Barbara Korte / Sylvia Paletschek (eds.): Popular History Now and Then. International Perspectives (= Historische Lebenswelten in populären Wissenkulturen; Vol. 6), Bielefeld: transcript 2012, 306 S., ISBN 978-3-8376-2007-8, EUR 35,80
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Seit mehreren Jahrzehnten bereits erlebt Geschichte eine bemerkenswerte Konjunktur. Dies gilt fraglos für Geschichte als Wissenschaft, aber mehr noch für Geschichte als Politikfeld, auf dem das Gestern mit eigenen Interessen befrachtet und im Tagesgeschäft um historische Deutungsmacht als Instrument für das Heute eingesetzt wird, für Geschichte als Erinnerungslandschaft, in die Schulbücher und andere Lesestoffe, Populärkultur und Massenmedien, Ausstellungen und Gedenkevents vielfältigste Wegmarken setzen oder auch für Geschichte als kulturelle Praxis und Zeitvertreib für Menschen mit anhaltendem Appetit auf Historisches jedweder Spielart. Den Lesern vor Augen zu führen, dass die gegenwärtige Nachfrage nach Geschichte keineswegs ein beispielloses Phänomen ausmacht, dass sich vielmehr schon für das 19. und 20. Jahrhundert immer wieder Perioden anschwellender Aufmerksamkeit für Vergangenes aufzeigen lassen: darin besteht das eingangs ausdrücklich formulierte Ziel des vorliegenden Sammelbandes.
Hervorgegangen aus einer Freiburger Tagung der DFG-Forschergruppe "Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart" im Juli 2010, vereint das Buch vierzehn Beiträge zu Chancen und Schranken, zu Inhalten und Medien, zu Genres und Funktionen von Populärer Geschichte aus der Feder von Historikern, Sozialanthropologen, Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaftlern. Elf davon sind fallstudienartig angelegt und liegen räumlich, zeitlich wie thematisch weit auseinander. Drei weitere Artikel bilden den Rahmen. Einmal das Nachwort von Jerome De Groot, das anhand jüngerer Fernsehbeispiele das doppelte transnationale Spannungsverhältnis behandelt zwischen Formaten mit einem zielgerichteten, häufig nationalhistorischen Narrativ, den Zwängen eines globalen Populärkultur- und Medienmarktes sowie den lokalen Aneignungspraktiken von Publiken in verschiedensten Teilen der Welt. Dann der Beitrag von Stefan Berger, der schlaglichtartig das Verhältnis von Berufshistorikern zur Populären Geschichte beleuchtet, die derzeitige Pluralisierungstrends von Geschichte(n) begrüßt und an die Wissenschaft appelliert, die Elfenbeinturmmentalität gänzlich abzulegen und in einen fruchtbaren Dialog mit Populärer Geschichte einzutreten. Schließlich die Einleitung der beiden Herausgeberinnen, zugleich Sprecherinnen der Freiburger Forschergruppe, die freilich mit knapp vier Textseiten - und anders als beim Vorgängerband "History Goes Pop" [1] - recht kursorisch daherkommt. Selbst auf ein begriffliches Vorklären von "Popular History" wird verzichtet, obwohl doch Sylvia Paletschek an anderer Stelle eine Arbeitsdefinition in zugleich mustergültiger Prägnanz und Weite vorgeschlagen hat: "representations of history in written, visual, artefactual and personal forms of presentation adressing a broad, non-expert audience". [2]
Aufgefangen wird das Manko zum einen durch die beiden anderen Rahmenartikel von Stefan Berger und Jerome De Groot, zum anderen durch die Tatsache, dass die Autoren fast sämtlicher Beiträge in den einführenden und abschließenden Passagen darauf achten, das jeweilige Thema an zentrale Leitfragen der Populären Geschichte rückzubinden und den Mehrwert herauszuarbeiten, den eine Beschäftigung mit früheren oder aktuellen Popularitätswellen von Geschichte mit sich bringt. Birte Förster z.B., die sich der Rolle weiblicher Akteure für kollektive Gedächtnis- und nationale Identitätsentwürfe durch Popularisierung eines Königin Luise-Mythos widmet, verwendet gut ein Drittel des Textes darauf, "Popular History" zu konzeptualisieren und die eigene Fallstudie darin zu kontextualisieren. Dass ein solch breites Verorten der Einzelbeiträge