Marc Hansmann: Vor dem dritten Staatsbankrott? Der deutsche Schuldenstaat in historischer und internationaler Perspektive (= Zeitgeschichte im Gespräch; 13), München: Oldenbourg 2012, 114 S., ISBN 978-3-486-71288-9, EUR 16,80
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Dieses hochaktuelle Büchlein spendet verängstigten Seelen Trost, etwa mit den Worten Lorenz von Steins, es habe "nie einen civilisierten Staat ohne Staatsschuld gegeben", ja es solle sogar "nie einen solchen geben". Denn, so der berühmte Staatsrechtler und Nationalökonom im Jahr 1878, ein Staat ohne Staatsschuld tue "entweder zu wenig für seine Zukunft, oder er fordere zu viel von seiner Gegenwart". (26). Zugleich lässt es aber, etwa durch eine schlichte Gegenüberstellung der Summe der Kredite, welche der Bund zwischen 1972 und 2002 aufnahm, und der Summe der im selben Zeitraum zu zahlenden Zinsen auch gehörig die Alarmglocken schrillen: 569 zu 538 Mrd. Euro, so lautet nämlich dieses Verhältnis. Der generelle Verzicht auf eine öffentliche Neuverschuldung, so zitiert Hansmann den langjährigen Staatsekretär im Bundesfinanzministerium, Manfred Overhaus, sei deshalb "nicht nur ökonomisch, sondern auch fiskalisch vernünftig" (25). Aber wie könnten Politiker, denen Hansmann durchaus guten Willen unterstellt, der Vernunft zum Durchbruch verhelfen?
Der Autor, Jahrgang 1970, als Stadtkämmerer von Hannover mit den praktischen Nöten bestens vertraut, zudem als Lehrbeauftragter am Institut für Öffentliche Finanzen der Universität Hannover zum Blick "über den Tellerrand" befähigt, will nicht nur die historischen Ursachen der Staatsverschuldung analysieren, sondern auch "Ansätze zu ihrer Überwindung" aufzeigen. Konkrete Handlungsanweisungen, darüber ist er sich im Klaren, könnten aus der Geschichte zwar nicht abgeleitet werden, doch ließen sich zumindest erfolgreiche und weniger erfolgreiche Ansätze zur Reduzierung der Staatsverschuldung unterscheiden.
Den historischen Rückblick leitet er mit der lapidaren Bemerkung ein, dass Staatsbankrotte in der Geschichte "alles andere als selten" seien. Unter den Spitzenreitern des Bankrotts tauchen erwartungsgemäß die üblichen Verdächtigen wie Spanien, Griechenland oder Argentinien auf. Aber auch in der preußisch-deutschen Geschichte finden sich Beispiele: "Allein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der deutsche Nationalstaat zweimal - als Folge der Finanzierung der beiden Weltkriege - insolvent" (11). Von einem Staatsbankrott spricht Hansmann in Anlehnung an den Nationalökonomen Alfred Manes demnach dann, wenn "die ursprünglich versprochene Verzinsung und Rückzahlung zum Nachteil der Gläubiger ohne deren Einwilligung geändert" werde (12). Den "endgültigen Weg in den Schuldenstaat" datiert Hansmann im deutschen Fall übrigens auf die sozialliberale Ära der 1970er Jahre, als die langsamer wachsenden Steuereinnahmen nicht mehr reichten, um die "politisch gewünschten Mehrausgaben zu decken". Nach einer vorübergehenden Konsolidierung im folgenden Jahrzehnt trieb die Wiedervereinigung die Schuldenquote ab 1990 in "ungeahnte Höhen": zwischen 1989 und 1995 verdoppelte sich die Staatsschuld von 500 Milliarden auf eine Billion Euro (14). Angesichts dieser Entwicklung überrascht es nicht, dass Hansmann unter den Finanzministern der Bundesrepublik lediglich Fritz Schäffer, der von 1949 bis 1957 amtierte, ein gutes Zeugnis ausstellt; Karl Schiller, dessen "keynesianischer Steuerungsoptimismus" die Verschuldung letztlich erhöht habe, nennt der Autor gar eine "tragische Gestalt der deutschen Finanzgeschichte" (47).
In vier kompakten und präzisen Kapiteln beleuchtet Hansmann anschließend wichtige Ursachen und Dimensionen der gegenwärtigen Malaise: die Verschuldungspolitik, die Ausgabenpolitik, die Steuerpolitik und den Finanzausgleich. Zum Schluss diskutiert er Lösungsansätze wie die sogenannte Schuldenbremse, Insolvenzverfahren für Staaten und Kommunen, eine geduldete oder sogar forcierte Inflation und eine "nachhaltige Finanzpolitik", d.h., "nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als zur Verfügung stehen" (97). Die Antwort auf die Titelfrage fällt nicht wirklich optimistisch aus: "Wahrscheinlicher als ein förmlicher Bankrott" sei eine "Schuldenfalle, die die öffentlichen Finanzen und damit den gesamten Staat paralysiert" (103).
Hansmanns verdienstvolle, weil nicht nur für Experten verständliche Studie überzeugt vor allem durch die gelungene Historisierung und Kontextualisierung einer Problematik, die zur Zeit die Gemüter bewegt - und dies wohl auch künftig tun wird. Die hitzige Debatte könnte durch die ausgewogen-sachliche Argumentationsweise entskandalisiert und entdramatisiert werden. Der wiederholte Verweis auf andere Länder verdeutlicht zudem, dass wir es nicht mit einem spezifisch deutschen - oder griechischen, spanischen usw. - Problem zu tun haben. Und erfreulicherweise existieren sogar Vorbilder wie Schweden oder Finnland, die zeigen, wie eine nachhaltige Finanzpolitik ohne Aufgabe des sozialen Anspruchs aussehen könnte.
Werner Bührer