Christian Fuhrmeister / Johannes Griebel / Stephan Klingen u.a. (Hgg.): Kunsthistoriker im Krieg. Deutscher Militärischer Kunstschutz in Italien 1943-1945 (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte; Bd. 29), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012, 450 S., 191 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20804-2, EUR 39,90
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Im Krieg sind Kunstwerke besonderen Gefahren ausgesetzt: Sie können durch Kampfhandlungen oder Truppenbelegung zerstört werden, von Raub und Plünderung ganz zu schweigen. Bisher hat insbesondere der Themenkomplex Kunstraub und Beutekunst breite Resonanz gefunden, und es war längst überfällig, auch einmal die Frage zu stellen, wie man mit der drohenden Zerstörung von Kunstwerken im Krieg umging. Der hier besprochene Band ist genau dieser Frage verpflichtet und stellt eine bestimmte Gruppe von Akteuren auf einem bestimmten Kriegsschauplatz in den Mittelpunkt der Untersuchung: die Angehörigen des deutschen militärischen Kunstschutzes in Italien, wo seit 1943 gekämpft wurde - mit allen Folgen für die besonders reichhaltigen Kunstschätze und Kulturgüter dieses Landes. Die Tätigkeit der Kunstschützer wird kontrovers beurteilt: In Deutschland betonte man, befeuert durch die Rechenschaftsberichte der Beteiligten, die Rettungsleistung. Auf der Apennin-Halbinsel dagegen wurde neben den Verlusten vor allem die mutwillige Unterschlagung oder gar der Raub wertvoller Kulturgüter beklagt.
2010 lud das Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte zu einem internationalen Symposium ein, um die Aktivitäten des deutschen militärischen Kunstschutzes in Italien und seines alliierten Pendants zu beleuchten. Die Tagung machte schnell deutlich, dass sich nicht nur in Italien, sondern auch hierzulande noch immer neue Quellenbestände entdecken lassen. Die Rede ist von einer Fotosammlung, die der vormalige Direktor des Kunsthistorischen Instituts in Florenz und erste Münchner Institutsleiter, Ludwig H. Heydenreich, aus seiner Dienstzeit beim Kunstschutz in Italien mitgebracht hatte und die lange Jahre mit anderen Nachlasspapieren im Hausarchiv verstaubte. Die Fotos, in Auswahl auch im Sammelband wiedergegeben, zeigen durch alliierte Bomber zerstörte italienische Kunstwerke, aber vor allem auch das tägliche Geschäft der Kunstschützer: Verlagerung in Depots ("Verbringung") oder Sicherung vor Ort ("Einhausung").
Interessant an der fotografischen Dokumentation sind dabei nicht zuletzt die Akteure, meist Wissenschaftler angesehener Kunsthistorischer Institute, nun in Uniform, die dieser Arbeit im Schatten der Front nachgingen. Es ist das Verdienst des Kunsthistorikers Christian Fuhrmeister und seiner Kollegen Johannes Griebel, Stephan Klingen und Ralf Peters, das Dunkel aus "Einhausungen" und "Verbringungen" auszuleuchten, die Aktivitäten des deutschen Kunstschutzes systematisch zu untersuchen, nach Zielen, Vorgehensweisen und Konflikten zu fragen und schließlich Bilanz zu ziehen.
Zunächst ist festzustellen, dass Italien im europäischen Vergleich ein Sonderfall war, denn das Land zählte bis zum 8. September 1943 zu den wichtigsten Verbündeten des Deutschen Reichs. Daher kümmerten sich bis zur Besetzung der Apennin-Halbinsel durch die Wehrmacht italienische Behörden um den Schutz von Bauwerken und Kulturgütern. Nach dem Bruch der "Achse" änderte sich dies, und auch die Bedrohungslage wurde eine andere: Kunstschutz vollzog sich vor dem Hintergrund einer undurchsichtigen Gemengelage von Krieg und Bürgerkrieg, die für die Kulturgüter Italiens eine besondere Gefahr bedeutete. Kunstdepots, die man zuvor aus Großstädten evakuiert hatte, waren nun von mehreren Seiten her bedroht. Trotz bester Vorsätze ist es den deutschen Beauftragten nicht immer gelungen, den Überblick zu behalten und Truppenbelegungen oder Plünderungen zu verhindern. Dazu kam der organisierte Kunstraub; dass bei der unsachgemäßen Evakuierung der nach Montecassino ausgelagerten Depots 17 Kisten mit Gemälden für die Kunstsammlung Hermann Görings "abgezweigt" wurden, ist bekannt. [1]
Schon ein kurzer Blick auf die Biographien der Schlüsselfiguren macht deutlich, dass sich im Kunstschutz Männer zusammenfanden, die entweder bereits an einem Institut in Italien forschten oder bereits anderswo einschlägige Erfahrungen gesammelt hatten. Bernhard von Tieschowitz baute seit Mitte Oktober 1943 die Abteilung Kunst-, Archiv- und Bibliotheksschutz der deutschen Militärverwaltung in Italien auf und übergab diese im November 1943 an den Münchner Professor Hans Gerhard Evers. Beide Männer waren zuvor in Paris mit vergleichbaren Tätigkeiten betraut gewesen. Im Februar 1944 trat Evers die Gesamtleitung des Kunstschutzes in Italien an SS-Standartenführer Alexander Langsdorff ab, der den Florentiner Kunsthistoriker Heydenreich mit der Durchführung einer Fotokampagne zur Dokumentation italienischer Kunstschätze beauftragte.