im Forschungsfeld durchaus Sinn macht, hat auch mit deren räumlicher, zeitlicher wie thematischer Streuung zu tun: die Faszination des viktorianischen Englands für das Assyrerreich (Billie Melman); das lebenslange "Infizieren" mit populärer britischer Geschichte dank des boomenden Zeitschriftenmarktes (Leslie Howsam); Ähnlichkeiten und Unterschiede popularisierter Geschichtspräsentation in britischen und deutschen Familienzeitschriften (Barbara Korte / Sylvia Paletschek); die Möglichkeiten und Hindernisse des Archivzugangs in Bayern (Philipp Müller); die Kanonisierung von Kriegs- und anderen Helden in britischen Gedichtanthologien (Stefanie Lethbridge); der kultivierte Entstehungsmythos des sog. Barbershop Singing in den Vereinigten Staaten der 1940er Jahre (Frédéric Döhl); die Blüte populärer Geschichtszeitschriften für die aufstrebende (nord-)italienische Mittelklasse zu Zeiten des "miracolo economico" der 1960er Jahre (Antoine R. Wiedemann); die Veränderungen europäischer Vorstellungen über Don Juan de Austria, den Helden der Seeschlacht von Lepanto 1571 (Fernando Sánchez-Marcos); der Wandel staatlicher Geschichtspolitik und -bilder in der Elfenbeinküste nach Beginn des Bürgerkriegs 2002 (Till Förster); Fotos als dynamische Formen der Aneignung vergangener Zeiten in Foto-Alben des 19. und 20. Jahrhunderts (Susan A. Krane).
Deutlich wird in der Zusammenschau, dass der aktuelle Geschichtsboom tatsächlich kein Novum darstellt und bereits im 19. und 20. Jahrhundert - unter jeweils spezifischen Rahmenbedingungen, was Raum und Zeit, Politik und Gesellschaft, Kultur und Medien angeht - Schübe popularisierter Geschichtspräsentationen zu verzeichnen sind. Dabei hat offenbar ein Mehr oder Weniger an verfügbaren Grundbeständen populärer historischer Kenntnisse nur bedingt mit den Absichten institutioneller Geschichtsproduzenten zu tun, entsprechendes Wissen unter die Leute zu bringen. Vielmehr gilt es informelle Produktions-, mehr noch Diffusions- und Rezeptionsmuster angemessen zu berücksichtigen, die sich häufig in eng miteinander vernetzten populärkulturellen Medienformaten und Ausdrucksformen manifestieren und der individuellen oder gruppenspezifischen, jedenfalls selektiv-kreativen Aneignung und alltagsrelevanten Sinnzuweisung durch Menschen unterliegen. Wie verschieden solche Formate und Formen populärer historischer Wissensvermittlung nach Gehalt und Gepräge im Zeitverlauf sein können, das zeigen die Artikel des vorliegenden Sammelbandes ebenso nachdrücklich auf wie deren potentielle Rolle als Instanzen gesellschaftlicher und kultureller Demokratisierungs- und Pluralisierungsprozesse. Dass ein Buch, das anhand greifbarer empirischer Befunde erste Einblicke in ein noch junges, zugleich zukunftsweisendes Forschungsfeld "Popular History" bieten will, nicht gleich alle Leserwünsche befriedigen kann, wird niemanden verwundern und seitens der Herausgeberinnen auch nicht verschwiegen. Zweierlei wäre jedenfalls wünschenswert: zum einen künftig intensiviert über die Machbarkeit von Rezeptionsanalysen historischer Wissensvermittlung durch Populärkultur und Massenmedien nachzudenken; zum anderen mögliche Themenbereiche und Fallstudien konsequenter vergleichs-, transfer- und verflechtungshistorisch zu dimensionieren. Zwar finden sich in dem ein oder anderen Text implizite Anleihen an eine transnationale Geschichte, explizit und methodenbewusst in diese Richtung weist jedoch lediglich der Beitrag von Barbara Korte und Sylvia Paletschek über britische und deutsche Familienzeitschriften um die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die gut 50-seitige Einleitung in: Barbara Korte / Sylvia Paletschek (Hgg.): History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009.
[2] Vgl. Sylvia Paletschek: Introduction: Why Analyse Popular Historiographies?, in:, dies. (ed.): Popular Historiographies in the 19th and 20th Centuries: Cultural Meanings, Social Practices, Oxford 2010, 1-18 (4).
Dietmar Hüser