Rezension über:

Eric H. Cline (ed.): The Oxford Handbook of the Bronze Age Aegean, Oxford: Oxford University Press 2010, XXXIII + 930 S., 173 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-987360-9, GBP 35,00
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Rezension von:
Lorenz Rahmstorf
Institut für Vor- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie, Universität des Saarlandes
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Lorenz Rahmstorf: Rezension von: Eric H. Cline (ed.): The Oxford Handbook of the Bronze Age Aegean, Oxford: Oxford University Press 2010, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/21542.html


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Eric H. Cline (ed.): The Oxford Handbook of the Bronze Age Aegean

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Ein wissenschaftliches Handbuch soll die aktuellen Kenntnisse zu einem Fachgebiet systematisch gegliedert darstellen. Besonders in der deutschsprachigen Tradition steht die Bezeichnung 'Handbuch' meist stellvertretend für gewichtige Publikationen, die ein Wissensgebiet sehr ausführlich präsentieren. Auch das hier zu besprechende Werk mit fast 1000 Seiten Umfang fällt in diese Kategorie. Der Herausgeber Eric H. Cline hat 61 Autoren vornehmlich aus anglo-amerikanischen Universitäten versammelt, die jeweils auf etwas über 10 Seiten insgesamt 66 Beiträge (Kapitel) zu den Abschnitten "I: Background and Definitions", "II: Chronology and Geography", "III: Thematic Topics" und "IV: Specific Sites and Regions" geschrieben haben. Dabei wird im Fließtext zitiert. Fast allen Beiträgen folgen umfangreiche Bibliographien vorwiegend mit englischsprachiger Literatur. Ein Index auf 27 Seiten schließt das Werk ab. Das Handbuch richtet sich an diejenigen, die das Fach lehren, an fortgeschrittene Studenten sowie an Interessenten aus Nachbardisziplinen.

Abschnitt I besteht nur aus zwei Beiträgen. James D. Muhly referiert in einem forschungsgeschichtlichen Überblick prägnant in erster Linie die Anfänge des Faches, während Sturt W. Manning die grundlegende Chronologie und Terminologie kenntnisreich schildert. Darüber hinaus fehlen Beiträge, die darüber informieren, wie stark sich das "Fach" ägäische Bronzezeit durch unterschiedliche theoretische Herangehensweisen und naturwissenschaftliche Anwendungen (z.B. Archäometrie, Prospektionsmethoden, Bioarchäologie) in den letzten 40 Jahren grundlegend gewandelt hat. Dadurch dass es in Europa und in Nordamerika an unterschiedlichen universitären Einrichtungen gelehrt wird, innerhalb einer eher kunstgeschichtlich oder historisch orientierten Archäologie / Altertumskunde (Classics, Klassische Archäologie, Alte Geschichte), einer eher artefakt- und befundbezogenen Prähistorie kontinentaler Prägung (Vor/Ur- und Frühgeschichte) oder einer eher modell- und theoriebezogenen Archäologie (Archaeology / Cultural Anthropology), wäre es gerade in Hinblick auf die Vielzahl der beteiligten Nationen besonders interessant gewesen, die vielfältige Methodologie des Faches durch verschiedene Autoren bespiegeln zu lassen.

In Abschnitt II werden nach der im Fach gewöhnlichen Gliederung das griechische Festland (worunter meist nur das südliche griechische Festland verstanden wird), die Kykladen und Kreta in den üblichen rein chronologisch zu verstehenden Blöcken Früh-, Mittel- und Spätbronzezeit dargestellt. Die Beiträge offenbaren dabei eine teilweise sehr unterschiedliche Herangehensweise. Einige bieten eine Diskussion ausschließlich der sozialen Interpretationen (innerhalb der englischsprachigen Literatur) eines Zeitabschnittes (z.B. Peter Tomkins zu "Neolithic Antecedents"), während in anderen Beiträgen in traditioneller Weise die archäologische Überlieferung, insbesondere die Keramik, detailliert beschrieben wird (z.B. Robin Barber zu "Cyclades" in der Mittelbronzezeit, ohne Verwendung einer einzigen Abbildung). Grundsätzlich macht sich in Teil II sowie in den Teilen III und IV das größte Manko des Buches bemerkbar: die viel zu geringe Anzahl von knapp 100 SW-Abbildungen, die zudem mehrfach eine schlechte Qualität aufweisen (z.B. 241, 331, 821). Bedauerlich und eigentlich kaum verständlich ist, dass Überblickskarten vollständig fehlen. Es wäre besonders verdienstvoll gewesen, wenn die einzelnen Beiträge Tafeln mit charakteristischen Artefakten und Befunden beinhaltet hätten. [1] Dies hätte die mögliche Leserschaft beträchtlich erweitert und die Publikation für Studenten als Lehrbuch besonders interessant gemacht.

