Knut Görich: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2011, 782 S., 50 Abb., 11 Karten, ISBN 978-3-406-59823-4, EUR 29,95
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"Er wird das Königtum wie ein Fuchs erlangen, wie ein Löwe regieren und wie ein Hund sterben." Mit diesem treffenden Bonmot resümierte ein zeitgenössischer Chronist das Leben des bis heute populärsten Herrschers des deutschen Mittelalters. Derart lakonische Kürze ist selten geworden, wenn es um Kaiser Friedrich I. Barbarossa geht: Die Forschungsliteratur zu seiner 38 Jahre währenden Regierungszeit ist unübersehbar, mehrere von renommierten Mediävisten verfasste Biographien liegen vor. Einen neuen Meilenstein setzt das hier vorzustellende Werk, das (inklusive der Fußnoten) volle 700 Textseiten beansprucht, um das Phänomen des Stauferkaisers zu ergründen. Gleich vorweg sei es gesagt: Keine Seite davon erscheint zu viel, den Leser, welcher den sehr moderaten Kaufpreis investiert, erwartet eine fesselnde und höchst erhellende Lektüre!
Knut Görich, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist seit seiner 2001 erschienenen Habilitationsschrift "Die Ehre Friedrich Barbarossas" als einer der besten Kenner der Materie ausgewiesen. Seine Thesen zur konstitutiven Bedeutung adliger Ehrvorstellungen als "Ordnungsfaktor" der hochmittelalterlichen Gesellschaft haben unser Verständnis vom Funktionieren vormoderner Staatlichkeit wesentlich erweitert. Diesen Ansatz nunmehr konsequent in die Barbarossa-Biographik einzuführen, erscheint für sich schon als ein lohnendes Unterfangen. Doch erschöpft sich Görichs Werk keineswegs nur darin, Friedrichs Leben unter dem Leitmotiv "Ehrwahrung" neu zu erzählen. Seine methodischen und hermeneutischen Zugänge sind vielmehr äußerst vielfältig, worauf ein Gutteil der Eingängigkeit und Überzeugungskraft des Buches beruht.
Auszugehen ist von dem Grundproblem, dass die Quellen einen unverfälschten Blick auf die Person und Gedankenwelt des Königs überhaupt nicht zulassen (21-24 und öfter). Kann doch, so Görich, noch nicht einmal der berühmte Cappenberger Barbarossakopf, dessen Bild den Umschlag des Buches ziert, als Herrscherporträt des Staufers gesichert werden (642-648). Es war das Bedürfnis nach Eindeutigkeit, das hier das historische Urteil allzu lange bestimmte (648). Wie viel mehr gilt dies für andere Gewissheiten über Friedrich Barbarossa, die in der neueren Forschung problematisiert, aber noch keineswegs aus den Köpfen verdrängt worden sind! So zweifelt Görich etwa jenes allzu intentionalistische Verständnis von Barbarossas Politik an, welches die ältere Geschichtsschreibung und zuletzt auch wieder die 2009 erschienene Barbarossa-Biographie von Johannes Laudage prägt. [1] Beispielsweise kann von einer systematisch auf die Stärkung der Zentralgewalt ausgerichteten Politik des Königs wohl keine Rede sein, und sie ist auch nicht an diesem Maßstab zu messen (661f.). Barbarossa war (zumindest im nordalpinen Reich) ein Meister konsensualer Herrschaftsausübung, deren Zielsetzungen sehr augenblicks- und einzelfallbezogen waren und deren Mechanismen von Görich plastisch beschrieben werden (so im Kapitel 5: Hof und Herrschaftspraxis, etwa 181-191). Noch markanter ist der Bruch bei der Bewertung der Italienpolitik Barbarossas: Während zuletzt Laudage das Bild eines geradezu tyrannisch agierenden "staufischen Imperialismus" zeichnet, überschreibt Görich den entsprechenden Abschnitt seiner Arbeit "Herrschaftsexperimente" (349-362) und deutet die kaiserliche Politik nach 1158 als den Versuch, neue Formen der Herrschaftsausübung auszuprobieren, welche nach dem Vorbild des päpstlichen Legatenwesens "auf dem Prinzip der Stellvertretung beruhten" (350). Die sehr bestimmte Formulierung der Reichsrechte in den roncalischen Beschlüssen sollte über die tatsächliche Flexibilität von Barbarossas Italienpolitik nicht hinwegtäuschen (308f., 657 und öfter). Diese scheiterte aber daran, dass in dem komplexen Akteursnetzwerk Oberitaliens der Versuch einer allzu direkten Einflussnahme letztlich Widerstände von allen Seiten provozierte (361f., dazu auch 227, 236 und öfter). Hier wie auch im alexandrinischen Schisma übernahm sich der Kaiser. Doch gewann Barbarossa gerade aus der Niederlage "erweiterte Handlungsspielräume" (Kapitel 12). Einen Teil dieses Neuorientierungsprozesses stellte der Bruch mit seinem langjährigen Partner, dem allzu selbstbewussten Heinrich dem Löwen dar (461-485). [2] In diesem wie auch in vielen anderen Abschnitten zeigt Görich paradigmatisch, was mittelalterliche Herrschaft ausmachte und wie mittelalterliche Quellen - etwa zum Fußfall von Chiavenna - heute gelesen werden müssen.
