Guido Braun (Hg.): Assecuratio pacis. Französische Konzeptionen von Friedenssicherung und Friedensgarantie 1648-1815 (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte; 35), Münster: Aschendorff 2011, 366 S., ISBN 978-3-402-14763-4, EUR 48,00
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Guido Braun / Antje Oschmann / Konrad Repgen (Bearb.): Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Teilband 2: Materialien zur Rezeption, Münster: Aschendorff 2007
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Konzentrierte sich die Geschichte frühneuzeitlicher Außenbeziehungen lange Zeit auf Krisen und Konflikte, so sind in den letzten zwanzig Jahren vermehrt die "Kunst des Friedensschließens" und die Praxis des Friedens in den Fokus der Forschung gerückt. Frieden gilt dabei nicht mehr bloß als durch die Abwesenheit von Krieg definierter Zustand, sondern als eine gestalt- und damit auch wandelbare Form politischer Beziehungen. Gerade für eine Epoche wie die europäische Frühe Neuzeit, die durch ein hohes Maß an Bellizität gekennzeichnet war, stellt die Art und Weise, wie die außenpolitischen Akteure die Modalitäten friedlicher Koexistenz verhandelten, einen reizvollen und noch bei weitem nicht ausgereizten Untersuchungsgegenstand dar. Dies zeigen auch die Beiträge im zu besprechenden, von Guido Braun herausgegebenen Band zum Thema französischer Konzeptionen der Friedenssicherung und -garantie vom Westfälischen Frieden bis zum Wiener Kongress.
Der Sammelband, diese Wertung sei bereits vorweggenommen, zeichnet sich durch ein hohes Maß an Leserfreundlichkeit aus. Sechzehn auf einen interdisziplinären Studientag am Deutschen Historischen Institut Paris zurückgehende und bereits online auf Französisch publizierte Beiträge [1] werden nun allesamt in deutscher Übersetzung zugänglich gemacht, was die Rezeption in der deutschsprachigen Forschung erheblich erleichtern dürfte. Dies ist nicht zuletzt deshalb besonders verdienstvoll, weil wesentliche Impulse des eingangs erwähnten Perspektivenwechsels hin zur Praxis des Friedens von der französischen Diplomatiegeschichte ausgingen, von der einige prominente Vertreter auch unter den Autoren zu finden sind. Das Buch ist in vier Hauptteile gegliedert, wobei die ersten drei Teile jeweils einer zeitlichen Periode und der letzte Teil Theorien der Friedenssicherung bei französischen und deutschen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts gewidmet sind. Zusätzlich erleichtert wird die Orientierung im Band durch die zusammenfassenden Kommentare zu jedem Teil und ein abschließendes Namensregister.
In der Einleitung kontextualisiert und synthetisiert der Herausgeber die Beiträge und präsentiert den Frieden als "politische Leitvorstellung in der Frühen Neuzeit". Wie im Titel versprochen, gilt dabei ein besonderes Augenmerk den neuen Strategien der Friedenssicherung, die ab dem 17. Jahrhundert entworfen und erprobt wurden. Braun unterscheidet dabei sieben verschiedene zeitgenössische Konzeptionen der Friedenserhaltung (22-37): 1. "supranationale" Konzeptionen einer auf einer übergeordneten Machtstellung fußenden Ordnung wie das weiterhin präsente Modell der Universalmonarchie; 2. Systeme kollektiver Sicherheit, wie sie etwa Richelieu mit seinen Ligaprojekten entwarf; 3. Vorschläge, die in Richtung einer grundlegenden Reform des Staatensystems unter einer Art gemeinschaftlicher Verfassung gingen, etwa jene des Abbé de Saint-Pierre; 4. Garantiebestimmungen in Friedensverträgen wie im Fall des Westfälischen Friedens; 5. fortlaufende Friedensverhandlungen und -exekutionen im Rahmen der Diplomatie; 6. multilaterale Friedenskongresse, die sich als effizientes Mittel zur Wiederherstellung von Frieden erwiesen, und 7. Formen der Mediation wie Schiedsgerichte oder die Vermittlung durch einen unbeteiligten Dritten.
