Catherine Coquery-Vidrovitch: Enjeux politiques de l'histoire coloniale, Marseille: Agone 2009, 190 S., ISBN 978-2-7489-0105-4, EUR 13,99
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Felix Brahm: Wissenschaft und Dekolonisation. Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930-1970 (= Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 33), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 337 S., ISBN 978-3-515-09734-5, EUR 49,00
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Olivier Dard / Daniel Lefeuvre (éds.): L'Europe face à son passé colonial (= Actes académiques), Paris: Riveneuve 2009, 399 S., ISBN 978-2-914214-55-1, EUR 26,00
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Fabian Klose: Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. Die Dekolonisierungskriege in Kenia und Algerien 1945-1962, München: Oldenbourg 2009
Roland Burke: Decolonization and the Evolution of International Human Rights, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2010
Robin A. Butlin: Geographies of Empire. European Empires and Colonies c.1880-1960, Cambridge: Cambridge University Press 2009
Lori Watt: When Empire Comes Home. Repatriation and Reintegration in Postwar Japan, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2009
Nahezu alle europäischen Länder, die sich am Kolonialismus aktiv beteiligt hatten, erlebten seit dem Ende des Kalten Krieges wenigstens eine große öffentlichkeitswirksame Debatte über dieses zentrale Kapitel europäischer Geschichte. Allen voran in Frankreich tobt, insbesondere seit dem gemeinhin bekannten Schulgesetz vom Februar 2005, ein regelrechter "Krieg der Erinnerungen", wie es Benjamin Stora formuliert hat [1], in dem Intellektuelle, Nachkommen, Einwanderer, Politiker und nicht zuletzt Historiker über den Stellenwert der Kolonialgeschichte für die nationale Geschichte bzw. Identität erbittert streiten. Insbesondere die Frage, wie der Kolonialvergangenheit angemessen erinnert werden soll, entzweit dabei die französische Gesellschaft. Gerade in Frankreich, aber auch in anderen europäischen Ländern, sind diese Debatten stark normativ aufgeladen: Während die einen angebliche Tabus brechen und Verschleierungen aufdecken wollen, um die Grausamkeit kolonialer Herrschaft endlich ans Tageslicht zu bringen, verweisen andere auf vermeintliche Wohltaten des Kolonialismus und lehnen jegliche Reuebekundungen entschieden ab.
Dass die Kolonialgeschichte europäischer Länder im 21. Jahrhundert wieder oder eher erstmals ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit rückt, hat vielerlei Gründe - einer davon liegt jedoch sicherlich in der Art und Weise, wie dieses Thema innerhalb der Geistes- und insbesondere der Geschichtswissenschaften im Laufe des 20. Jahrhunderts behandelt wurde. Diesen Schluss legen zumindest die drei zu besprechenden Bücher implizit oder explizit nahe. Im schmalen, äußerst lesenswerten Band Enjeux politiques de l'histoire coloniale, der vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Debatte entstanden ist und teils einzelne Aufsätze der Autorin zu dem Thema zusammenführt, vertritt Catherine Coquery-Vidrovitch die Auffassung, dass es in Frankreich seit mehr als 50 Jahren eine mehr oder weniger kritische Kolonialgeschichtsschreibung gegeben habe, die allerdings kaum in die Öffentlichkeit gedrungen sei. Sie teilt die Kolonialhistoriographie in drei Phasen ein: eine erste Phase der Kolonialgeschichte zwischen 1960 und 1975, die in Auseinandersetzung mit der vorher herrschenden hagiographischen Tradition die Geschichte der Kolonisatoren in den Blick nahm und dabei soziale und wirtschaftliche Dimensionen des französischen Kolonialismus akzentuierte; eine zweite Phase zwischen 1975 und 1990, in der in erster Linie die in den sogenannten aires culturelles vereinigten Disziplinen stärker die Geschichte der Kolonisierten in den Blick nahmen, während sich die Geschichtswissenschaft selbst ganz auf eine hexagonal umrissene Nationalgeschichte konzentrierte; eine dritte Phase schließlich seit 1990, in der es zur Auseinandersetzung und bisweilen auch zum offenen Konflikt zwischen diesen beiden Lagern kam. Aufschlussreich an Coquery-Vidrovitchs