Jagat S. Mehta: The Tryst betrayed. Reflections on diplomacy and development, New Delhi: Penguin Books India 2010, xi + 342 S., ISBN 978-0-670-08246-9, USD 11,00
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Archive zur indischen Außenpolitik sind der Forschung nach wie vor weitestgehend verschlossen. Daher sucht man in Monographien zum Thema bislang meist vergeblich nach Verweisen auf Archivalien - auch wenn neuerdings in begrenztem Umfang einiges online zu finden ist. Bis auf die bisher 43-bändige Edition der Papiere des ersten Premierministers Nehru liegen bis heute auch keine Akteneditionen vor, die wenigstens einen Teil dieser Lücke schließen könnten. Damit ist die recht umfangreiche Memoirenliteratur Grundlage aller Analysen zu Entscheidungsprozessen im inneren Zirkel von Neu-Delhi. Erfreulicherweise ist es eine lang etablierte Tradition, dass die ehemaligen Inhaber des höchsten Amtes im Außenministerium (Foreign Secretary) ihre Erinnerungen veröffentlichen. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass so manches aus diesem Genre für Historiker nicht wirklich relevant ist. Wer sich Aufschlüsse zu den ersten drei Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit erhofft, wird beispielsweise bei Y.D. Gundevia, K.P.S. Menon oder T.N. Kaul bestenfalls Atmosphärisches finden. Zu den erfreulichen Ausnahmen zählen die erkennbar auf Grundlage eines gründlichen Aktenstudiums verfassten Memoiren Subimal Dutts. [1]
Unter ihren Nachfolgern haben vor allem J.N. Dixit [2] und eben Jagat S. Mehta lesenswerte Rückblicke veröffentlicht. Letzterer hat als Kenner der schwierigen indisch-chinesischen Beziehungen sowie der verfehlten indischen Afghanistanpolitik bereits zwei bedeutsame Monographien vorgelegt. Negotiating for India [3], eine Sammlung von Fallstudien, in denen Mehta über seine Erfahrungen als Chefunterhändler in Bhutan, China, Uganda, Pakistan, Bangladesch und Nepal berichtete, trug bereits autobiographische Züge. Das neueste Werk ist im Wesentlichen eine Gesamtschau auf das Leben des Autors, die - das sei hier schon vorweggenommen - bedauerlicherweise durch zwei Kapitel ergänzt wurde. In dem einen philosophiert Mehta über die Anforderungen an Diplomaten, im zweiten räsoniert er, weshalb die indische Außenpolitik die in sie gestellten Erwartungen angeblich nicht erfüllt hat.
Es ist auch für den Leser ein glücklicher Zufall, dass Mehta im Laufe seiner Karriere an historischen Wendepunkten mit erstaunlicher Regelmäßigkeit ganz nah am Zentrum der Macht war. Wie die große Mehrheit indischer Spitzenbeamter wurde er gewissermaßen in seine Laufbahn hinein geboren: Die Familie leitete seit Generationen die Geschicke des Fürstenstaates Mewar. Typischerweise absolvierte Mehta einen Teil seines Studiums in England, um die Aufnahmeprüfung zum Indian Civil Service (ICS) zu bestehen. Mit den erstaunlich wenigen Beamten dieses Elitekaders mitsamt dem Militär war es der Kolonialmacht über Jahrzehnte gelungen, Indien unter seiner Kontrolle zu behalten. Für die indigenen Verwaltungseliten und das aufstrebende Bürgertum war die Aufnahme in diesen Dienst die Karrierechance in Britisch-Indien schlechthin. Anders als viele Spitzenbeamte des unabhängigen Indien sammelte Mehta jedoch keine beruflichen Erfahrungen mit den Briten mehr, sondern trat 1947 unmittelbar in den nun indischen auswärtigen Dienst ein. Dieser rekrutierte sich aus altgedienten ICS-Offizieren, einer kleinen Zahl an Militärangehörigen sowie einer kleinen Gruppe, die zum Freundes- oder Verwandtenkreis des Premierministers Jawaharlal Nehru zählten bzw. sich während des Unabhängigkeitskampfes im Ausland verdient gemacht hatten.
Dass der Berufsanfänger sogleich zum Sekretär des mächtigen Secretary General Girija Shankar Bajpai avancierte, war Zu- wie Glücksfall. Mehta erwarb dabei nicht nur intime Kenntnisse der internationalen Beziehungen, sondern auch den Ruf eines Mannes für alle Fälle. Zwei Jahre später war er derjenige, der als Under Secretary Administration die entscheidenden Anstöße zur Schaffung eines gehobenen Dienstes gab, und bereits 1951 wurde er beauftragt, die für die indische Europapolitik seinerzeit wichtige Botschaft in Bern auf Vordermann zu bringen. Während Mehta ausführlich über seine administrative Tätigkeit auf diesem Posten berichtet, sagt er bedauerlicherweise nichts Neues zur Konferenz Nehrus mit den Botschaftern in Europa 1953 auf dem Bürgenstock: Kurz nach dem Tode Stalins und dem Aufstand in der DDR wurde die indische Außenpolitik hier neu justiert. Auch über Mehtas Zeit an der Botschaft in London unter Nehrus Schwester Vijaya Lakshmi Pandit hätte man gerne mehr erfahren, erlebte der Autor dort doch auch die Suez-Krise mit.
