Alexander Rubel: Die Griechen. Kultur und Geschichte in archaischer und klassischer Zeit, Wiesbaden: marixverlag 2012, 256 S., ISBN 978-3-86539-964-9, EUR 5,00
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Stéphane Benoist / Alban Gautier / Christine Hoët-van Cauwenberghe et al. (eds.): Mémoires de Trajan, mémoires d'Hadrien, Villeneuve d'Ascq: Presses Universitaires du Septentrion 2020
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Unter den zahlreichen kurz gefassten, handbuchartigen Gesamtdarstellungen der griechischen Geschichte darf das hier vorliegende Buch besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. Hinter einer unspektakulären Aufmachung und einem konkurrenzlos niedrigen Preis verbirgt sich eine recht eigen gestaltete, den Leser zunehmend fesselnde Einführung in die Welt der alten Griechen. Dem Autor, einem Schüler von Wolfgang Schuller, gelingt es, ohne Theoriegebäude und modernistischen Sprachduktus eine verständliche, zugleich fundierte und auf aktuellem Forschungsstand sich bewegende Darstellung zu präsentieren. Deren Besonderheit liegt in dem kulturgeschichtlichen Ansatz, der nicht nur die historischen Abläufe, sondern in einem zweiten, "Kultur und Gesellschaft" überschriebenen Hauptteil (etwa 40 % des Textes), auch die Bereiche Literatur, Philosophie, Kunst, Religion, Wirtschaft und Gesellschaft thematisiert. Der Stoff wird klar, verständlich, anschaulich und lebendig präsentiert, jede Epoche, jedes Phänomen werden zwecks grober Orientierung mit ihren Charakteristika zunächst umrissen, dann präziser beschrieben; trotz des vorgegebenen beschränkten Umfanges bleibt gelegentlich dennoch Raum für anschauliche Quellenzitate, zudem für Hinweise auf unentschiedene Forschungsdiskussionen, wobei der Autor immer wieder Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten benennt, aber auch dezidiert eigene Meinungen nicht verschweigt, wie beispielsweise zum Charakter der griechischen Religion vor dem Hintergrund heutigen Religionsverständnisses. Seine Kompetenz im Bereich der Klassischen Archäologie demonstriert er, indem er Kunst und Architektur als Quellen für den Wertekanon der Gesellschaft und als Spiegelbild derselben gebührend berücksichtigt.
Besondere Anschaulichkeit erreicht das Kapitel über eine gerade aktuelles Thema, den Vorbildcharakter der athenischen Demokratie; der Autor nimmt den Leser gleichsam an die Hand und verfolgt mit ihm den Verlauf einer Volksversammlung und einer Gerichtsverhandlung am Beispiel des Sokratesprozesses; im Falle des letzteren rückt er auch die Bewertungsmaßstäbe für das häufig als 'Justizmord' bezeichnete Urteil des Gerichtshofes zurecht. Der Leser folgt ihm gerne, wenn er die Unterschiede zwischen der real gelebten athenischen Demokratie und den heutigen westeuropäischen Verfassungen, namentlich dem Verständnis von 'Freiheit', vor Augen führt. Umgekehrt wird man wachgerüttelt und auf die ewig gültigen Mechanismen von Macht und Herrschaft gestoßen, wenn der Autor das Los der unglücklichen Insel Melos angesichts des athenischen Ultimatums im Peloponnesischen Krieg vergleicht mit der verzweifelten Lage der Regierung Dubček im Jahre 1968 angesichts des schon beschlossenen Einmarsches sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei.
Die Darstellung umfasst die archaische und klassische Zeit, endet also mit dem 4. Jh. v.Chr., wobei der Autor mit Blick auf die Vollendung der demokratischen Verfassung Athens gerade das letzt genannte, nicht das 5. Jh. v.Chr. als das eigentlich "klassische" Zeitalter definieren möchte. Umso bedauerlicher ist es, dass die Charakteristika des beginnenden 4. Jh. nur auf einer halben Seite angerissen werden und die Neugier des Lesers auf eine Beurteilung des Aufstiegs der neuen Hegemonialmacht Makedonien ins Leere stößt. Vielleicht werden das Fehlen dieses Ausblicks ebenso wie die etwas knapp ausgefallenen Bemerkungen über die Gesellschaftsordnung und ein fehlendes Register dem vorgegebenen Seitenzahllimit geschuldet.
Die Vermittlung grundlegender historischer und kultureller Prozesse des antiken Griechenland dient dem Autor als Basis, auf der er eine zweite Erkenntnisebene aufbaut: das Aufzeigen sowohl der Differenzen als auch der Nahtstellen des antiken Erbes mit einer Gegenwart, welche das klassisch-humanistische Ideal weitgehend in Frage stellt oder schon vergessen hat. Die Zeitbedingtheit von jeweiligem Interesse, von subjektiv empfundener Nähe und Ferne zur griechischen Antike für uns heutige Zeitgenossen auszuloten ist über die geschichtliche Darstellung hinaus ein Verdienst dieses Buches, das nicht nur den allgemein Wissbegierigen, wie der Autor im Vorwort schreibt, sondern auch die Fachkollegen zu faszinieren vermag.
Helmut Halfmann