Darstellung ist zum einen, dass die erste Phase zwar mehrheitlich, aber keineswegs ausschließlich von konservativen Historikern geprägt wurde und sich schon früh ein kleiner Kreis kritischer Kolonialhistoriker um Henri Brunschwig und Charles-André Julien bildete. Zum anderen kann sie überzeugend darlegen, dass die jüngste Generation kritischer französischer Kolonialhistoriker/innen mit ihren Forderungen nach einer "neuen" Kolonialgeschichte aus der Perspektive der indigènes die Forschungen der Regionalwissenschaften in den 1970er und 1980er Jahren nicht ausreichend zur Kenntnis genommen hat. Zugleich ist es ebendieser, von Konzepten der postcolonial studies und der Globalgeschichte inspirierten Generation zu verdanken, dass anders als vor 1990 ganz bewusst die Auseinandersetzung mit der nationalen Geschichtsschreibung gesucht wird, um die Geschichte des französischen Kolonialismus als gemeinsame Geschichte der Kolonisatoren und Kolonisierten zu konzeptualisieren. Die gesellschaftspolitische Debatte findet somit ihr Äquivalent in und vermischt sich zugleich mit der innerakademischen Auseinandersetzung, was den teils harschen Ton erklärt, der dabei von manchen Protagonisten angeschlagen wird.
Während Coquery-Vidrovitch also klar die These zurückweist, wonach die Kolonialgeschichte bislang im Wesentlichen ungeschrieben sei, macht sie zugleich deutlich, dass deren Erträge den meisten Zeitgenossen in Frankreich kaum geläufig sind: In der Schule sei bis zur Dekolonisation ein verzerrtes Bild gezeichnet worden und seitdem der Kolonialismus im Geschichtsunterricht mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Erst in jüngster Zeit seien ernsthafte, gleichwohl zäh verlaufende Initiativen ergriffen worden, die Lehrpläne mit Themen der Kolonialgeschichte anzureichern, was die Autorin am Beispiel der Geschichte des Sklavenhandels eindrücklich belegen kann. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass Coquery-Vidrovitch abschließend eine "non-décolonisation" der französischen Gesellschaft diagnostiziert (166) und für eine - hier pragmatisch umrissene - postkoloniale Geschichtsschreibung eintritt, die der Pluralität der französischen Gesellschaft gerecht wird anstatt "narzisstische nationale Mythen" zu perpetuieren (169).
Einen ausführlicheren Blick auf inhaltliche Paradigmenwechsel und institutionelle Wandlungsprozesse der Geisteswissenschaften zwischen 1930 und 1970 wirft Felix Brahm in seinem Buch Wissenschaft und Dekolonisation. Innovativ an der aus einer Dissertation hervorgegangenen Studie ist, dass sie zum einen vergleichend die Beschäftigung mit Afrika an französischen und deutsch-deutschen akademischen Einrichtungen untersucht und zum anderen vorschnellen nationalen Stereotypen sozusagen von unten entgegenzuwirken sucht, indem sie sich auf ausgewählte Universitätsstandorte konzentriert: Paris und Bordeaux, Hamburg und Köln sowie Berlin und Leipzig. Eingerahmt in zwei Kapitel zur übergreifenden bzw. interdisziplinären Forschung über Afrika zwischen 1930 und 1945 bzw. 1945 und 1970 rücken im Mittelteil der Studie die Geographie, die Geschichte, die (philologische) Afrikanistik und die Ethnologie in einzelnen Abschnitten in den Fokus. Brahm hebt für Frankreich die enge Verknüpfung von Politik und Kolonialwissenschaft bis 1945 und danach hervor, die sich insbesondere in der anwendungsbezogenen École coloniale in Paris manifestierte. Dank seines lokalen Fokus gelangt er jedoch zu einem differenzierteren Bild, da die Gründung des Bordelaiser Kolonialinstituts in erster Linie auf die Initiative der im Kolonialhandel aktiven ortsansässigen Bürgerschaft zurückging. Das Feld der Kolonialgeschichte in Paris identifiziert Brahm treffend als "Neben- oder 'Ruhestandsbeschäftigung'" einiger Kolonialbeamter bzw. im Zuge der Dekolonisation als "alternativen Arbeitsmarkt" für selbige (87), woraus sich die bereits bei Coquery-Vidrovitch gestreifte hagiographische Tradition erklärt, die in dieser Zeit vorherrschte. Ähnliches wird für die Pariser Ethnologie konstatiert, die allerdings stärker von Nachbardisziplinen beeinflusst und dadurch von größerer Diversität in den Forschungsansätzen gekennzeichnet war.
