Matthew S. Witkovsky (ed.): Light Years. Conceptual Art and the Photograph, 1964-1977, New Haven / London: Yale University Press 2011, 264 S., ISBN 978-0-300-15971-4, USD 60,00
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Dass die künstlerische Fotografie zur Mitte der Sechziger- und in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts einen tief greifenden Wandel erfahren hat, ist in den vergangenen Jahren vielfach und aus verschiedenen Perspektiven in der neueren kunsthistorischen Literatur betont worden. [1] Deswegen durfte man gespannt sein, wie nun die Publikation Light Years. Conceptual Art and the Photograph, 1964-1977 zur gleichnamigen Ausstellung des Art Institute of Chicago neue Akzente setzen oder gar Entdeckungen ermöglichen würde. Es handelt sich um einen gut und großzügig bebilderten Band, der einen allgemeinen Überblickstext des Herausgebers Matthew Witkovsky sowie exemplarische Analysen von Mark Godfrey, Joshua Shannon, Robin Kelsey, Giuliano Sergio und Anne Rorimer sowie eine knappe Bibliografie zum historischen Kontext und zu einzelnen künstlerischen Positionen enthält.
Erstaunen mag der Titel des Unternehmens auslösen: Warum geht es um den Fotografen und nicht um das Medium der Fotografie? Eine Frage, die im vorliegenden Band leider nicht thematisiert wird. Und weiter: Wodurch wird der historische Rahmen genau begründet? Auf eben diese Frage geht Witkovsky gleich zu Beginn seines Beitrags ein und verweist auf zwei fototheoretische Publikationen, zum einen auf Roland Barthes Rhetoric of the Image (1964), zum anderen auf Rosalind Krauss Notes on the Index (1977) (16). Man mag auch rückblickend zweifeln, ob der Stellenwert dieser beiden Aufsätze wirklich so entscheidend war. Bezeichnenderweise belegen auch die Ausführungen von Witkovsky, der nach der forschen Behauptung erst am Ende seines Textes den fototheoretischen Rahmen wieder aufgreift (23), dass sich dieses Zeitfenster nur schwer mit der tatsächlichen künstlerischen Genese der Fotografie jener Zeit verbinden lässt. Den Beginn des "photoconceptual movement" (18) datiert er schließlich auf das Jahr 1966 und verweist auf paradigmatische Werke von Giulio Paolini, Dan Graham, Mel Bochner und Bruce Nauman.
Im Blick auf den amerikanischen Diskurs überzeugen Witkovskys kunsthistorische Beispiele und auch das Jahr 1977 als Schlusspunkt der vielfältigen Beziehung zwischen Conceptual Art und Fotografie scheint absolut plausibel. Zu Recht verweist Witkovsky hier auf den Einschnitt, den die von Douglas Crimp kuratierte Ausstellung Pictures markiert. [2] Denn die Rezeption der sogenannten "Appropriation Art" offenbart das Missverständnis einer vermeintlichen Bilderlosigkeit, die von einigen Conceptual artists proklamiert wurde, und zeigt, dass die Bildkritik als ein immanentes Thema des Bildes immer noch möglich war. Im Hinblick auf das Jahr 1977 wäre es überdies auch sinnvoll gewesen, auf die Documenta 6 hinzuweisen, bei der ja 1977 eine eigene Sektion mit Fotografie eingerichtet wurde. In eben diesem Zusammenhang wurde - völlig ungewöhnlich für eine Documenta - aus europäischer Sichtweise eine retrospektiv angelegte Fotogeschichte in Ansätzen wieder aufgearbeitet.
Genau an dieser Stelle wird ein altes, aber nach wie vor grundlegendes Defizit des akademischen Diskurses wieder offensichtlich, weil der unterschiedliche Verlauf der amerikanischen Fotohistorie nach 1945 im Vergleich zu Europa in der angelsächsischen Literatur kaum wahrgenommen wird. Dem entspricht es auch, dass Christine Mehring in ihrer Ausstellungsbesprechung dieses Projekts zu Recht darauf hingewiesen, dass europäische Künstler bei diesem fotohistorisch doch so grundlegenden Überblick nicht angemessen vertreten seien. [3] Und obgleich das vorliegende Buch einen wirklich konzisen Beitrag von Giuliano Sergio über die italienische Fotografie in und nach der Art Povera enthält (163-171), wird die Unterbelichtung oder weitgehende Ausblendung französischer, niederländischer und gar deutscher Künstler nur um so augenfälliger. Diesen Mangel eines unzureichenden transatlantischen Dialogs hätte man leicht im Vorfeld vermeiden können. Immerhin sind mit der Ungarin Dorá Maurer, dem Bosnier Braco Dimitrijević und dem Slowaken Rudolf Sikora zumindest drei Bildbeispiele aus dem osteuropäischen Kontext aufgenommen worden, die man ansonsten nicht in den einschlägigen Publikationen zum Thema findet und die einen globaleren Horizont immerhin andeuten.
Doch sollen diese kritischen Detail-Bemerkungen den Gesamtwert der Publikation nicht unangemessen schmälern: Light Years liefert insgesamt einen wirklich hilfreichen Überblick über den amerikanischen (und italienischen) Diskurs zum Thema fotokonzeptualistischer Kunst - sowohl im Hinblick auf die einschlägigen Bildbeispiele als auch auf im Hinblick auf die fundierten Texte, die vor allem im Falle der Einzelstudien zu Douglas Huebler (90-97) und John Baldessari (134-144) wirklich originelle neue Einsichten liefern. Nicht zuletzt deshalb sollte der Band in einem versierten kunsthistorischen Bücherregal neben dem material- und quellenreicheren Buch The Last Picture Show aus dem Jahr 2003 stehen [4], den es - bei allen Schwächen - wunderbar ergänzt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B.: Douglas Fogle (ed.): The Last Picture Show: Artist using photography, 1960-1982 (Ausstellungskatalog Minneapolis, Walker Art Centers 2003), Minneapolis 2003; John Roberts (ed.): The Impossible Document: Photography and Conceptual Art in Britain, 1966-1976, London 1997; Margaret Iversen / Diarmuid Costello (eds.): Photography after Conceptual Art, London 2010.
[2] Vgl. zuletzt: Douglas Eklund (ed.): The Pictures Generation, 1974-1984 (Ausstellungskatalog New York, The Metropolitan Museum of Art 2009), New York 2009.
[3] Vgl. Christine Mehring: Conceptual Atlantic. On "Light Years: Conceptual Art and the Photograph: 1964-1977" at the Art Institute of Chicago, in: Texte zur Kunst 85 (2012), 230-233.
[4] Vgl. Anm. 1.
Stefan Gronert