Mehreren dieser Friedenssicherungsstrategien begegnen wir in den folgenden Beiträgen am französischen Beispiel wieder. Der Entwurf Kardinal Richelieus einer italienischen und deutschen Fürstenliga zum Schutz Frankreichs vor habsburgischen Angriffen war, wie dabei nachgewiesen wird, als System kollektiver Sicherheit weder gänzlich ubiquitär (Rainer Babel) noch besonders prägend für das Agieren der französischen Diplomatie am Westfälischen Friedenkongress (Guido Braun). Die Franzosen versuchten vielmehr, die von ihnen angestrebte "sûreté" mit den Garantiebestimmungen für den Frieden im Reich, mit einem - dann freilich nie in Kraft getretenen - Garantieabkommen mit den Generalstaaten und mit der Trennung der beiden habsburgischen Linien zu erreichen. Leider schließt sich hier kein Beitrag zur französischen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber dem Reich in den Jahrzehnten nach dem Westfälischen Frieden an: Die verschiedenen Rollen Ludwigs XIV. als "neutraler" Friedensgarant, Protektor einzelner Reichsstände, einflussreicher Mitspieler im Vorfeld der Kaiserwahl und expandierender Kriegsherr wären in ihrem ambiguen Wechselspiel einer über die Beschreibung der persönlichen Rivalität mit Leopold I. hinausgehenden Analyse wert gewesen. [2]
So finden wir uns relativ unvermittelt im frühen 18. Jahrhundert wieder, wo, wie Lucien Bély aufzeigt, am Friedenskongress in Utrecht mit dynastischen Regelungen und militärischen Barrieren die Idee einer "Balance der Mächte" verwirklicht werden sollte. Besonders hervorgehoben sei hier der anschließende Beitrag von Éric Schnakenbourg zur diplomatischen Strategie der französischen Regentschaft. Er zeigt eindrücklich auf, wie der Abbé Dubois maßgeblich dazu beitrug, zwischen den Großmächten ein Geflecht von Garantieabkommen und Defensivallianzen zu schaffen, das sich in der Tat als kollektives Sicherheitssystem bezeichnen lässt. Sven Externbrink unternimmt sodann eine Neudeutung der Zeitspanne vom Ende des Siebenjährigen Kriegs bis zu den Revolutionskriegen als Periode von bisher ungekannter Stabilität und Frieden, gerade aus Sicht der geschwächten, mit einer vorsichtigen Sicherheitspolitik aber zumindest nach außen hin langsam wiedererstarkenden französischen Monarchie. Nach der turbulenten Periode von 1792 bis 1815 war es schließlich, wie Emmanuel von Waresquiel zeigt, der französische Außenminister und Meisterdiplomat Talleyrand, dem es aus einer schwachen Verhandlungsposition heraus gelang, mithilfe des Prinzips dynastischer Legitimität nicht nur den territorialen Fortbestand Frankreichs zu sichern, sondern auch zur Schaffung eines recht dauerhaften Friedens beizutragen.
Angesichts des beachtlichen Apparats an Friedenssicherungsstrategien und des hohen Wertes, der dem Frieden in zeitgenössischen Diskursen zugemessen wurde, mag es fast schon erstaunen, dass die Frühe Neuzeit in ihrer zweiten Hälfte nicht friedlicher war. Doch konnten paradoxerweise gerade auch Friedensvorstellungen den Krieg befördern, wenn sie sich inhaltlich widersprachen, wie etwa der Beitrag von Thierry Lentz am Beispiel des Aufeinanderprallens von Napoleonischem "System" und englischem Balance-Denken andeutet. Und auch innerhalb desselben Denkrahmens konnte Konfliktpotential angelegt sein: So war das Prinzip des "Gleichgewichts der Mächte", das um 1700 zu einem "Gemeinplatz" der politischen Sprache aufstieg (Bruno Bernardi), in Kriegserklärungen wie Friedensschlüssen des 18. Jahrhunderts gleichermaßen als Zielvorstellung präsent. Der konzise Beitrag von Olaf Asbach sieht in ihm denn auch weniger ein Instrument zur Verwirklichung eines umfassenden Friedens und Rechts als vielmehr eine Metapher zur Beschreibung eines Systems, das auf die Konkurrenz monadischer, prinzipiell freier und gleicher Akteure ausgerichtet war: "Es konzeptualisiert die Ruhe, die Stabilität und den friedlichen Zusammenhang der vielen Staaten zu einem harmonischen Ganzen in einer Weise, in der mit ihm mühelos Krieg als Reaktion auf die eingetretene oder drohende Gefährdung desselben gerechtfertigt werden kann" (348).
Angesichts des Fehlens von übergeordneten Institutionen und allgemein verbindlichen völkerrechtlichen Regelungen war damit auch vertraglichen Friedensgarantien in der Regel nur so lange ein Leben beschieden, wie sie den unmittelbaren Interessen der außenpolitischen Akteure entsprachen. Deshalb wird man künftig nicht umhin kommen, Strategien und Konzepte der Friedenssicherung und Friedensgarantie noch stärker in der "alltäglichen" Praxis politischer Außenbeziehungen zu suchen, das heißt auch abseits von großen Friedensschlüssen und der sie begleitenden Publizistik. In Bezug auf Frankreich böte sich dabei insbesondere ein genauerer Blick auf den Umgang mit den benachbarten politischen Entitäten an, und zwar auch in Zeiten des Krieges. Mit bemerkenswerter Konstanz engagierte sich die französische Diplomatie etwa aus sicherheitsstrategischen Überlegungen heraus gegenüber der im Band nur kursorisch gestreiften (310) Eidgenossenschaft für den Ausgleich zwischen Orten und trug damit nicht unwesentlich zum Fortbestand des heterogenen, nach außen hin neutralen Bündnisgeflechts bei.
Diese Desiderata beeinträchtigen freilich nicht das positive Gesamturteil zu diesem umsichtig komponierten und über weite Strecken wohltuend stringent an einer Fragestellung orientierten Sammelband. Vielmehr ist dem Werk zugutezuhalten, nicht nur neue Maßstäbe, sondern auch wichtige Impulse für die künftige Erforschung von Konzepten und Praktiken der Friedenssicherung im frühneuzeitlichen Europa gesetzt zu haben.
Anmerkungen:
[1] Vgl. http://www.perspectivia.net/content/publikationen/discussions/4-2010 (letzter Zugriff 27.4.2012).
[2] Das Forschungsdesiderat wird auch vom Herausgeber erkannt (129 f.). Die vor dem Abschluss stehende Dissertation von Tilman Haug dürfte diesbezüglich bald neue Aufschlüsse bieten; vgl. demnächst dessen Beitrag in der Zeitschrift für Historische Forschung 39/2 (2012).
Nadir Weber