Kunstschutz in Italien bedeutete Kunstschutz im Rücken der Front, die sich immer weiter nach Norden verschob. So fehlte mitunter die wissenschaftliche Sorgfalt, mit der die Kunsthistoriker wohl im Zeichen eines "ruhigen" Besatzungsalltags an ihre Aufgabe herangegangen wären. Daher kam es in Italien nicht zur Erstellung eines wissenschaftlich nutzbaren Denkmalinventars mit umfangreicher Fotodokumentation, wie man sie in Frankreich und Belgien seit 1940 angelegt hatte, sondern vornehmlich zu einer Dokumentation der Kriegsschäden, die fotografisch festgehalten wurden. Dies war aber nicht nur den Umständen geschuldet, sondern resultierte auch aus übergeordneten Erwägungen. Generalfeldmarschall Kesselring hatte auf Anregung der deutschen Botschaft den Kunstschutz Ende März 1944 aufgefordert, Propagandamaterial zum Thema Kunst im Krieg vorzubereiten und insbesondere drei Fragen zu beantworten: 1. Was wurde zerstört? 2. Was wurde gesichert? 3. Wer hat gerettet? Natürlich wollte Kesselring dadurch nicht nur die Alliierten und ihre "Terrorangriffe" an den Pranger stellen, sondern auch die Deutschen als Bewahrer der Kultur in gutem Licht erscheinen lassen und zugleich von der Tatsache ablenken, dass die Wehrmacht nicht in der Lage war, organisierten Kunstraub im Auftrag von NS-Größen zu verhindern. Nun bemühte man sich, so rasch und so viel wie möglich zu fotografieren und die Bilder in einem zentralen Archiv zu sammeln.
Kernstück des Sammelbands ist der Aufsatz zum "Kunstschutz im Propagandakrieg" von Lutz Klinkhammer, der frühere Forschungen fortführt und neben den Bemühungen zur Sicherung italienischer Kunstschätze vor allem die Differenzen zwischen den Kunsthistorikern, ihren vorgesetzten militärischen Stellen und den italienischen Behörden, den Sopraintendenze, thematisiert. Ruggero Ranieri flankiert diese Ergebnisse durch seinen Überblick zur Rolle des alliierten Kunstschutzes, insbesondere der Sektion Monuments, Fine Arts and Archives (MFA&A) in Italien. Carlotta Coccolis detailreicher Aufsatz ergänzt diesen Beitrag und stellt die Zusammenarbeit der italienischen Behörden mit MFA&A ins Zentrum ihrer Ausführungen.
Die anderen Aufsätze beleuchten einzelne Beispiele oder Akteure: Costanza Caraffa und Almut Goldhahn widmen sich Ludwig H. Heydenreich und der Rolle des Kunsthistorischen Instituts in Florenz bei der Erstellung der Fotodokumentation; Elena Franchi untersucht bisher unbekannte Streitfälle zwischen Mussolinis Repubblica Sociale Italiana und dem deutschen Kunstschutz; Cecilia Ghibaudi diskutiert die Schutzmaßnahmen an der Mailänder Pinacoteca di Brera sowie die Differenzen der italienischen Museumsleitung mit den deutschen Kunstschutzoffizieren. Michael Wedekind beleuchtet die Kulturpolitik in den Operationszonen Alpenvorland und Adriatisches Küstenland, und Angela Mura analysiert die Tätigkeit der Kulturkommission Südtirol und des SS-Ahnenerbes unter Franz Huter. Martin Moll gibt einen Überblick über die Bildpropaganda der Wehrmacht, Kai Kappel geht kenntnisreich der Bildsprache der deutschen Ruinenfotografie nach, und Ralf Peters bietet eine Einführung in das vom Kunstschutz aufgebaute "Fotoarchiv der zerstörten Kunstwerke". Zuletzt schreibt Regine Schallert über die Fotokampagne des deutschen Kunstschutzes und die Tätigkeit des Fotografen Hans Werner Schmidt, wobei sie zu der interessanten Schlussfolgerung kommt, dass die Kunstschutzoffiziere häufig mehr als Wissenschaftler agierten, die den Ist-Zustand eines Denkmals dokumentieren wollten, denn als Propagandisten, die den Grad der Zerstörung ins Bild rückten, wie eine vergleichende Analyse von Fotoaufnahmen belegt.
Der hier besprochene Sammelband bietet viel Neues, doch er zeigt auch, was noch zu tun bleibt. Insbesondere sollte man den Handlungsspielraum der einzelnen Akteure hinterfragen und den inneren Zwiespalt ausloten, in dem sich die Kunstschützer befanden - Wissenschaftler zum einen, Soldaten auf dem Territorium des "besetzten Verbündeten" (Lutz Klinkhammer) zum anderen. Vor dem Hintergrund des komplexen Kriegsgeschehens in Italien sind hier freilich immer nur Annäherungen möglich.
Anmerkung:
[1] Als Überblick hier immer noch grundlegend: Lutz Klinkhammer: Die Abteilung Kunstschutz der deutschen Militärverwaltung in Italien 1943-1945, in: Quellen und Forschungen aus Italienischen Archiven und Bibliotheken 71 (1992), S. 483-549; zum Raub in Montecassino als Beleg vgl. Rodolfo Siviero: L'Arte e il Nazismo, Florenz 1984.
Kerstin von Lingen