In Abschnitt III werden in einzelnen Beiträgen bestimmte Aspekte der materiellen Kultur abgehandelt, wie Architektur, Fresken, Figurinen, Bestattungssitten, Schrift- und Siegelverwendung, Keramik, etc. , aber auch abstrakte, in einem weitgehend prähistorischen Kontext schwer zu fassenden Phänomene wie Religion, Staat und Gesellschaft. Schließlich gibt es auch Kapitel zu sogenannten "Ereignissen", worunter die Thera-Eruption, der Trojanische Krieg und der Kollaps am Ende der Bronzezeit verstanden werden. Wie auch in Teil II gibt es hier sehr anregende Kapitel, in denen das Wesentliche in knapper Form, aber dennoch detailliert, beschrieben wird. Aber wiederum wundert man sich über den Mangel an Abbildungen - in den Kapiteln zu Architektur und Keramik findet sich keine einzige. Lobenswert ist die Aufnahme von Beiträgen zu den meist vernachlässigten Themen Textilien bzw. Textilherstellung sowie Materialien und Handwerke.

Die Beiträge zu Abschnitt IV nehmen insgesamt knapp die Hälfte des gesamten Textes ein. Eine Auswahl an Fundorten und Regionen wird in dem gleichen Seitenumfang besprochen, wie die thematischen Beiträge in den Teilen davor. Man kann sicherlich darüber streiten, wie gelungen die Auswahl der Fundorte ist. In allen Fällen handelt es sich um Langzeitgrabungen von Siedlungen, deren archäologischer Schwerpunkt meist in der Spätbronzezeit liegt und die teilweise mit Gräberfeldern verbunden werden können. Zudem finden sich in diesem Abschnitt auch Kapitel zu Regionen, die meist kaum beachtet werden, wie Nordgriechenland, Dodekanes und Westanatolien. Unerwähnt bleiben zwei weitere Anrainerregionen des ägäischen Meers in Griechenland: Fthiotis und Thessalien. Spätestens hier fällt das fehlende Kapitel in Abschnitt I zur Definition und Beschreibung des Naturraums Ägäis auf. Schließlich gibt es auch Beiträge zu den Schiffswracks von Uluburun und Kap Gelidonya an der südanatolischen Küste sowie zu ägäischen Kontakten in den zentralen Mittelmeerraum und in die Levante. Generell sind inhaltliche Überscheidungen in verschiedenen Beiträgen mehrfach anzutreffen, aber nicht störend, da dadurch die Pluralität der Herangehensweisen bzw. der Standpunkte verdeutlicht wird. Eine Erklärung unterschiedlicher Detaileinschätzungen wäre manchmal dennoch angebracht gewesen [2], auch wenn die Lösung solcher Probleme für den Herausgeber bei einer so großen Anzahl von Autoren ein schwieriges Unterfangen bleibt.

Das vorliegende Handbuch ist ein Werk mit zahlreichen sehr gelungenen Beiträgen von Experten, die in konziser Form jeweils einen Teilaspekt der ägäischen Bronzezeit darstellen. Die fehlende bildliche Erschließung in guter Qualität der sehr vielfältigen archäologischen Überlieferung ist das größte Defizit des Werkes. [3] Dies wird neben dem hohen Anschaffungspreis besonders Studierende und Nachbarwissenschaftler abschrecken. Dennoch bleibt das Werk durch eine Vielzahl an Beiträgen, die einen exzellenten Einstieg in die jeweilige Materie ermöglichen, für Bibliotheken und Fachleute eine wichtige Anschaffung.


Anmerkungen:

[1] Dies bietet in einem größerem Umfang das französische Handbuch zur ägäischen Frühzeit, das zudem über eine systematisch gegliederte Bibliographie verfügt: R. Treui / P. Darque / J.-C. Poursat / G. Touchais: Les civilisationes égéennes du Néolithique et de l'Âge du Bronze, Paris 22008.

[2] Siehe etwa die Datierung des keramischen Typus von Lefkandi I-Kastri in Frühkykladisch [FK] IIB (16-17, 23), FK II-III (89), FK IIIA (129) oder Frühhelladisch III (879).

[3] Das vorliegende Handbuch gehört zu einer in der Oxford University Press erscheinenden Reihe mit gleicher dürftiger Ausstattung in der Bebilderung. Vergleiche: Sh. R. Steadman / G. McMahon (eds.): The Oxford Handbook of Ancient Anatolia, 10000-323 B.C.E., Oxford 2011.

Lorenz Rahmstorf