Den institutionellen Wandel im Nachkriegsfrankreich macht Brahm daraufhin an drei Entwicklungen fest: an der Transformation der Pariser Kolonialschule in ein Ausbildungsinstitut für vornehmlich afrikanische Eliten aus den vormaligen Kolonien 1959; an der maßgeblich von Fernand Braudel und der Rockefeller Foundation vorangetriebenen Einrichtung der aires culturelles an der Sorbonne 1956, die rasch von entwicklungssoziologischen Ansätzen geprägt wurden; schließlich an der geisteswissenschaftlichen Stärkung des Office de recherche scientifique et technique outre-mer. Offen bleibt hier allerdings ebenso wie in der gesamten Studie, in welchem Verhältnis diese Entwicklungen zum konkreten politischen Dekolonisationsprozess standen: 1956 lag die Unabhängigkeit des frankophonen subsaharischen Afrika noch in weiter Ferne, und die Anfang der 1950er Jahre einsetzende Öffnung der Kolonialschule für Studierende aus den Kolonien sollte zunächst die schwächelnde Union française stabilisieren helfen statt ihre Auflösung vorzubereiten. Ungeachtet dessen gelangt Brahm für Frankreich zu der Einschätzung, dass trotz klarer Kontinuitätslinien über 1945 hinweg in den 1950er Jahren nicht nur eine deutliche Intensivierung der akademischen Beschäftigung mit Afrika zu beobachten war, sondern institutionell wie inhaltlich neue Wege in den Geisteswissenschaften beschritten wurden, die grosso modo zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus führten, ein Ergebnis, das sich mit Coquery-Vidrovitchs Darstellung weitgehend deckt.
Den eigentlichen Reiz gewinnt Brahms Analyse durch den Vergleich. Gleich mehrere überraschende Einsichten lassen sich der Studie abgewinnen: Erstens wird dargelegt, dass sich in der Zwischenkriegszeit nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland die afrikawissenschaftliche Forschung ungeachtet des Verlusts der Kolonien konsolidierte und weiter institutionalisierte. Im Bereich der afrikanischen Sprachausbildung seien Berlin und Hamburg sogar weit besser aufgestellt gewesen als der linksrheinische Nachbar. Zweitens kann Brahm weitere Parallelen zwischen den beiden Ländern aufdecken, sowohl hinsichtlich der außeruniversitären Institutionalisierung in den Hauptstädten als auch in Bezug auf die Ausgestaltung der Kolonialwissenschaften in Zentren des Überseehandels: Ebenso wie in Bordeaux kam es auch in Hamburg zu engen Verknüpfungen zwischen Kolonialwirtschaft und den einschlägigen wissenschaftlichen Instituten, und abseits der Hauptstädte gelang es auch leichter, die jeweiligen Institute in die Universitäten zu integrieren.
