Olga Kucherenko: Little Soldiers. How Soviet Children Went to War, 1941-1945, Oxford: Oxford University Press 2011, XIII + 266 S., ISBN 978-0-19-958555-7, USD 99,00
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Barbara Alpern Engel: Breaking the Ties that Bound. The Politics of Marital Strife in Late Imperial Russia, Ithaca / London: Cornell University Press 2011
Dieses Buch behandelt ein Thema, das in der aktuellen politischen Diskussion große Aufmerksamkeit erfährt, aber - trotz aller Unterschiede - beileibe kein 'neues Thema' ist: das Phänomen der Kindersoldaten. Auch im russischen Kontext war die Kriegsbeteiligung von Kindern nichts grundsätzlich Neues, wohl aber die Quantität, in der diese während des "Großen Vaterländischen Krieges" gegen das nationalsozialistische Deutschland in der Roten Armee und Flotte sowie bei den Partisanen dienten. Aufgrund der Vernichtung zahlreicher einschlägiger Dokumente in den 1960er Jahren, die auf staatliche Anweisung erfolgte, gibt es bis heute keine genauen Angaben über die Zahl der kriegsteilnehmenden Kinder und Jugendlichen. Versuche, per Schätzung einigermaßen verlässliche Angaben zu ermitteln, haben ergeben, dass sich rund 25.000 Minderjährige in der Armee, 5.000 bei der Marine und 30.-33.000 in Partisaneneinheiten befunden haben sollen. Die Bezeichnung "Kinder" meint dabei alle, die noch nicht das Wehrpflichtigenalter von 18 Jahren erreicht hatten. Jedenfalls unternimmt die Verfasserin keine spezifischere Kategorisierung. Was die Zusammensetzung dieser jungen Kriegsteilnehmer angeht, so war der überwiegende Teil männlich, bäuerlich-slavischer Herkunft und um die 15 Jahre alt. Es gab aber auch Kinder, die noch nicht einmal das schulpflichtige Alter erreicht hatten. Offiziell nahm nur eine Minderheit der Kindersoldaten im Kombattantenstatus am Krieg teil, aber beim Dienst im Kommunikations- oder Sanitätswesen verschwammen die Grenzen zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten häufig. Staatliche Rekrutierungen oder Mobilisierungen von Minderjährigen gab es nach Einschätzung der Verfasserin nicht, so dass es sich wohl mehrheitlich um Freiwillige gehandelt haben dürfte.
Zwar wurde das Thema Kindersoldaten schon unmittelbar nach Kriegsende in der Sowjetunion literarisch behandelt, etwa von Valentin Kataev, doch in der offiziellen sowjetischen und russischen Kriegshistoriographie hat das Phänomen keine nennenswerten Spuren hinterlassen und wird auch in der einschlägigen westlichen Literatur bisher nur am Rande erwähnt. Neuerdings gibt es erste Ansätze zur systematischen Erfassung und Analyse von sowjetischen Kindererinnerungen aus den Kriegsjahren im Rahmen von Oral History Projekten.
Das vorliegende Buch, das aus einer Dissertation der Universität Cambridge hervorgegangen ist, gliedert sich in zwei Teile: der erste, der rund 90 Textseiten umfasst, behandelt die Vorgeschichte des Krieges. Er ist nochmals in drei Kapitel untergliedert und schließt mit einem Überblick ab. Das erste Kapitel geht dem Einfluss staatlicher Propaganda auf Kinder (Schule, Jugendorganisationen, Massenmedien, Feiertage) nach, das zweite untersucht die ideologische und räumliche Konstruktion der "Mutter Heimat" in der Kindern vermittelten zeitgenössischen Kultur und das dritte behandelt die spezifische Vorbereitung von Kindern auf den Krieg durch paramilitärisches Training, Kriegsspiele und sogenannte Verteidigungszirkel. Den starken Fokus auf die Vorkriegssozialisation begründet die Verfasserin damit, dass "Soviet child-combatants were the product of the society from which they emerged, it is not just a study of their physical and psychological state at the front, but the analysis of the entire society and its social and ideological practices" (8). Erst der rund 130 Seiten umfassende zweite und noch einmal speziell eingeleitete Teil der Monografie wendet sich in vier Einzelkapiteln dann dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand zu und beschreibt die Kriegsteilnahme Minderjähriger. Behandelt werden zunächst deren Motive zur Landesverteidigung, dann das Spektrum ihrer Aktivitäten und Erfahrungen in der Armee, in Partisaneneinheiten und bei der Marine und zwar in Form von vier Fallstudien, die sich vor allem auf ego documents stützen. Auch dieser Teil schließt mit einem Überblick ab.
Neben Interviews, die von der Autorin zwischen 2003 und 2007 in Odessa, Moskau und Kursk geführt wurden, stützt sich die Untersuchung auf Archivmaterialien aus zentralen russischen Archiven (allerdings weder aus dem Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums noch aus dem Zentralarchiv der Marine, die weiterhin für ausländische Forscher nicht zugänglich sind), aus dem Nationalarchiv der Republik Moldau und regionalen Archiven in Kursk und Odessa. Welche Bestände genau konsultiert wurden, wird nicht näher erläutert. Die verwendeten publizierten Quellen sowie die Sekundärliteratur sind in einer Auswahlbibiografie zusammengefasst. Abkürzungsverzeichnis, Index und 12 Illustrationen runden die Studie ab.
Abgesehen davon, dass der Titel den Inhalt des Buches nur sehr unzureichend erfasst, ja die Leser sogar in die Irre führt, weist es noch eine Reihe kleinerer Mängel auf. Zum einen stört eine recht hohe Zahl von Druckfehlern (insbesondere bei Eigennamen), zum anderen und vor allem der extrem aufgeblähte Fußnotenapparat sowie die Überfrachtung des Textes mit Details, während wichtige Grundinformationen fehlen. Hier hat einfach die notwendige editorische Unterstützung durch den Verlag gefehlt. Dies hat dem Buch nicht gut getan und die Leistung von Olga Kucherenko, deren Muttersprache nicht Englisch ist, unnötig geschmälert. Es bleibt zu hoffen, dass diese dennoch hochinteressante Publikation zu weiteren Forschungen anregt und sich eines Tages auch die Türen jener Militärarchive öffnen, wo weitere für das Thema relevante Dokumente aufbewahrt werden.
Beate Fieseler