Unterbrochen nur von einem belanglosen zweijährigen Intermezzo in Bonn avancierte Mehta für zehn Jahre zum China-Spezialisten, der an allen wichtigen Verhandlungen über den Grenzverlauf beteiligt war. Während der Grenzkonflikt selbst auch schon anderweitig gut untersucht wurde, sind bei Mehta insbesondere die Analysen zu Indiens hegemonialer Politik gegenüber den kleineren Nachbarstaaten ausgesprochen lesenswert, auch weil er diese Politik eben nicht als selbstverständlich setzt. Selbiges gilt für den mühsamen Wiederanfang nach dem Grenzkrieg 1962 im feindlich gesinnten Beijing. Es war genau diese intellektuelle Unabhängigkeit Mehtas, die zum ersten Karrierebruch führte: Er wurde 1970 nach Tansania versetzt, also auf einen Kontinent, der abgesehen von Ägypten und Südafrika für Indien bis dato ein weißer Fleck auf der Landkarte gewesen war. Unerwarteterweise tat sich Neu-Delhi damit selbst einen Gefallen. Mehta erwies sich auch hier als Macher, der erstmals eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit Indiens mit einem afrikanischen Land zustande brachte, die Signalwirkung für den Kontinent hatte, in dessen Osten indische Händler über Jahrhunderte eine wichtige Rolle gespielt hatten.
Zurück in Neu-Delhi wurde Mehta 1976 zum Foreign Secretary befördert und mitten in die heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen um den Ausnahmezustand hineingezogen, den die wegen Wahlbetrugs verurteilte Indira Gandhi im Jahr zuvor ausgerufen hatte. Die massiven Loyalitätskonflikte des überzeugten Demokraten, der nun in leitender Funktion eine quasi-diktatorische Regierung vertreten musste und fortwährend von alten Freunden nach seiner eigenen Meinung befragt wurde, sind in ausgesprochen glaubwürdiger Form dargestellt. Das Ideal eines unpolitischen Berufsbeamtentums wurde endgültig ad absurdum geführt, als im März 1977 die Opposition die Wahlen gewann und das Außenministerium als "neue" Linie genuine Non-Alignment propagieren musste, ohne dass sich am Kurs der indischen Außenpolitik Nennenswertes geändert hätte: Obwohl sich Mehta in der Öffentlichkeit konsequent jedes Kommentars enthielt, wurde er letztlich von einer Übergangsregierung aus dem Amt gedrängt, weil man ihn verdächtigte, mit Indira Gandhi zu sympathisieren. Die folgenden Jahre in diversen akademischen Institutionen sind für eine breitere Öffentlichkeit sicher nur von geringem Interesse.
Es gibt einiges in diesen Erinnerungen, worüber man gerne sehr viel mehr erfahren hätte. Und es gibt Kapitel, die schlichtweg überflüssig sind, wie z.B. die Betrachtungen über die Qualifikationen eines Diplomaten. Hier bramarbasiert ein erkennbar sehr alter Mann über Banalitäten. Ermüdend, aber bei Angehörigen dieser Generation wohl unvermeidlich, ist das ewige Lamento über die Teilung Britisch-Indiens in die Indische Union und Pakistan. Indiens politische Eliten täten gut daran, mit den Realitäten leben zu lernen, statt dem Was-wäre-wenn nachzuhängen. Zugleich enthalten diese Memoiren viel Erfrischendes: Nehru ist hier endlich einmal weder der Säulenheilige noch derjenige, der Indiens Chancen allesamt verspielt hat. Während ihm Mehta fundamentale Fehler im Vorfeld der Unabhängigkeit, bei der Auswahl seiner Berater und in der Chinapolitik vorhält, lässt er ihm zugleich seine Erfolge, sein Charisma und die unglaubliche Disziplin. Einblicke in das Innenleben der indischen Diplomatie, die Organisation des auswärtigen Dienstes, das Funktionieren von Missionen findet man in dieser Qualität selten. Und für die Anfänge der indischen Afrikapolitik wie die Dilemmata Ende der siebziger Jahre sollte man unbedingt auf dieses Buch zurückgreifen. Um Mehtas Eingangsstatement wieder aufzugreifen, dass Indien angeblich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist: Immerhin hat es offenbar unabhängige Denker in leitenden Funktionen hervorgebracht. Die gängigen Klischees - die indische Außenpolitik sei phlegmatisch, farb- und ideenlos - widerlegt der Autor ohne jegliche Selbststilisierung.
Anmerkungen:
[1] Subimal Dutts: With Nehru in the Foreign Office, Calcutta 1977.
[2] J.N. Dixit: My South Block Years, New Delhi 1996.
[2] Jagat S. Mehta: Negotiating for India. Resolving Problems through diplomacy. Seven case studies, 1958-1978, New Delhi 2006.
Amit Das Gupta