Drittens - und erst einmal kaum verwunderlich - markierte das Ende des Zweiten Weltkriegs im Gegensatz zu Frankreich eine scharfe Zäsur für die afrikabezogene Wissenschaft in den deutschen Staaten: Die im Nationalsozialismus aktiven Kolonial- und Auslandswissenschaften waren diskreditiert, afrikanische Fragen rückten zunächst ganz allgemein deutlich in den Hintergrund, und die DDR sah sich rasch mit dem Problem eines brain drain gen Westen konfrontiert. Eine fächerübergreifende Forschung zu Afrika etablierte sich in der Bundesrepublik erst mit der Gründung der Vereinigung der Afrikanisten in Deutschland im März 1969. Erst jetzt setzte laut Brahm, deutlich befördert durch die Studentenbewegung der "68er", eine kritischere Auseinandersetzung mit der Kolonialvergangenheit und ansatzweise auch mit der Rolle der Wissenschaften selbst ein. Die "Dekolonisierung" der westdeutschen Afrikawissenschaften wurde demnach in der Bundesrepublik später eingeläutet als in Frankreich und der DDR, und speziell die Geschichtswissenschaft scheint dazu wenig beigetragen zu haben, auch weil die afrikanische Geschichte bis dahin ein Schattendasein fristete: Der erste Professor für Überseegeschichte in Hamburg nach 1945, Egmont Zechlin, der im Nationalsozialismus noch ideologiekonforme Afrikaforschung in Berlin betrieben hatte, widmete sich an neuer Wirkungsstätte verstärkt deutschen Themen.
Insgesamt ist Brahms Studie informativ, gut lesbar und dank verdichtender Zwischenfazits auch leicht zugänglich. In manchen Punkten hätte man sich jedoch eine stringentere Ausführung des Vergleichs gewünscht - die Auswirkungen von "1968" auf die französische Wissenschaftslandschaft werden beispielsweise nicht thematisiert, ein Aspekt im Übrigen, zu dem auch Coquery-Vidrovitch schweigt. Schließlich trifft es sicherlich zu, dass die afrikabezogenenen Wissenschaften nach 1945 in allen drei Ländern in unterschiedlichen Tempi eine Intensivierung erfuhren, allerdings vermisst man eine Kontextualisierung mit dem gesamten Feld der Geisteswissenschaften. In der Zusammenschau beider Bücher drängt sich jedenfalls der Schluss auf, dass in allen drei Ländern die akademische Beschäftigung mit Afrika und insbesondere mit der Kolonialgeschichte marginalisiert blieb.
Diese Einschätzung lässt sich anhand der Lektüre des Sammelbandes von Olivier Dard und Daniel Lefeuvre mit dem Titel L'Europe face à son passé colonial auf weitere europäische Länder übertragen. Wenngleich der Wirtschaftshistoriker Lefeuvre als einer der profiliertesten Vertreter des konservativen Lagers in der eingangs skizzierten Debatte gilt (was rasch aus seinem eigenen Beitrag zu Frankreich ersichtlich wird), so hat dieser Umstand auf die einzelnen Artikel (glücklicherweise) keine Auswirkungen. Der Band verfolgt anhand vergleichender und transfergeschichtlicher Perspektiven drei Analysedimensionen, von denen im Folgenden nur die letzte thematisiert wird: gesellschaftliche Diskurse über die Dekolonisation, Erinnerungsformen an den Kolonialismus sowie die Formierung einer Kolonialhistoriographie.
Etienne Deschamps zeigt für Belgien auf, wie eng die Kolonialgeschichtsschreibung bis zur Dekolonisation mit dem Kolonialstaat verbunden war. Relikt dieser Liaison ist der bis heute erschwerte Zugang zu Akten des Kolonialministeriums, über den das Außenministerium entscheidet. Um 1960 setzte eine aktengestützte und etwas distanziertere Kolonialgeschichtsschreibung ein, die in erster Linie mit dem Namen Jean Stenger verbunden war und die Geschichte der Kolonisatoren in den Mittelpunkt rückte. Insgesamt blieb die belgische Kolonialgeschichte universitär jedoch stark marginalisiert und wurde weiter von kolonialaffinen Milieus außerhalb der Akademie dominiert, ehe die Frage einer Mitverantwortung des belgischen Staates an der Ermordung Patrice Lumumbas um die Jahrtausendwende allgemein ein stärkeres Interesse in Wissenschaft und Öffentlichkeit für die Kolonialvergangenheit Belgiens auslöste.