Immer wieder arbeitet Görich heraus, in welch starkem Maße Zufälle und (zuweilen geradezu "interkulturelle") Missverständnisse den Verlauf der Dinge beeinflussen konnten. Ein Beispiel ist der von Otto Morena beschriebene Auftritt Lodeser Kaufleute auf den Konstanzer Hoftag 1153, der erster Auslöser für den Konflikt Barbarossas mit der Kommune Mailand gewesen sein soll (226-231, von Laudage als "ätiologische Sage" zurückgewiesen). Und die fast unangemessen detailliert erscheinende Schilderung des Vormarsches des deutschen Kreuzfahrerheeres 1189/90 durch den Balkan und Kleinasien (Kapitel 13) dient dem Zweck, aufzuzeigen, wie das Auftreten eines massiven Fremdkörpers in einer politisch zerrissenen Region zu einem "Klima wechselseitigen Misstrauens" (559) und offenen Konflikten führte, welche man eigentlich hatte vermeiden wollen. Barbarossas überraschender Tod im Saleph hingegen warf bei seinen Zeitgenossen die Frage auf, ob dieser nicht als Strafe Gottes zu verstehen sei (590-597). Hier lieferte kontingentes Geschehen den Maßstab zur Bewertung des Protagonisten - "er starb wie ein Hund". Wie komplex und vielschichtig das Bild Friedrich I. Barbarossas hingegen heute aussieht, das hat Knut Görich in seiner Biographie des Staufers meisterhaft gezeigt. Zweifellos wird dieses im Übrigen auch sehr sauber lektorierte und gut illustrierte Buch unsere Sicht auf diesen Herrscher für lange Zeit bestimmen.
Anmerkungen:
[1] Johannes Laudage: Friedrich Barbarossa (1152-1190). Eine Biographie, hg. von Lars Hageneier / Matthias Schrör, Regensburg 2009. Görich hat seine grundsätzlichen Einwände gegen dieses Darstellungsprinzip schon in seiner Rezension dieses Buches in sehepunkte 9 (2009), Nr. 7/8 [15.07.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/07/15995.html geäußert.
[2] Es wäre müßig und kleinlich, in diesem höchst kenntnisreich geschriebenen, enorm materialreichen Werk auf Fehlersuche gehen zu wollen. Einzig sei dem Rezensenten an dieser Stelle der Hinweis gestattet, dass der Kommentar zur Abbildung 33 (473) einen kleinen Schnitzer enthält: Die im so genannten Krönungsbild im Evangeliar Heinrichs des Löwen neben der Herzogin Mathilde abgebildeten Personen werden hier als "ihre Eltern, König Heinrich II. von England und seine Gemahlin Mathilde" bezeichnet. Die Mutter der Herzogin war jedoch Eleonore von Aquitanien und die im Evangeliar als "regina Mathilda" bezeichnete Person muss vielmehr Mathildes Großmutter sein. Da diese in erster Ehe mit Kaiser Heinrich V. verheiratet gewesen war, unterstreicht ihre Darstellung im Krönungsbild auch von dieser Seite die kaiserliche Tradition des Welfenpaares (neben Lothar und Richenza auf der Seite des Löwen).
Robert Gramsch