277). Shean will hier vor allem die beiden aus vielen Hollywood-Sandalenfilmen vertrauten Bilder der sich in den Katakomben zusammenkauernden kleinen Christengemeinde und der in der Arena standhaft den Tod erleidenden Märtyrer entkräften. Seiner Ansicht nach haben diese Bilder nicht nur das allgemeine Publikum, sondern auch Fachleute beeinflusst (221f.).

Das Verhältnis von Kirche und Staat im vierten Jahrhundert wird im siebten Kapitel untersucht, während das achte Kapitel sich mit der Integration von Barbaren in die römische Armee beschäftigt und deren Christianisierung (als Voraussetzung für den Eintritt in die Armee) als Integrationsfaktor nennt (357). Im letzten Kapitel werden die Folgen der Bekehrung für den römischen Staat dargelegt.

Zu den Unzulänglichkeiten der Arbeit zählt die Tatsache, dass die Hauptthese nicht bereits am Anfang des Buches erläutert wird, was den Einstieg in das Thema sehr erleichtert hätte, sondern erst im dritten Kapitel. Auch ansonsten leidet das Buch unter deutlichen Schwächen in Aufbau und Strukturierung. Gelegentlich gewinnt man sogar den Eindruck, das Material wäre in mehreren Aufsätzen mit verschiedenen Schwerpunkten besser aufgehoben gewesen.

Schwer wiegt auch, dass dem Autor bei seiner Literaturrecherche der wegweisende Artikel von Brennecke sowie eine Reihe anderer, relativ neuer Publikationen nicht-englischsprachiger Forscher entgangen sind. Im direkten Vergleich der beiden Arbeiten besticht Brenneckes Artikel durch seine stringentere Argumentation und souveräne Quellenkenntnis, auch wenn er etwas andere Schwerpunkte als Shean setzt.

Alles in allem kann konstatiert werden, dass es auch Shean - scheinbar unabhängig von Brennecke - gelungen ist, eine Reihe von Thesen zu entkräften, die aufgrund vorgefasster Meinungen in einem nur selten bearbeiteten Spannungsraum zwischen Theologie, Alter Geschichte und römischer Militärgeschichte entstanden waren. Die gewonnenen Einsichten beider Autoren ermöglichen ein neues Verständnis der Religiosität der römischen Armee, das als Grundlage für neue Untersuchungen zur spätantiken Armee dienen kann. Auch zeichnen sie ein Bild des antiken Christentums, das deutlich vielgestaltiger und weniger fanatisch war, als oft gedacht. Zudem nimmt der geduldige Leser des Buches von Shean auch eine Fülle an Informationen zum Christentum, den römischen Kaisern, der Armee und dem Staat in der Spätantike mit, die das Bild wesentlich bereichern, aber vor allem auch präzisieren.


Anmerkung:

[1] Hanns Christof Brennecke: "An fidelis ad militiam converti possit"? [Tertullian, de idolatria 19,1]. Frühchristliches Bekenntnis und Militärdienst im Widerspruch? Ursprünglich erschienen in: Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche, Festschrift Ulrich Wickert zum siebzigsten Geburtstag, hg. von Dietmar Wyrwa, Berlin 1997, 45-100. Erneut erschienen in: Hanns Christof Brennecke: Ecclesia est in re publica. Studien zur Kirchen- und Theologiegeschichte im Kontext des Imperium Romanum, hgg. von Uta Heil / Annette von Stockhausen / Jörg Ulrich, Berlin 2007, 179-232.

Stefanie Hoss