Ein nahezu identisches Bild liefern zwei Artikel zu Italien: Bei Giorgio Rochat ist nachzulesen, dass die kolonialen Archive nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen wurden und lediglich eine Forschergruppe aus hohen Kolonialfunktionären Zugang erhielt, um eine Hagiographie anzufertigen. Bei aller um sich greifenden Geschichtsvergessenheit, so Rochat, sei jedoch mit zu bedenken, dass der Zunft schon die Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit schwer genug gefallen sei. Neben Rochat selbst war es dann der Journalist und Historiker Angelo del Boca, der sich ab den 1970er Jahren kritisch und mit gewisser Breitenwirkung der italienischen Kolonialgeschichte widmete, was der universitären Marginalisierung bis in die Gegenwart jedoch nur bedingt entgegenwirkte. Nicola Labanca stimmt in seinem Beitrag in diesen Tenor ein und kritisiert, dass einzig Mussolinis Giftgasangriffe in Äthiopien Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden hätten, ansonsten der italienischen Gesellschaft die eigene Kolonialgeschichte jedoch kaum geläufig sei.
Herrick Wesselinck betont in seinem Beitrag zu den Niederlanden demgegenüber den Zusammenhang von Dekolonisation und Zweitem Weltkrieg. Er vertritt die Auffassung, dass sich die Geschichtswissenschaft in den 1960er Jahren vor allem der Okkupation gewidmet habe. Dagegen habe es keinerlei Interesse an der Kolonialgeschichte gegeben. In den 1970er Jahren änderte sich laut Wesselinck langsam das gesellschaftliche Klima, als zwei Affären die "Geschichtsmythen" von der niederländischen Resistance als auch vom "guten" niederländischen Soldaten ins Wanken brachten. Welche konkreten Auswirkungen diese Ereignisse auf die niederländische Geschichtswissenschaft hatten, wird jedoch leider nicht weiter ausgeführt.
Die weiteren Beiträge, die ungeachtet einer Lücke zu Großbritannien [2] ein äußerst breites Spektrum europäischer Länder und darüber hinaus repräsentieren - neben den selten thematisierten Fällen Spanien und Portugal weist der Band mit Artikeln zu Japan, Haiti und Québec sogar über Europa hinaus -, äußern sich kaum zur historiographischen Entwicklung in den jeweiligen Ländern. Nichtsdestoweniger lassen sich zusammenfassend drei Erkenntnisse aus der Lektüre der hier besprochenen Werke ziehen: Im europäischen Vergleich ergibt sich erstens der Befund, dass sich die Kolonialgeschichtsschreibung nach der Dekolonisation in einer marginalisierten Position wiederfand und in vielen Ländern überwiegend in konservativen Händen lag. Dies sollte jedoch zweitens nicht darüber hinwegtäuschen, dass zugleich frühe Bestrebungen zu beobachten waren, eine kritischere Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialvergangenheit in Gang zu setzen. Insofern ist drittens die Debatte, ob zur Kolonialgeschichte bereits alles gesagt sei oder sie im Gegenteil erst noch geschrieben werden müsse, müßig. Statt solch ebenso polarisierende wie irreführende Pauschalurteile zu fällen, sollte die Geschichtswissenschaft lieber wieder stärker darüber nachdenken - und gerne auch konstruktiv darüber streiten -, welche empirischen Schwerpunkte die Kolonialismusforschung in Zukunft setzen sollte und wie sie sinnvoll mit nationalen, transnationalen und globalen Geschichten verbunden werden kann.
Anmerkungen:
[1] Benjamin Stora: La guerre des mémoires. La France face à son passé colonial, Paris 2007.
[2] Vgl. zu Großbritannien etwa jüngst die ausführliche Studie von Anne Friedrichs: Das Empire als Aufgabe des Historikers. Historiographie in imperialen Nationalstaaten: Großbritannien und Frankreich 1919-1968, Frankfurt am Main 2011.
Martin Rempe